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Die kohlenhydratzentrierte Sichtweise des Diabetes
ОглавлениеDen meisten Menschen mit Diabetes oder Prädiabetes wird empfohlen, sich kohlenhydratarm zu ernähren, um ihren Blutzucker richtig einzustellen; oder man erklärt ihnen, dass kohlenhydratreiche Lebensmittel ihr Risiko für Diabeteskomplikationen erhöhen und ihr Gesundheitszustand sich dadurch langfristig verschlechtern wird. Egal ob Sie die New York Times aufschlagen, die Regale Ihrer Buchhandlung durchstöbern oder im Internet nach Empfehlungen zum Thema Diabetes suchen: Überall herrscht die Ansicht vor, dass eine kohlenhydratarme Ernährung die sicherste und wirksamste Methode zur Blutzuckereinstellung ist. Gleichzeitig soll man dadurch auch abnehmen und seinen Nüchternblutzucker, HbA1c, Cholesterinspiegel und Blutdruck senken können. Selbst auf wissenschaftlichen Kongressen verteufeln einige der versiertesten Professoren Lebensmittel wie Bananen und Reis und führen ausgeklügelte wissenschaftliche Beweise dafür an, dass alle kohlenhydrathaltigen Lebensmittel unkontrollierbare Blutzuckerschwankungen verursachen, was wiederum zu vermehrtem Appetit, Gewichtszunahme und Fettleibigkeit führt.
Aus dieser Sicht werden die Kohlenhydratkalorien sämtlicher Lebensmittel, die genügend Kohlenhydrate enthalten (egal ob es sich dabei um verarbeitete oder vollwertige Produkte handelt), in „Zucker“ umgewandelt. Diese „Zucker“-Moleküle lassen Ihren Blutzuckerspiegel sehr schnell in die Höhe schießen. Als Reaktion darauf schüttet Ihre Bauchspeicheldrüse große Mengen Insulin aus. Infolge dieser immer wiederkehrenden Insulinspitzen im Blut regulieren die Gewebe ihre Insulinrezeptoren herunter. Das führt mit der Zeit zu einer Insulinresistenz: Das heißt, der „Zucker“ kann nicht mehr aus dem Blut in die Zellen gelangen. Da Insulin außerdem ein „Fettspeicherhormon“ ist, erhöhen hohe Insulinspitzen die Menge an Fett, das Ihr Körper speichert. Dann wandelt Ihre Leber viel „Zucker“ in Fett um. Das führt zu einer Gewichtszunahme, die Ihre Insulinresistenz noch weiter erhöht. Diese Kettenreaktion kann man sich ungefähr so vorstellen wie in der Abbildung auf der nächsten Seite.
Letztendlich besagt die kohlenhydratzentrierte Sichtweise des Diabetes, dass überschüssiges Insulin zu einer Insulinresistenz führt. Aus dieser Sicht ist Insulin die Ursache der Insulinresistenz und als „Fettspeicherhormon“ außerdem für unerwünschte Gewichtszunahme verantwortlich. Nach diesem Modell besteht die Lösung für Diabetiker darin, Nahrungsmittel zu essen, die ihren Insulinbedarf entweder reduzieren oder gar keine Insulinausschüttung verursachen – also solche, die wenig Kohlenhydrate, viel Fett und viel Eiweiß enthalten. Nach dieser Logik sind kohlenhydratreiche Lebensmittel an hohen Insulinspiegeln und hohe Insulinspiegel wiederum an Insulinresistenz und Gewichtszunahme schuld.
