Читать книгу "Ich fühl mich nicht als Mörder!" - Christina Ullrich - Страница 14
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Rückkehr in die westdeutsche Gesellschaft nach Kriegsende
1. Transition
„Das Unaussprechliche, das in Russland, das mit den Polen und Juden geschehen ist und geschieht, wisst ihr, wollt es aber lieber nicht wissen, aus berechtigtem Grauen vor dem ebenfalls unaussprechlichen, dem ins Riesenhaften herangewachsenen Hass, der eines Tages, wenn eure Volks- und Maschinenkraft erlahmt, über euren Köpfen zusammenschlagen muss. Ja, Grauen vor diesem Tage ist am Platz.“1 Mit diesen Worten hatte sich Thomas Mann 1941 an die deutschen Hörer der BBC gewandt.
Spätestens als der Angriffskrieg gegen die Sowjetunion nur noch aus Rückzug bestand, wurde für jeden Einzelnen der in dieser Arbeit betrachteten Männer diese Angst vor der Rache der ehemaligen Feinde greifbar. Ausnahmslos waren sie in Einsatzgruppen direkt an der Ermordung von Juden jeden Alters und Geschlechts, von „Partisanen“, „Kriminellen“ und Kranken beteiligt gewesen. Was sich nun in ihnen regte, war wohl weniger ein erwachendes Schuldbewusstsein, als vielmehr die gefürchtete Rache der Sieger, vor allem die der Sowjetunion2: Auf ihrem Gebiet waren die genannten Verbrechen meist begangen worden und – ungeachtet der eigenen Taten – wurde mit ihr die Vorstellung des barbarischen „Sowjetmenschen“ assoziiert. Die Flucht traten daher alle in Richtung Westen an – in sowjetische Kriegsgefangenschaft wollte keiner von ihnen geraten. Aber auch angesichts einer Gefangennahme durch Amerikaner oder Briten war ihnen bewusst, dass sie, ihre Stellung und ihre Tätigkeiten nun mit anderen Maßstäben gemessen würden. Und ihnen war auch bewusst, dass sie als Angehörige von Gestapo, SS oder SD anders betrachtet und behandelt werden würden als Wehrmachtsangehörige. Wer in Gefangenschaft kam, sah persönlich einer ungewissen Zukunft entgegen, büßte Handlungsfreiheit ein, und die Regelung eines Nachkriegslebens war auf unbestimmte Zeit verschoben. Wer die Möglichkeit hatte, versuchte darum, sich einer Gefangennahme zu entziehen.
Wie sich die ausgewählten Personen angesichts des Kriegsendes verhielten und welche Konsequenzen sich für sie daraus ergaben, das soll im Folgenden erörtert werden. Die Phase der Transition wird verstanden als der Übergang vom Krieg zum Frieden, als Phase zwischen Kriegsende und dem Beginn der Entnazifizierungsverfahren. Für die NS-Täter fanden hier erste Weichenstellungen statt, die Freiheit oder Gefangenschaft bedeuten konnten. Die Frage ist, wie sich diejenigen, die bei Kriegsende noch Handlungsfreiheit besaßen, diese nutzten. Bislang standen vor allem die Fluchten und Abtauch-Versuche prominenter Beispiele aus der Ebene der NS-Eliten im Mittelpunkt, wie beispielsweise die „Rattenlinie“, die nach Südamerika führte. Eng damit verbunden war die Frage nach Netzwerken innerhalb der Eliten, nach Hilfsorganisationen, die ihnen behilflich waren. So spektakulär diese Fälle ohne Zweifel sind, so stehen sie nicht alleine da. Auch in den Ebenen darunter gab es Versuche, einer Gefangennahme zu entgehen. Genau die sollen hier, soweit es die Quellenlage erlaubt, thematisiert werden – die Initiativen der Einzelnen, die Maßnahmen, die sie ergriffen, die Wege, die sie wählten, aber auch die Unterstützung, die sie dabei aus der Gesellschaft heraus erfuhren. Welche Motivation gab es für diese Unterstützung? Wie ist sie einzuordnen im Hinblick auf Einstellungen zu NS-Tätern? Wie gestaltete sich die Situation für diejenigen, die sich in Internierungshaft oder Kriegsgefangenschaft befanden? Welche Situation brachte welche Vor- und Nachteile mit sich?