Читать книгу Familienrecht und Einführung in das Zivilrecht - Christopher Schmidt - Страница 35

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4. KapitelAbsolute Rechte

204In diesem Kapitel lernen Sie, was absolute Rechte sind und wie diese von relativen Rechten abgegrenzt werden. Dabei soll ein Schwerpunkt bereits auf den absoluten Rechten im Familienrecht liegen. In der Folge werden wir uns mit der Frage befassen, welche Ansprüche bei Störung bzw. Beeinträchtigung absoluter Rechte entstehen können. Hierbei handelt es sich zum einen um Ansprüche, die auf Schadensersatz gerichtet sind, und zum anderen um solche, mit denen die Beseitigung der Beeinträchtigung bzw. das Unterlassen einer weiteren Störung bezweckt wird.

205In diesem Zusammenhang werden wir auch auf Möglichkeiten der Selbstverteidigung eingehen (Notwehr und Notstand), die freilich auch andere als absolute Rechte betreffen.

I.Abgrenzung zu relativen Rechten

206Kennzeichnend für absolute Rechte ist der Ausschließlichkeitscharakter, das heißt, dass sie eine gegenüber jedermann wirkende Rechtsposition begründen.54

207Beispiele dafür sind die in § 823 Abs. 1 BGB genannten Rechtsgüter Leben, Körper, Gesundheit, Freiheit und Eigentum: Niemand, dem nicht aus besonderen Gründen ein entsprechendes Recht zusteht, darf diese Rechtsgüter verletzen.

208Auch aus dem Bereich des Familienrechts werden verschiedene Rechtspositionen absolut geschützt, sind also von jedem zu beachten.

209Hierzu zählen insbesondere

• der räumlich-gegenständliche Bereich der Ehe,

• das elterliche Sorgerecht und

• das Umgangsrecht.

210Dabei umfasst der räumlich-gegenständliche Bereich der Ehe, ebenso der eingetragenen Lebenspartnerschaft oder der nichtehelichen Lebensgemeinschaft, insbesondere die gesamte, von den Ehegatten gemeinsam genutzte Ehewohnung, und zwar auch im Falle des Getrenntlebens.55 Niemand hat danach das Recht, gegen den Willen eines Ehegatten in diesen Bereich einzudringen.

211Die elterliche Sorge beruht auf § 1626 BGB. Dass sie von jedermann zu beachten ist, folgt insbesondere daraus, dass die Eltern nach § 1632 Abs. 1 BGB die Herausgabe des Kindes von jedem verlangen können, der es ihnen oder einem Elternteil widerrechtlich vorenthält. Zudem umfasst das Umgangsbestimmungsrecht des § 1632 Abs. 2 BGB das Recht, den Umgang des Kindes mit Wirkung für und gegen Dritte zu bestimmen.

212Auch das Umgangsrecht des § 1684 Abs. 1 BGB als Teil des umfassenden Elternrechts ist ein absolutes Recht. Denn anderenfalls wären Umgangsberechtigte Dritten, die das Umgangsrecht stören, schutzlos ausgeliefert.56

213In Abgrenzung zu den absoluten Rechten gelten relative Rechte nur innerhalb bestimmter Rechtsbeziehungen. So sind Verträge grundsätzlich nur von den Vertragsparteien, nicht jedoch von Dritten zu beachten.

Beispiel:

Bestandteil der Pflicht des § 1353 Abs. 1 S. 2 BGB zur ehelichen Lebensgemeinschaft ist die eheliche Treue. Entsprechend sind die Ehegatten einander zur (ausschließlichen) Geschlechtsgemeinschaft verpflichtet. Dies gilt jedoch nur im Innenverhältnis. Gegen einen Dritten als Liebhaber des ungetreuen Ehegatten können daher anders als hinsichtlich des räumlich-gegenständlichen Bereichs der Ehe keine sog. Eheherstellungsansprüche aus § 1353 Abs. 1 S. 2 BGB bestehen.

II.Deliktische Ansprüche

214Deliktische Ansprüche, oder, um in der Terminologie des Gesetzes zu bleiben, Ansprüche aus unerlaubter Handlung werden durch §§ 823 ff. BGB geregelt.

1.Deliktsfähigkeit

215Voraussetzung einer Haftung aus Delikt ist zunächst die Deliktsfähigkeit. Diese besteht bei Kindern grundsätzlich ab einem Alter von sieben Jahren, § 828 Abs. 1 BGB. Bei Unfällen mit Kraftfahrzeugen, Schienen- oder Schwebebahnen ist sie gem. § 828 Abs. 2 BGB außer in Vorsatzfällen auf zehn Jahre hochgesetzt.

