Читать книгу "Ich fühl mich nicht als Mörder!" - Christina Ullrich - Страница 24
2.1.3. Die Rechtsanwälte
ОглавлениеDie Unterstützung von Rechtsanwälten zogen vier der hier betrachteten Täter hinzu und zwar in verschiedenen Stadien ihrer Spruchgerichts- oder Spruchkammerverfahren. Harder und Gerhard S. vertrauten bereits zu Beginn ihrer Verfahren auf einen Rechtsbeistand, Rath, als er Revision gegen seinen Spruch einlegte, und Noa, als er gegen seinen Spruch in Berufung ging sowie nach Abschluss des Verfahrens 1950, um eine Aufhebung oder wenigstens eine Herabstufung des Spruchs zu erwirken.
Interessant sind die in den Akten überlieferten Schreiben der Anwälte vor allem wegen der darin vorgebrachten Argumente und Rechtfertigungen, die sich auch wieder am Täterbild des nur „äußerlich“ vom Nationalsozialismus überzeugten Täters und einer Deutung des Nationalsozialismus orientieren, bei der der Zwang und die Handlungsunfreiheit des Einzelnen im Vordergrund standen. Ihre Kollegen griffen diese Argumentationen und Rechtfertigungen übrigens in den späteren NS-Prozessen fast genauso wieder auf. Auffällig sind der Mangel an Sachkenntnis, der sich in ihren Ausführungen findet, sowie die unkritische, fast wortgetreue Übernahme der Argumentationen und Schilderungen ihrer Mandanten. Sie untermauerten somit unhinterfragt deren Einlassungen, und beim Lesen setzt sich der Eindruck fest, dass sie selbst von dem, was sie schrieben, überzeugt waren. Zogen die Betroffenen einen Anwalt hinzu, war dieser es meistens auch, der ab diesem Zeitpunkt die eidesstattlichen Erklärungen als Beweise in seine Ausführungen einbaute und sie der Kammer zukommen ließ.
Auf die Klageschrift, die Harder Anfang 1948 von der Spruchkammer Darmstadt-Lager erhielt, antwortete sein Anwalt mit einem siebenseitigen Schreiben.164 Kernaussage war, dass Harder lediglich formell belastet sei und zudem nicht, wie behauptet, bewusst falsche Angaben in seinem Lebenslauf gemacht habe. Diese, so die Argumentation des Anwalts, seien vielmehr auf Erinnerungslücken zurückzuführen. Die SS-Mitgliedschaft Harders verharmloste er, indem er sie als Ausdruck eines idealistischen Nationalismus verstanden wissen wollte, und führte zum Beweis an: „Er [Harder] stammt aus einer gut deutschen Bürgerfamilie und hat entsprechend seiner Erziehung seit frühster Jugend den Anschluss an einen national eingestellten Verband gesucht.“165 Die „bürgerliche“ Herkunft machte ihn unverdächtig und grenzte ihn gleichzeitig sozial nach unten ab. Zusätzlich bemühte der Anwalt den Elitegedanken: „Die Bedingungen zur Aufnahme in die SS waren in dieser Zeit derart ausgewählt, dass weder für ihn noch seine Eltern Bedenken daran bestanden, diesen Schritt zu unterlassen.“ Die SS war für ihn Anfang der 1930er Jahre ein ganz und gar unpolitischer Verein. Dass Harder seine SA-Zugehörigkeit verschwiegen hatte, begründete sein Anwalt damit, dass „in jener Zeit [Harder war 1930 der SS beigetreten, Anm. d. Verf.] die Zugehörigkeit zur SS eine vorherige Zugehörigkeit zur SA voraussetze, die letztere also lediglich eine Anwartschaft für die Aufnahme in die SS bedeutete“. So gesehen hätte er seine SA-Mitgliedschaft nicht verschwiegen. Bei der Spruchkammer versah man diesen offensichtlichen Mangel an Sachkenntnis und Logik mit zwei Fragezeichen, die man zusätzlich noch unterstrich. Für den Anwalt stand jedenfalls fest: „[Es] kann daher ohne Bedenken gesagt werden, dass es sich bei dem Betroffenen um einen Menschen handelt, der in frühester Jugend als Idealist einer Sache beigetreten ist, an deren Lauterkeit und Anständigkeit er glaubte.“166
