Читать книгу "Ich fühl mich nicht als Mörder!" - Christina Ullrich - Страница 10

3. Quellen

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Weil es sich um eine personenbezogene Arbeit handelt, mussten Quellen herangezogen werden, die es erlaubten, mehr als nur den reinen Nachkriegslebenslauf der Personen nachzuvollziehen. Besonders die neuralgischen Punkte, die einen weiteren Schritt in Richtung Integration und Reetablierung bedeuteten, sollten erschlossen werden. Dem chronologischen Grundaufbau der Arbeit folgend, handelte es sich dabei um die direkte Nachkriegszeit, die Entnazifizierungsverfahren, den Wiedereinstieg in ein geregeltes Berufsleben und schließlich die strafrechtliche Verfolgung. Der Anspruch war, das Zusammenspiel zwischen den Einzelnen und der Gesellschaft an den jeweiligen Etappenpunkten nachzuvollziehen und die Interaktion zwischen den beteiligten Akteuren einzubeziehen.

Als zentrale Quelle und Ausgangspunkt für weitere Recherchen erwiesen sich die Akten der einzelnen Strafprozesse, wobei in einem ersten Schritt das Bundesarchiv in Ludwigsburg genutzt und anschließend die gesamten Prozessakten in den jeweiligen Archiven eingesehen wurden. Dienten diese Akten in anderen Studien hauptsächlich dazu, anhand von Aussagen Verbrechensabläufe zu rekonstruieren und Dynamiken und Verhaltensweisen der Angehörigen einer Einheit zu analysieren (u.a. Browning, Goldhagen), wurde für diese Arbeit die gesamte Bandbreite des vorhandenen Schriftguts genutzt. Dazu gehörten die Aussagen von Zeugen (in den meisten Fällen nicht Opfer, sondern ebenfalls Kommandoangehörige) und den ausgesuchten Personen, die Anklageschriften und Urteile, die überlieferte Korrespondenz zwischen den Tätern, ihren Rechtsanwälten, den Staatsanwaltschaften, ihren Arbeitgebern und ihrem privaten Umfeld sowie der Schriftverkehr zwischen Rechtsanwälten, Gerichten und Staatsanwaltschaften mit den dazugehörigen Leumundszeugnissen und Gnadengesuchen. Als wertvoll erwiesen sich die Vermerke und Kommentare von Vernehmungsbeamten, Staatsanwälten und Untersuchungsrichtern, die über besondere Vorkommnisse, Verhaltensweisen, Schwierigkeiten bei den Ermittlungen oder persönliche Einschätzungen der Untersuchungshäftlinge Aufschluss geben.84 So ließen sich beispielsweise im Fall Friedrich Me. die erschlichenen Besuche seiner Kollegen und Absprachen, aber auch die Unregelmäßigkeiten im Vorfeld der Verhaftung Heusers nachvollziehen. Dass Heuser kurz nach seiner Verhaftung anonym einen Blumenstrauß mit besten Grüßen von seinen Kollegen erhielt, war für andere Untersuchungen bislang uninteressant, für diese hier dafür umso interessanter. Die Gnadengesuche aus dem sozialen Umfeld zeigten nicht nur, wer sich für die Täter einsetzte, sondern auch, mit welchen Argumenten, genauer, welche Geschichts- und Täterbilder daraus hervorgingen; das Gleiche gilt für die wegen beleidigenden Inhalts abgefangene Korrespondenz. Der Kontext, in dem diese strafrechtlichen Akten entstanden sind, muss selbstverständlich mitgedacht werden; das gilt besonders für die Vernehmungsprotokolle. Während einige der hier besprochenen Täter den Beamten den genauen Wortlaut diktierten, finden sich in anderen Protokollen typische Formulierungen wie „Auf Nachfrage erkläre ich“, die der Vernommene nicht gesagt hat, sondern Formulierungen des Protokollierenden sind. Die Aussagen entstanden in einer besonderen Situation, in der sich die Zeugen und Angeklagten nicht selbst und meist auch nicht gegenseitig belasten wollten, in der sie sich rechtfertigten, Erinnerungslücken vortäuschten und Sachverhalte zu ihren Gunsten darstellen wollten. Wenn es darum geht, genaue Abläufe zu rekonstruieren, ist das tatsächlich ein Dilemma, das allerdings wieder durch die besondere Situation relativiert werden kann. Denn im Gegensatz zu ihren Ausführungen während ihrer Entnazifizierung hakten die Vernehmungsbeamten nach, hielten ihnen Gegenbeweise vor und hielten ihre Einschätzung über den Wert der Aussagen in Vermerken fest. Hinzu kommt, dass für diese Untersuchung von Interesse war, wie sich die Personen rechtfertigten, welches Selbstbild und welche Selbstrechtfertigungen sie kommunizierten, wie sie ihre Rolle im Nationalsozialismus verstanden wissen wollten, welches Bild von Nationalsozialismus hinter ihren Ausführungen und Einlassungen stand. Bemerkungen in Nebensätzen, ihre Wortwahl sowie ausführliche Verteidigungsschriften wie sie Werner Schö. und Gerhard S. anfertigten, verrieten mehr über sie und ihre Einstellungen, als ihnen vielleicht bewusst war. Ähnliches lässt sich für die Rechtsanwälte und die Korrespondenzen aus dem privaten und beruflichen Umfeld sagen, die mehr waren als nur zielgerichtete Eingaben. Sie transportierten Wertvorstellungen und Einstellungen. Die Unterlagen gaben außerdem Hinweise auf den Verbleib weiterer Quellen, indem Spruchkammern genannt wurden, vor denen sich bestimmte Personen verantwortet hatten, oder im Fall Werner Schö. das Aktenzeichen seines vorausgegangenen Wiener Strafprozesses, so dass sich mit Hilfe der Akten in Wien seine Flucht nach Kriegsende nachvollziehen ließ. Regelmäßig tauchten auch die Arbeitgeber auf, was den Ansatzpunkt für weitere Recherchen lieferte.