215aZusätzlich muss für eine Haftung Minderjähriger die zur Erkenntnis der Verantwortlichkeit erforderliche Einsicht gegeben sein, § 828 Abs. 3 BGB. Diese wird bei dem Mindestalter von sieben bzw. zehn Jahren grundsätzlich vorausgesetzt. So kann z. B. davon ausgegangen werden, dass ein normal entwickeltes siebenjähriges Kind nach seiner geistigen Entwicklung seine Verantwortlichkeit für die Verletzung eines anderen durch die Abwehr eines Insekts mit einem Messer erkennen kann. Hierfür genügt das allgemeine Verständnis, dass das eigene Verhalten irgendwelche Gefahren herbeiführen kann. Entscheidend ist die intellektuelle Fähigkeit, das Gefährliche seines Tuns zu erkennen und sich der Verantwortung für die Folgen dieses Tuns bewusst zu sein.57

2.Schadensersatzpflicht (§ 823 Abs. 1 BGB)

216Die wichtigste Anspruchsgrundlage aus Delikt ist mit Blick auf das Familienrecht § 823 Abs. 1 BGB.

Danach ist einem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet, wer vorsätzlich oder fahrlässig dessen Leben, Körper, Gesundheit, Freiheit, Eigentum oder ein sonstiges Recht widerrechtlich verletzt.

217a) Geschützte Rechtsgüter. Erforderlich ist damit zunächst eine Rechtsverletzung, die dahingehend qualifiziert sein muss, dass sie eines der genannten Rechte oder ein sonstiges Recht betrifft. Sonstige Rechte in diesem Sinn sind, wie sich aus dem Kontext der durch das Gesetz genannten Rechte ergibt, nur andere absolut geschützte Rechte.

218b) Verletzung durch aktives Tun oder Unterlassen. Eine solche Rechtsverletzung kann durch aktives Tun erfolgen. Sie ist aber auch durch Unterlassen eines gebotenen Tuns möglich, wenn eine Pflicht zur Verhütung der Rechtsgutsverletzung bestanden hat und diese dem Schädiger möglich war.58 Eine solche Beistandspflicht folgt z. B. für Ehegatten aus der Pflicht zur ehelichen Lebensgemeinschaft des § 1353 Abs. 1 S. 2 BGB, für sorgeberechtigte Eltern aus der Aufsichtspflicht des § 1631 Abs. 1 BGB.

Beispiel:

Eltern gehen mit ihrem 8-jährigen Kind auf einem zugefrorenen See Schlittschuh laufen. Sie sehen, dass das Kind einbricht, unternehmen aber nichts zu seiner Rettung. Hätten sie rechtzeitig gehandelt, wäre das Kind gerettet worden.

219c) Rechtswidrigkeit. Weiter muss die Rechtsverletzung widerrechtlich, also rechtswidrig sein. Dies wird bei einer Verletzung der absolut geschützten Rechte i. d. R. indiziert, das heißt, jede entsprechende Rechtsgutsverletzung ist grundsätzlich rechtswidrig.

220Etwas anderes gilt jedoch dann, wenn der Schädiger gerechtfertigt ist. Insoweit kommen als Rechtfertigungsgründe insbesondere die §§ 227 ff. BGB, vor allem Notwehr, rechtfertigender Notstand und Einwilligung in Betracht.

221aa) Notwehr. So ist nach § 227 BGB eine durch Notwehr gebotene Handlung nicht rechtswidrig, wobei Notwehr als diejenige Verteidigung definiert ist, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem Dritten abzuwenden.

222Ein Angriff ist die drohende Verletzung rechtlich geschützter Interessen. Hierbei kann es sich um Rechtsgüter aller Art handeln, also z. B. auch die Ehre oder familienrechtlich geschützte Rechte wie die elterliche Sorge.

223Gegenwärtig ist ein Angriff, der unmittelbar bevorsteht, bereits begonnen hat oder noch andauert.