In den nächsten Kapiteln werden wir überzeugende Beweise dafür anführen, dass diese kohlenhydratzentrierte Sichtweise zu Diabetes nicht einfach nur falsch ist. Ihr liegt auch noch ein weiterer Irrtum zugrunde: Sie versucht Diabetes nämlich mit nur einer einzigen Variablen zu erklären. Und das ist eine viel zu stark vereinfachte Sicht – eine fehlerhafte Logik, die sich nur auf einen einzigen Nahrungsbaustein (Kohlenhydrate) konzentriert. Nach dieser Logik sollten Sie Nahrungsmittel mit hohem Fett- und Eiweißgehalt essen – wodurch Ihr Insulinbedarf tatsächlich kurzfristig sinkt. Doch diese Sichtweise des Diabetes ignoriert die inzwischen fast 100 Jahre umfassenden wissenschaftlichen Erkenntnisse, die die langfristigen chronischen Krankheitsrisiken einer fett- und eiweißreichen Nahrung belegen.
Und warum glauben Millionen Menschen weltweit, dass diese kohlenhydratzentrierte Sichtweise des Diabetes richtig ist? Weil tatsächlich ein Körnchen Wahrheit darin liegt: Kohlenhydratreiche Lebensmittel treiben den Blutzuckerspiegel wirklich in die Höhe – aber nur dann, wenn man ohnehin bereits an einer starken Insulinresistenz leidet. Denn bei einer Insulinresistenz ist es sehr schwierig, kohlenhydratreiche Nahrungsmittel zu essen, ohne dass der Blutzuckerspiegel stark ansteigt. Wenn Sie bereits insulinresistent sind, werden Sie also wahrscheinlich immer dann hohe Blutzuckerwerte haben, wenn Sie kohlenhydratreiche Nahrungsmittel zu sich nehmen. Aber vielleicht wird Insulinresistenz ja in Wirklichkeit durch etwas ganz anderes verursacht als durch Insulin?
Doch in Wirklichkeit wird Insulinresistenz gar nicht durch Insulin verursacht, sondern durch etwas ganz anderes; und diese andere Ursache ruft lediglich das Symptom eines Insulinüberschusses in Ihrem Blut hervor. Dem Insulin die Schuld an Insulinresistenz zu geben, ist so ähnlich, wie wenn man Halsschmerzen als Ursache einer Erkältung bezeichnen würde. Wie Sie wahrscheinlich wissen, sind Halsschmerzen aber nicht die Ursache Ihrer Erkältung, sondern nur eines von vielen Erkältungssymptomen, die Ihnen vorübergehend das Leben schwer machen können, wenn Sie sich einen Virus eingefangen haben. Sicherlich wird es Ihnen durch die Behandlung dieser Symptome kurzfristig besser gehen; aber sie trägt nicht dazu bei, Sie auf lange Sicht immun gegen Erkältungsviren zu machen. Genauso ist es, wenn man nur die Symptome einer Insulinresistenz (hohen Blutzucker und überschüssiges Insulin) behandelt, statt sich um die Ursache (zu fettreiche Ernährung) zu kümmern. Damit kann man zwar eine kurzfristige positive Wirkung erzielen, Ihr Risiko für viele chronische Krankheiten und für eine langfristige Verschlechterung Ihres Diabetes aber nicht senken.
In diesem Buch erfahren Sie, wie Sie deutlich mehr kohlenhydratreiche Nahrungsmittel essen können, indem Sie zunächst Ihre Kohlenhydrattoleranz erhöhen. Dann werden Sie wahrscheinlich auch einen normalen Blutzuckerspiegel haben, Ihr Idealgewicht erreichen, Ihren Cholesterinspiegel senken, Ihren Blutdruck normalisieren, Herz-Kreislauf-Erkrankungen vorbeugen oder diese rückgängig machen können und vieles andere mehr. Solange Sie an einer Insulinresistenz leiden, werden Sie kohlenhydratreiche Nahrungsmittel kaum verstoffwechseln können. Deshalb ist eine Erhöhung Ihrer Insulinsensitivität der effektivste Weg, kohlenhydratreiche Nahrungsmittel gut verstoffwechseln zu können und einem zu hohen Blutzucker und Insulinüberschuss vorzubeugen.