Wie auch schon in den Argumentationen und Selbstrechtfertigungen der Betroffenen diente auch in diesem Fall der Idealist wieder als Entschuldungsargument. Der Rechtsanwalt folgte in seinen weiteren Ausführungen exakt den falschen biografischen Angaben, die Harder zuvor gemacht hatte. So auch der, dass ihn eine Beförderung zum SS-Hauptsturmführer 1940 niemals erreicht habe, weil er zu diesem Zeitpunkt bereits Soldat bei der Luftwaffe gewesen sei. Die Lügen in Harders Lebenslauf wurden, zum Teil in den gleichen Formulierungen, die dieser selbst gebraucht hatte, übernommen und als Wahrheit dargestellt. Es fällt auf, dass nicht erst in den NS-Prozessen, sondern bereits zu diesem Zeitpunkt Juden im Freundes- oder Bekanntenkreis zum Beweis der persönlichen Nichtkonformität mit der NS-Ideologie auftauchen. So verwies der Anwalt zur Entlastung seines Mandanten darauf, dass dieser von 1934 bis 1938 für eine jüdische Firma als Vertreter gearbeitet und sich gegenüber seinen Arbeitgebern sowie prinzipiell politisch anders Denkenden gegenüber „loyal“ verhalten habe. Diese Denkweise blendet aus, dass der konkrete persönliche Umgang mit einem Juden, sei es nun beruflich oder privat gewesen, durchaus vereinbar war mit Antisemitismus, der die Juden im Allgemeinen betraf.
Typisch war auch der Verweis auf die aktuelle, vor allem soziale Situation des Betroffenen einerseits und Sekundärtugenden, allen voran Fleiß und Arbeitswille, andererseits. Kriegsgefangenschaft und Internierung wurden als Strafe und Sühneleistung in einem betrachtet; eine weitere Sühne, die durch den Spruch drohte, wurde als zusätzliche und ungerechte Härte empfunden. Harders Rechtsanwalt hob dementsprechend hervor, dass sein Mandant sich seit dem 12. Mai 1945 ununterbrochen in Kriegsgefangenschaft bzw. Internierung befunden und sich während dieser Zeit arbeitswillig gezeigt habe.
Auch Raths Anwalt bediente sich dieser Argumentation: „Der Angeklagte hat auch nach dem Zusammenbruch sich ehrlich mit seiner Familie durch die widrigsten Zeitumstände zu bringen versucht, und es ist ihm dieses gelungen.“167 Das Attribut „ehrlich“ stimmte nicht ganz; schließlich hatte sich Rath nach Kriegsende erst einmal einen falschen Namen zugelegt. Es war der Versuch des Anwalts, den Beschluss des Spruchgerichts Bielefeld, der sechs Monate Straflager vorgesehen hatte, nach einer erfolglosen Revision wenigstens zu mildern. Rath wollte eine Aussetzung der Strafe erwirken. In der Revisionsbegründung hatte sein Anwalt argumentiert, dass die Rath vorgeworfene „Fremdarbeiterbehandlung“ nicht unter Menschlichkeitsverbrechen falle, und einen Entscheid des 5. Spruchsenats des Obersten Spruchgerichtshof Hamm zitiert, wonach es sich bei Kennzeichnung und Aufenthaltsbeschränkungen „um Maßnahmen [handele], die ihre Rechtfertigung in dem Schutzbedürfnis eines im Krieg befindlichen Staates gegen Sabotage- und Spionagegefahr finden“168. Diese Ansicht entsprach genau dem, was Rath gegenüber dem Spruchgericht bereits zum Ausdruck gebracht hatte. Nachdem der 1. Spruchsenat des Obersten Spruchkammergerichtshofes in Hamm die Revision verworfen hatte, ging es für Rath darum, seine Strafe nicht antreten zu müssen, weil, so die Argumentation, damit seine Arbeitsstelle als kaufmännischer Angestellter bei einer Installations- und Elektrofirma in Bückeburg auf dem Spiel stünde. Man mag dies nicht so recht glauben, denn elf Jahre später war es dieselbe Firma, die ihn immer wieder unterstützte und zwischen Phasen in der Untersuchungshaft erneut einstellte. Sein Anwalt stützte sich primär auf das Argument, dass eine „echte“ Mitgliedschaft Raths in der SS nie bestanden habe, weil er nur „listenmäßig“169 in die SS überführt worden sei. Insgesamt, so seine Sichtweise, handele es sich bei Rath um einen „Fall von untergeordneter Bedeutung“170. Wie schon in den Einlassungen der Betroffenen selbst wird auch hier wieder auf den Zwang und eine innere, indifferente Haltung zur SS abgehoben.