224Die Rechtswidrigkeit setzt zuletzt voraus, dass dem Angreifer seinerseits kein Rechtfertigungsgrund zur Seite steht.59

Beispiel:

Die gemeinsam mit dem Vater sorgeberechtigte Mutter beschließt, eigenmächtig mit dem minderjährigen Kind aus der ehelichen Wohnung auszuziehen. Dabei missachtet sie, dass die Entscheidung über den regel­mäßigen Aufenthalt des Kindes gem. § 1631 Abs. 1 i. V. m. § 1627 BGB den Eltern gleichermaßen obliegt. Spätestens in dem Moment, wo die Mutter das Kind an die Hand nimmt, um gemeinsam die Wohnung zu verlassen, befindet sich der Vater in einer Notwehrlage.60

225Erforderlich ist nur das mildeste von mehreren gleichermaßen geeigneten Verteidigungsmitteln. Daher muss grundsätzlich das am wenigsten schädliche Mittel eingesetzt werden. Das gilt aber nur, wenn hinsichtlich dessen Wirksamkeit keine Zweifel verbleiben: So braucht sich der Angegriffene insbesondere nicht auf einen ungewissen Ausgang einzulassen.61

Beachte:

Eltern kann aus der Garantenstellung ihren Kindern gegenüber nicht nur ein Recht, sondern darüber hinaus eine Pflicht zur Notwehr treffen. Das gilt auch gegenüber dem anderen Elternteil, der das Recht des Kindes auf gewaltfreie Erziehung aus § 1631 Abs. 2 BGB missachtet!

226bb) Notstand. Nach § 228 BGB handelt nicht rechtswidrig, wer eine fremde Sache beschädigt oder zerstört, um eine durch sie drohende Gefahr von sich oder einem Dritten abzuwenden, wenn die Beschädigung oder Zerstörung zur Abwendung der Gefahr erforderlich ist und der Schaden nicht außer Verhältnis zu der Gefahr steht.

227Anders als das Notwehrrecht kann sich der Notstand nach § 228 BGB damit nur gegen eine Sache wenden, von der die Gefahr ausgeht,62 und setzt zudem eine Abwägung zwischen geschütztem und beeinträchtigtem Rechtsgut voraus. Grundsätzlich sind dabei Rechtsgüter wie Leben, Körper und Gesundheit als gegenüber dem Eigentum an einer Sache höherwertig anzusehen.

227acc) Einwilligung. Ein ungeschriebener Rechtfertigungstatbestand ist die Einwilligung des Verletzten in die Verletzungshandlung. Eine solche kommt bei Rechtsgütern in Betracht, die zur Disposition des Einwilligenden stehen.63 So sind z. B. Piercings und Tätowierungen tatbestandlich Körperverletzungen, in aller Regel aber gerechtfertigt.64

228d) Kausaler Schaden. Der zu ersetzende Schaden muss gerade durch die rechtswidrige Verletzung des geschützten Rechtsguts entstanden, also kausal sein. Mit anderen Worten: Die schädigende Handlung darf nicht hinweggedacht werden können, ohne dass zugleich der Schaden entfiele (conditio-sine-qua-non-Formel).65

Beispiel:

Die Mutter im in Rn. 224 geschilderten Beispielfall nimmt das gemeinsame Kind während der berufsbedingten Abwesenheit des Vaters fort, ohne ihren und des Kindes neuen Aufenthalt zu hinterlassen. Der Vater beauftragt einen Privatdetektiv, den Aufenthalt des Kindes ausfindig zu machen, um sein Sorgerecht wieder ausüben zu können.

Die Kosten des Privatdetektivs sind ein kausaler Schaden.

3.Exkurs: Sittenwidrige vorsätzliche Schädigung

229Nach § 826 BGB besteht auch bei Verletzung relativer Rechte eine Pflicht zum Schadensersatz, wenn in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise vorsätzlich einem anderen ein Schaden zugefügt wird. Hierunter fällt z. B. das Leugnen von Mehrverkehr durch die Ehefrau auf Befragen des Ehemanns mit Blick auf in der Folge gezahlten Kindesunterhalt. Gleiches gilt für Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft vor Anerkennung der Vaterschaft.66 Dagegen soll ein bloßes Verschweigen des Mehrverkehrs ohne Nachfrage nicht ausreichen.67

III.Quasinegatorischer Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch

230Nach § 1004 BGB hat der nicht zur Duldung verpflichtete Eigentümer einen Beseitigungs- und, wenn weitere Beeinträchtigungen zu besorgen sind, einen Unterlassungsanspruch, wenn das Eigentum in anderer Weise als durch Entziehung oder Vorenthaltung des Besitzes beeinträchtigt wird.

231Diese dem Wortlaut nach nur für das Eigentum geltende Norm wird analog u. a. auf alle anderen absolut geschützten Rechte angewandt. So kann wegen des räumlich-gegenständlichen Bereichs der Ehe von einem Drittstörer als Liebhaber des ungetreuen Ehegatten das Verlassen der Ehewohnung gefordert werden. Ebenso kann sich der Anspruch gegen Dritte richten, die ein Umgangsrecht vereiteln, also z. B. Großeltern, die ein Kind gegen den umgangsberechtigten Elternteil aufhetzen.

Familienrecht und Einführung in das Zivilrecht

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