Kommen wir zunächst zu den Spruchkammer- bzw. Entnazifizierungsakten. Sowohl für diese Akten als auch um die Strafprozessakten einsehen zu können, mussten die Todesdaten der Täter nachgewiesen werden, was sich als langwierige Aufgabe erweisen konnte, wenn die Täter nach ihrer Haft umgezogen waren. Nur kurz erwähnt werden soll, dass bei einigen Meldeämtern oder Standesämtern zunächst ein berechtigtes Interesse meinerseits nicht anerkannt und mir die Auskunft verweigert wurde; in einem Fall hatte die Familie eines Täters eine Auskunftssperre verhängt, und erst nach mehrmaligem Intervenieren war es überhaupt möglich, die Sterbedaten zu erhalten. Die recherchierten Spruchkammer- und Entnazifizierungsunterlagen wurden als Indikator dafür herangezogen, was den Tätern sagbar schien, was sie zu vertuschen und zu verschweigen versuchten und wie ihre Selbstexkulpation aussah. Weil den Tätern von den Anklägern und den Kammern meist nichts Konkretes entgegengehalten werden konnte, bot sich den Tätern die Möglichkeit zu manipulieren und zu täuschen. Die Fragebögen, handschriftlichen Lebensläufe, der Schriftverkehr mit der Spruchkammer, die Schreiben der Rechtsanwälte, die eidesstattlichen Erklärungen, die Beschuldigung und die Verhandlungsprotokolle zeugen davon, was möglich war, welche Topoi den verschiedenen Akteuren, die hier aufeinander trafen, gemeinsam waren.