Ähnlich wie Harders Anwalt bemühte auch Noas Rechtsbeistand, den sich dieser 1950 nahm, das Bild des Idealisten, aber auch die von seinem Mandanten angegebene finanzielle Not, die er als Grund für seinen Studienabbruch anführte: „Der Betroffene, der schon in frühester Jugend Not kennen gelernt hatte, hat sich dem Nationalsozialismus angeschlossen, weil er der Ansicht war, dass der Nationalsozialismus eine Besserung der Verhältnisse in Deutschland herbeiführen könne.“171 Noa war 22 Jahre alt gewesen, als er in die SS eintrat und hatte dies keineswegs aus Not, sondern aus Überzeugung getan, wie er später angab. Die Verknüpfung zwischen finanzieller Notlage und dem Anschluss an die nationalsozialistische Bewegung suggeriert eine entschuldbare kausale Verkettung, die in diesem Fall nicht vorlag. Gleichzeitig sprach Noas Anwalt davon, dass dieser nicht mit der nationalsozialistischen Ideologie konform und kein überzeugter Anhänger gewesen sei. Bereits 1936 hatten ihm aber Kollegen und Vorgesetzte bei der Gestapo bereitwillig bestätigt, dass der „energische“ Beamte und „alte SS-Mann“ Noa rückhaltlos hinter der nationalsozialistischen Regierung stehe und seine Zuverlässigkeit als Nationalsozialist ohne jeden Zweifel sei.172
Dass Noa aus der Kirche ausgetreten sei, sei nicht negativ zu bewerten, wie von der Spruchkammer geschehen, sondern allein als Privatsache einzuordnen. Und auch der Anwalt wollte in der SS vor 1933 nichts als eine normale Schutztruppe sehen. Der Spruchkammer warf er mit Blick auf den Spruch gegen Noa, der diesen in die Gruppe I der Hauptschuldigen eingestuft hatte, mangelnde Objektivität und „großen“ Mangel an Sachkenntnis vor. Die drei Jahre Arbeitslager, die als Sühne vorgesehen waren, wurden übrigens auf die Internierungszeit angerechnet, so dass Noa nach Verkündigung des Spruchs frei kam. Sein Anwalt hob darauf ab, dass sich Noa stets korrekt verhalten habe, gerade auch gegenüber den Inhaftierten des Sippenhaftlagers, das er einzurichten hatte. Zuletzt verwies auch er auf Tugenden und die soziale Lage seines Mandanten, um das angestrebte Ziel zu erreichen. Der Kammer sei bekannt, schrieb er, „dass der Betroffene durch die politischen Verhältnisse um sein gesamtes Hab und Gut gekommen ist“173. Dieser Hinweis implizierte, dass dies bereits als Strafe und gleichzeitige Sühneleistung empfunden wurde. „Die Kammer muss selbst zugeben, dass er während seiner Haft durch fleißige Arbeit seinen Willen bekundet hat, am Wiederaufbau Deutschlands mitzuwirken.“174 Weder juristisch noch menschlich sei der Spruch gegen Noa haltbar. Sein Fazit: „Es wäre in der heutigen Zeit nicht zu verantworten, einem Menschen, der sich einwandfrei verhalten hat, der für eine mehrköpfige Familie zu sorgen hat, es unmöglich zu machen, sich eine entsprechende Existenz aufzubauen, die ihn in die Lage versetzt, am Wiederaufbau seines Vaterlandes mitzuarbeiten.“175 Darum ging es: um die Abwendung möglicher beruflicher Nachteile durch den Spruch.
Der Anwalt von Gerhard S. folgte dessen Angaben und Einlassungen ebenfalls Punkt für Punkt, ohne den genauen Wahrheitsgehalt zu kennen. Er vertrat somit auch Gerhard S.s Lüge über dessen nicht erfolgten Wiedereintritt in die SS nach dem für den Wehrdienst erfolgten Austritt; sogar eidesstattliche Versicherungen wurden beigebracht, die das entlarvende Heiratsgesuch Gerhard S.s ad absurdum führen sollten. Gerhard S. habe sich daher „nie als SS-Mitglied gefühlt“, weshalb er auch nicht das „Potential der SS“176 habe stärken können. Das erwähnte Heiratsgesuch von Gerhard S. spricht allerdings eine ganz andere Sprache.