Wenn Sie Ihre Insulinsensitivität erhöhen, können Sie kohlenhydratreiche Nahrungsmittel essen und trotzdem eine ausgezeichnete Blutzuckereinstellung haben. Gleichzeitig sinkt dadurch Ihr Risiko für Gewichtszunahme, Fettleibigkeit, zu hohe Cholesterinwerte, Bluthochdruck und koronare Herzkrankheit.
Es gibt mehrere Gründe, warum die meisten Diabetologen kohlenhydrathaltige Lebensmittel mit pessimistischen Augen betrachten. Auch bei unserer Typ-1-Diabetes-Erstdiagnose wurden wir mit solchen Fehleinschätzungen konfrontiert:
Fehler Nr. 1: Wissenschaftler, Mediziner und Diabetiker verwenden das Wort Zucker fälschlicherweise sowohl für zugesetzte Süßungsmittel in verarbeiteten Lebensmitteln als auch für die natürliche Energie, die in naturbelassenen Nahrungsmitteln wie Obst und stärkereichem Gemüse steckt. So entsteht der Eindruck, dass alles, wodurch mehr „Zucker“ im Körper entsteht, sich negativ auf Ihre Gesundheit auswirkt. Der Begriff Zucker ist irreführend, denn zwischen raffinierten Süßungsmitteln und den natürlichen, in vollwertiger Nahrung enthaltenen Kohlenhydratkalorien besteht ein großer Unterschied.
Fehler Nr. 2: Viele Menschen glauben, dass Insulin eines der gefährlichsten körpereigenen Hormone ist, und geben ihm die Schuld an Fettsynthese, Gewichtszunahme und zu hohen Cholesterin- und Blutzuckerwerten. Deshalb essen Menschen, die sich kohlenhydratarm ernähren, Lebensmittel mit hohem Fett- und Eiweißgehalt: Denn nach dem Verzehr solcher Lebensmittel schütten ihre Betazellen nur geringe Insulinmengen aus, oder sie brauchen sich – falls sie an einem insulinpflichtigen Diabetes leiden – nur wenig exogenes (injizierbares) Insulin zu spritzen. Doch in Wirklichkeit erhöht Insulin selbst das Risiko für chronische Erkrankungen gar nicht. Nur durch überschüssiges (über die normale Menge hinausgehendes) Insulin steigt Ihr Risiko für viele chronische Krankheiten. Ein Insulinüberschuss sollte daher um jeden Preis vermieden werden.
Fehler Nr. 3: Wissenschaftler, Mediziner und Diabetiker werfen oft alle „Kohlenhydrate“ in einen Topf und unterscheiden nicht zwischen verarbeiteten Lebensmitteln wie Brot, Frühstücksflocken und Nudeln und vollwertigen Nahrungsmitteln wie Obst, stärkereichem Gemüse, Hülsenfrüchten und naturbelassenem Vollkorngetreide. Doch Kohlenhydrate kommen in den verschiedensten Formen vor, und um ihre biologischen Auswirkungen richtig verstehen zu können, muss man zwischen raffinierten und naturbelassenen Kohlenhydraten unterscheiden.
Nach dem kohlenhydratzentrierten Diabetesmodell werden Kohlenhydrate in Zucker umgewandelt. Dadurch kommt es zu Blutzuckerspitzen, und die Bauchspeicheldrüse schüttet viel Insulin aus. Infolgedessen werden Muskeln, Leber und Fettgewebe gegen Insulin resistent, um sich vor einer Insulinüberladung zu schützen.