Die Prozessunterlagen gaben auch Auskunft über die Arbeitgeber der Täter. Den kargen Lebensläufen und den Ausführungen der Rechtsanwälte und Gerichte war eindeutig zu entnehmen, dass alle Täter in der Bundesrepublik vor ihrer Verhaftung eine „bürgerliche Existenz“ geführt hatten, doch wie es genau dazu gekommen war, welche Mechanismen und Faktoren ihnen das ermöglicht hatten, das stand bislang nirgends. Personalunterlagen, so das Ziel, sollten hinzugezogen werden, um den Bewerbungsprozess zu analysieren und mehr über die Reaktionen der Arbeitgeber nach der Verhaftung der Betroffenen zu erfahren. Erwartungsgemäß schwierig und aufwendig gestaltete sich die Recherche: Kleine oder mittelständische Betriebe, bei denen die betreffenden Personen Anfang der 1950er Jahre gearbeitet hatten, gab es nicht mehr oder waren von anderen Firmen aufgekauft und übernommen worden. Die Rechtsnachfolger hatten die „alten“ Unterlagen irgendwann vernichtet oder gar nicht übernommen. Zum Teil wurden meine Anfragen erst gar nicht beantwortet oder stießen wegen des Arbeitsthemas – so darf vermutet werden – auf prinzipielle Ablehnung. Im Fall Harder, der bei Krupp in Frankfurt am Main gearbeitet hatte, konnte immerhin beim Firmenarchiv angefragt werden. In den Fällen Heinz Ta. und Werner Schö. stieß ich auf engagiertes Interesse der Nachfolgefirmen, deren Vertreter mir mit persönlichen Recherchen behilflich waren. Überliefert sind die Personalakten von Rudolf Schl. und Richard W., die ich ohne Probleme bei der Firma Daimler-Chrysler einsehen durfte und die sich als sehr wertvoll erwiesen, auch wenn in der Personalakte Rudolf Schl.s im Gegensatz zu der Richard W.s kein interner Schriftverkehr enthalten war. Bei der Firma Zeiss, für die Schmidt-Hammer vor und nach dem Krieg gearbeitet hatte und die sich sehr für ihn eingesetzt hatte, erhielt ich nur schriftliche, partielle Auskünfte über den Inhalt der Personalakte. Dafür enthielt die Strafprozessakte alle relevanten Informationen zur Frage, wie sich der Arbeitgeber nach der Verhaftung Schmidt-Hammers verhalten hatte.

Was staatliche Dienststellen angeht, traf ich in zwei Fällen auf Verweigerungshaltung: Beim Polizeipräsidium Gelsenkirchen reagierte man weder auf meine schriftlichen noch auf meine telefonischen Nachfragen nach der Personalakte von Friedrich Me. Weil Gelsenkirchen aber sein letzter Dienstort gewesen ist – er war nach seiner Verhaftung zunächst von Münster nach Bochum und schließlich von dort nach Gelsenkirchen versetzt worden – muss sich seine Personalakte noch dort befinden. Unbeantwortet blieb auch die Anfrage nach Gerhard S.s Personalakte beim niedersächsischen Wirtschaftsministerium. Ausgesprochen hilfsbereit hingegen war man bei der Kriminalpolizei in Düsseldorf bei der Suche nach der Personalakte von Walter He., die sich schließlich im Staatsarchiv Detmold fand. Ebenfalls ohne Probleme konnte ich die Personalakte von Wilhelm E. im Polizeipräsidium Recklinghausen einsehen. Auf meine Anfrage hin machte mir das Ministerium für Inneres und Sport Rheinland-Pfalz die Personalakte von Georg Heuser zugänglich, indem sie sie an das Landeshauptarchiv Koblenz abgab. Dort wollte man mir zunächst den Zugang nur über eine Anonymisierungsverpflichtung genehmigen. Da Heuser aber als Leiter des Landeskriminalamtes Rheinland-Pfalz eine Person des öffentlichen Lebens darstellt, durfte die Akte letztlich ohne diese Verpflichtung eingesehen werden. Über Fritz Zi. war – erwartungsgemäß – beim Bundesnachrichtendienst auch nach zweimaliger Anfrage nichts zu erfahren.