Der Anwalt vertrat des Weiteren die Ansicht, dass Gerhard S. gegen seinen Willen zur Gestapo abgeordnet worden sei und dann aus Zwang dort habe bleiben müssen, weil ihm andernfalls KZ oder Berufsverlust gedroht hätten. Sachlich falsch konstruierte er eine Gleichwertigkeit zwischen Abordnung zur Gestapo und Einberufung zur Wehrmacht, wobei Nichtbefolgung die gleiche Strafe nach sich gezogen hätte – ein Konstrukt, das der Anwalt basierend auf den Angaben Gerhard S.s errichtet hatte und für das sein Mandant eidesstattliche Erklärungen beibrachte. Bei der Spruchkammer schrieb man ein „nein!“ an diesen Absatz. Daneben betonte der Anwalt zum einen das Bild einer unpolitischen Kriminalpolizei und zum anderen die vorgebliche Unwissenheit seines Mandanten bei dessen Bewerbung über den wahren Charakter der Gestapo, der sich erst nach Kriegsbeginn gezeigt hätte.
Der Anwalt baute auch die Selbstentschuldung von Gerhard S. noch weiter aus, nach der dessen gesamte Dienstzeit eigentlich eine fortwährende Ausbildungszeit gewesen sei. Da Gerhard S. also nie eine „verantwortliche Planstelle“ besetzt habe, „die ihn erst zum aktiven Tätigwerden befähigt hätte“, schlussfolgerte der Anwalt, dass Gerhard S. damit auch keine Möglichkeit gehabt habe, „die verbrecherischen Ziele zu fördern“177. Der Anwalt ging noch weiter und widersprach der Ansicht der Spruchkammer, Gerhard S. habe gerade durch seine Ausbildung und Tätigkeit bei den verschiedenen Dienststellen umfassende Kenntnis ihrer verbrecherischen Ziele und Aufgaben erhalten. „Irrelevant“ fand der Anwalt diesen Vorwurf, „weil einmal inzwischen erkannt sein dürfte, dass nur ein flüchtiger und oberflächlicher Einblick in die Tätigkeit der Stapo und des SD nicht ohne weiteres die einst geheim gehaltenen und geheim durchgeführten Verbrechen erkennen ließ und zum anderen, selbst bei angenommener Kenntnis, das objektive Tatbestandsmerkmal der tätigen Mitgliedschaft nicht gegeben ist“178. Zwei Fragezeichen und Unterstreichungen zeigen, dass man bei der Spruchkammer den letzten Satzteil für eine eigene juristische Erfindung des Verfassers hielt, mit der man nicht viel anfangen konnte. Dass der Anwalt die Aufgaben und Tätigkeiten der Gestapo und des SD in das Reich des Geheimen verbannte, ist zum einen Ausdruck einer Vorstellung vom Nationalsozialismus, die die kollektive Entschuldung eines ganzen Volkes ermöglichte, die zum anderen aber auch im Gesamtzusammenhang der Argumentationsstrategie im Fall Gerhard S. betrachtet, diesen ganz logisch zum Nichteingeweihten stilisierte.
Anwälte waren und sind nicht dazu verpflichtet, die Angaben ihrer Mandanten zu überprüfen; es gilt das „Wahrheitsgebot“. Bei Zweifeln oder Widersprüchen können sie aber nachfragen, um diese Widersprüche auszuräumen. Als unwahr erkannte Behauptungen ihrer Mandanten dürfen sie sich nicht zueigen machen. Bleiben Zweifel, können sie ihr Mandat niederlegen. In den oben genannten Fällen scheinen die Anwälte kein Problem mit den Darstellungen ihrer Klienten gehabt zu haben. Hinzu kommt der eklatante Mangel an Sachkenntnis. Am Ende bleibt der Eindruck, dass die Anwälte nichts von den Anwälten unterschied, die sich später in der Bundesrepublik einen Namen als Rechtsvertreter von Angeklagten in NS-Prozessen machten. Die Einlassungen ihrer Mandanten entsprachen ihren persönlichen Ansichten und Vorstellungen von NS-Tätern und Nationalsozialismus. Streng genommen zeigten auch sie damit Verständnis für die Betroffenen.