Читать книгу Basislehrbuch Kriminalistik - Christoph Keller, Bijan Nowrousian - Страница 32
III.Strafverfolgungsvorsorge
ОглавлениеDie Strafverfolgungsvorsorge ist repressiver Teil der vorbeugenden Verbrechensbekämpfung. Ihr werden Maßnahmen zugerechnet, welche die Aufklärung von Delikten oder die Ermittlung von Verdächtigen von Delikten, die in der Zukunft erwartet werden, ermöglichen oder erleichtern soll. Als Vorfeldmaßnahme ist sie weder dem traditionellen Polizeirecht noch dem klassischen Strafverfahrensrecht zuzuordnen.112
Die Strafverfolgungsvorsorge ist neben der Verhütungsaufgabe darauf gerichtet, Vorsorge zu treffen für den Fall, dass Straftaten begangen werden.113 Ihr Ziel ist es, Informationen für die Aufklärung künftiger Straftaten zu beschaffen und vorrätig zu halten. Es handelt sich deshalb um Akte der Beweissicherung für künftige Strafverfahren114, um vorbereitende Maßnahmen auf dem Gebiet des Strafrechts115 und damit um Strafverfolgungsmaßnahmen.116 Das BVerfG ist dieser Ansicht ohne Einschränkungen gefolgt und hat zutreffend ausgeführt, dass den Regelungen zur DNA-Identitätsfeststellung weder nach Wortlaut noch Zweck die Funktion zukommt, künftige Straftaten präventiv abzuwehren. Der Kernsatz der Entscheidung lautet insoweit: „Dienen die Vorschriften ausschließlich der Beweisbeschaffung zur Verwendung in Strafverfahren, so sind sie dem Strafverfahrensrecht zuzuordnen”117. Damit ist die Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes für diese Materie nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG gegeben.118
Die Einordnung der Strafverfolgungsvorsorge als Strafverfolgung ist gleichwohl nicht vollends überzeugend, weil der Strafprozess und sein Recht erst nach der Tat einsetzen können; solange eine Straftat noch nicht begangen wurde, kann ihre Begehung verhütet werden, aber eben noch nicht verfolgt werden. Erst nach Vorliegen eines Anfangsverdachts wegen einer begangenen Straftat, kann das gerichtliche Verfahren im Sinne von Art. 74 Nr. 1 GG betroffen sein. Die Einbeziehung der Strafverfolgungsvorsorge in das gerichtliche Verfahren, ist mit dem Wortlaut des Art. 74 Nr. 1 GG nicht zu vereinbaren. Man kann das dem gerichtlichen Strafverfahren vorgelagerte Ermittlungsverfahren in das gerichtliche Verfahren einbeziehen; aber das diesem noch vorgelagerte Feld der Strafverfolgungsvorsorge, das es nach § 152 Abs. 2 StPO eigentlich gar nicht geben kann, noch dem gerichtlichen Verfahren zuzuschlagen, lässt die Gesetzessprache jeden Sinn verlieren.119 Die der konkreten Gefahr korrespondierende Eingriffsschwelle der StPO für Grundrechtseingriffe im Ermittlungsverfahren ist der konkretisierbare Tatverdacht wegen einer begangenen Straftat im Sinne von § 152 Abs. 2 StPO. Diese Eingriffsschwelle hat rechtsstaatliche Qualität, weil sie den Bürger vor Verdachtsermittlungen schützen soll.
Trotz aller (berechtigten) Kritik handelt es sich bei der Strafverfolgungsvorsorge unter Zugrundelegung der Rspr. des BVerfG um genuines, also echtes Strafprozessrecht.120 Besonders deutlich als Maßnahme der antizipierten Repression gekennzeichnet ist auch die DNA-Identitätsfeststellung eines Beschuldigten gemäß § 81g Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 StPO, wird doch der Zweck, dessentwegen Körperzellen entnommen und molekulargenetisch untersucht werden dürfen, ausdrücklich mit der Identitätsfeststellung in künftigen Strafverfahren bezeichnet. Dies entspricht den erkennungsdienstlichen Zwecken des § 81b 2. Alt. StPO.121
In Ansehung der strafprozessrechtlichen Natur von § 81b 2. Alt. StPO überzeugt es nicht, ein förmliches – und mithin überflüssiges – Verwaltungsverfahren durchzuführen. Vielmehr handelt es sich um eine strafprozessuale Eingriffsmaßnahme, die zugleich den Rechtsgrund für eine zwangsweise Durchsetzung enthält. Aus dem Sinn und Zweck des § 81b 2. Alt. StPO ergibt sich, dass der Betroffene zur erkennungsdienstlichen Behandlung vorgeführt werden darf. Die Vorführung ist eine Freiheitsbeschränkung. § 81b 2. Alt. StPO ist das förmliche Gesetz im Sinne des Art. 104 Abs. 1 GG, das diese Freiheitsbeschränkung zulässt. Die Bestimmungen der Polizeigesetze sind nicht anzuwenden, weil § 81b StPO als materielles Bundesrecht diesen Bestimmungen vorgeht.122 Das OLG Hamm hat 2012 festgestellt, dass im Falle des § 81b 2. Alt StPO ein Vorführbefehl gemäß § 10 Abs. 3 PolG NRW von einem Richter nicht erlassen werden kann, weil § 81b StPO die Zwangsanwendung bereits beinhaltet und somit ein Landesrecht nicht zur Ausgestaltung einer bundesrechtlichen Norm herangezogen werden kann.123 Für die zwangsweise Verbringung des Betroffenen zur Polizeidienststelle zwecks Vornahme der erkennungsdienstlichen Behandlung bedarf es im Anwendungsbereich des § 81b 2. Alt. StPO keiner richterlichen Anordnung nach Polizeirecht. Auf die polizeirechtlichen Bestimmungen des Verwaltungszwanges muss im Zusammenhang mit einer auf § 81b 2. Alt. StPO gestützten erkennungsdienstlichen Maßnahme nicht zurückgegriffen werden.124
Für die zwangsweise Verbringung des Betroffenen zur Polizeidienststelle zwecks Vornahme der erkennungsdienstlichen Behandlung bedarf es im Anwendungsbereich des § 81b 2. Alt. StPO mithin keiner richterlichen Anordnung.125 Das OLG Hamm geht also offenbar von Strafprozessrecht aus. Davon gehen (mittlerweile) auch Teile der Literatur aus.126