Ein spezifisches Problem der Prozesse, und damit der Quellenüberlieferung, ist, dass sie sich jeweils auf einen Tatkomplex, das heißt auf eine Dienststelle, eine Einheit, einen Tatort beschränkten, so dass beispielsweise im Verfahren gegen Heuser vor dem Landgericht Koblenz seine Tätigkeit als Führer des Einsatzkommandos 14 in der Slowakei nicht aufgerollt wurde. Fragen blieben auch offen, weil es in den Prozessen nur um die strafrechtlich relevanten biografischen Aspekte ging. So war es im Verfahren gegen Heuser uninteressant, ob er tatsächlich nach seinem Einsatz in Minsk an einer Polizeischule gelehrt hat. Das gleiche galt für den Einsatz Harders bei der Umwandererzentralstelle in Lissa, für Friedrich Me.s Einsatz beim BdS in Straßburg sowie für Rudolf Schl.s Versetzung zum SD-Leitabschnitt Prag. Es war nicht Aufgabe der Studie, die NS-Lebensläufe der ausgesuchten Personen lückenlos zu rekonstruieren. Bei Fritz Zi. beispielsweise blieb vieles unklar. Sein Einsatz in Ungarn bleibt vage; nirgendwo fanden sich Hinweise auf die Zeitungen, die er dort aufgebaut haben wollte; auch seine genaue Tätigkeit bei Transocean bleibt verschwommen. Mit Blick auf diejenigen, die mit der Einsatzgruppe H in der Slowakei eingesetzt gewesen waren, und auf August Hä.s Einsatz in Griechenland wurden im Bundesarchiv die relevanten Akten des Bestandes R 70, Polizeidienststellen in der Slowakei und in Griechenland, durchgesehen. Auch die SS-Personalakten, die vereinzelt bereits in den Prozessakten als Kopien beilagen, wurden dort eingesehen. Als Nebenprodukt ergab sich auf diese Weise ein Großteil von Fritz Zi.s Vorkriegslebenslauf. Bei der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes wurde ebenfalls eine Recherche nach den ausgesuchten Personen gestartet, die sich auch auf die in Dahlwitz-Hoppegarten gelagerten Dokumentenbestände der ehemaligen DDR erstreckte. Eine Onlinesuche in den freigegebenen CIA/CIC-Beständen der National Archives brachte personenbezogene Akten zu Fritz Zi., Walter He. und Heinrich Win. hervor. Sie wurden als zusätzliche Information, im Fall Fritz Zi. als alleinige Information über seine vermutlichen geheimdienstlichen Tätigkeiten nach 1945, genutzt, im Wissen um die Problematik dieser Akten. Nicht nur, dass alle Namen geschwärzt sind und so weder Adressaten, noch Dienststellen, noch personelle Zusammenhänge erkennbar, in vielen Fällen auch nicht durch den Inhalt rekonstruierbar sind. Sie sind vor allem problematisch, weil sie aus dem Zusammenhang gerissen sind und nicht bekannt ist, zu welchem Zweck die Informationen gesammelt wurden, geschweige denn, wie verlässlich sie sind.

Die Arbeit stützt sich damit in der Hauptsache auf bekannte Quellenbestände. Sie nutzt aber Material daraus, das bislang nicht herangezogen wurde und konzentriert sich auf Personen, die bis auf die Ausnahmen August Hä., Heuser und Werner Schö. noch nicht in der Forschung beschrieben wurden. Als neue Quelle wurden für die ausgesuchten Personen Personalakten und personenbezogene Akten aus CIA- und CIC-Beständen hinzugezogen, die Personalakte Heusers wurde erst im Zuge dieser Arbeit zugänglich gemacht, und auch die österreichischen Gerichtsakten Werner Schö.s scheinen seit langem nicht eingesehen worden zu sein.



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