Fehler Nr. 4: In den meisten wissenschaftlichen Studien, die die Ergebnisse kohlenhydratarmer und fettarmer Diäten direkt miteinander vergleichen, ist die „fettarme“ Ernährung nicht richtig gestaltet. Wir haben die Studien, die Verfechter einer kohlenhydratarmen Ernährung als Argument gegen die fettarme Ernährung ins Feld führen, einmal genau unter die Lupe genommen und festgestellt, dass keine dieser Publikationen eine wirklich fettarme Kost zum Vergleich heranzieht. Stattdessen vergleichen diese Studien sehr kohlenhydratarme Diäten mit Kostformen, die 25 bis 35 % Fett (und erhebliche Mengen tierischer Nahrungsmittel) enthalten und kommen dann zu dem irrtümlichen Ergebnis, dass der Verzehr von Kohlenhydraten sich langfristig negativ auf die Gesundheit auswirkt. Wissenschaftliche Untersuchungen an Menschen, die eine wirklich fettarme Kost mit einem Fettanteil von weniger als 15 % der Gesamtkalorien einhalten, zeigen dagegen ganz klar die Vorteile einer solchen Ernährung: Die Insulinsensitivität erhöht sich, die Patienten brauchen weniger orale Antidiabetika und Insulin; ihr Nüchternblutzucker, ihr Blutzucker nach dem Essen und ihr HbA1c sinken, und ihr Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen nimmt signifikant ab.
In Wirklichkeit gibt es keine einzige Studie, die zeigt, dass die Insulinsensitivität sich durch eine wirklich fettarme, kohlenhydratreiche, vollwertige Ernährung nicht verbessert. Außerdem zeigen Studien an Probanden, denen eine kohlenhydratreiche Kost mit stark verarbeiteten, aber fettarmen Lebensmitteln verordnet wurde, ebenfalls eine deutlich verbesserte Insulinsensitivität.
Ein genauerer Blick auf das komplizierte Wechselspiel zwischen vollwertiger Ernährung und Diabetes bringt eine sehr einfache, wichtige Erkenntnis, die Ihren Diabetes auf Jahre hinaus nachhaltig beeinflussen kann:
Ihr Blutzucker wird durch viele verschiedene Variablen beeinflusst. Um ihn richtig zu verstehen, muss man daher auch verschiedene Faktoren berücksichtigen: die Menge und Art der Kohlenhydrate, die Sie essen; die Menge und Art der Fette, die Sie essen, und – was am allerwichtigsten ist – die Nährstoffdichte Ihrer gesamten Ernährung.
Die Menge und Art der Fette, die Sie zu sich nehmen, spielt für Ihre Blutzuckereinstellung eine entscheidende Rolle. Gerade deshalb ist es wichtig, diesen Zusammenhang richtig zu verstehen; sonst kann Ihr Risiko für die Entstehung weiterer chronischer Krankheiten in Zukunft drastisch ansteigen. Leider kümmern sowohl Mediziner als auch Diabetiker sich viel zu wenig um diesen Zusammenhang. Meistens empfehlen die Ärzte Patienten mit Typ-1-, LADA-, Typ-2-, Prä- oder Schwangerschaftsdiabetes gleich nach der Diagnosestellung, sich kohlenhydratarm zu ernähren – manchmal mit der Erklärung, dass Diabetes eine Störung des Kohlenhydratstoffwechsels ist. Die Versuchung, daran zu glauben, ist groß – zumal die meisten Diabetesexperten und -berater das Gleiche predigen. Doch leider führt diese Sichtweise gleich zu zwei großen Problemen:
1. Oft wird den Patienten schon bei der Erstdiagnose – also zu einer Zeit, in der sie emotional besonders verletzlich und bereit sind, jeden Rat zu befolgen, der ihre körperlichen und emotionalen Beschwerden lindern könnte, – zu einer kohlenhydratarmen Ernährung geraten.
2. Die kohlenhydratzentrierte Sichtweise des Diabetes führt zu einem Ernährungsmuster, das oft viele Jahre lang eingehalten wird und langfristig das Risiko für chronische Krankheiten erhöht. Das Schlimmste daran ist, dass viele Menschen glauben, sich mit einer kohlenhydratarmen Ernährung etwas Gutes zu tun, obwohl sie sich damit in Wirklichkeit eine noch stärkere Insulinresistenz und ein erhöhtes Risiko für chronische Erkrankungen „anessen“.