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Nicht Gott

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Wir müssen uns über eines im Klaren sein: Wenn die Bibel von der Arglist des menschlichen Herzens spricht, dann ist die Rede von uns. Wenn Jesus zu den Pharisäern sprach, dann sprach er zu „guten“ Menschen, allerdings sprach er von dem Schmutz in ihnen. Die Menschen, über die Paulus schreibt: Sie haben keine Ehrfurcht vor Gott“, sind alle Menschen, wir selbst eingeschlossen. Das ist ein Schlag gegen unser Selbstbewusstsein, denn es heißt: Ich bin nicht okay und Sie sind nicht okay. Wir alle sind in ernsthaften Schwierigkeiten. Das muss unser Ausgangspunkt sein. Ein gutes Selbstwertgefühl in einer solchen Situation führt nur zu Selbstbetrug und Enttäuschung. Die Realität wird sich behaupten, ganz egal, was wir uns einreden oder was andere sagen, um uns aufzubauen und um zu verbergen und zu leugnen, wer wir sind. Verleugnung ist das Hauptwerkzeug, das Menschen einsetzen, um mit ihrer eigenen Verkehrtheit zurechtzukommen. Es war das Erste, das Adam und Eva von sich gaben, nachdem sie gesündigt hatten, und es ist heute nicht anders. Die biblische Diagnose, die gänzlich empirisch bewiesen ist, stemmt sich gegen das immense Gewicht der Verleugnung, die in unseren Gewohnheiten fest verankert ist.

Im ersten Kapitel des Römerbriefs beschreibt Paulus die fortschreitende Entfernung von Gott, die zu dem Leben führt, wie wir es kennen und wie es uns umgibt. Durch die Geschichte hindurch war den Menschen immer bewusst, dass es einen Gott gibt. Sie konnten in begrenzter Weise auch verstehen, wer er ist und wie er sich verhält (Röm. 1,19.20). Im Grunde ist ihnen das auch heute noch klar. Allerdings waren sie wenig erfreut darüber, dass er seinen Platz im Universum einfach deshalb einnimmt, weil er der ist, der er ist. Das ist der Schlüssel für das Verständnis unserer derzeitigen Situation. Das erste Gebot beschäftigt sich mit unserer Neigung, uns von Gott abzuwenden (2. Mo. 20,2.3). Augustinus erkannte deutlich, dass Gott als Gott eine Beleidigung für den menschlichen Stolz ist. Wenn Gott das Universum in Gang hält und den ersten Anspruch auf unser Leben hat – raten Sie, wer es dann nicht in Gang hält und nicht immer das bekommt, was er oder sie will?

Unsere natürliche Tendenz geht dahin, uns selbst in der Praxis zu Gott zu machen. Hier kommt die Macht der Verleugnung ins Spiel. Sie ist der Grund dafür, dass wir ständig blind sind für das Offensichtliche. Verleugnung der Realität ist ein Mechanismus, der sich nicht vom menschlichen Willen trennen lässt. Er hat die größte Macht, wenn er unerkannt operiert. Verleugnung umfasst nicht nur die Ablehnung offensichtlicher Tatsachen, sondern auch das Anerkennen von etwas, was nicht der Fall ist. In einer von Gott abgewandten Welt ist die Macht der Verleugnung für den Fortgang des Lebens absolut unerlässlich. Der Wille oder Geist kann sich rein psychologisch nicht am Leben erhalten, wenn er sich gegen das stellt, was ganz offensichtlich Tatsache ist. Aus diesem Grund muss die Wahrheit verleugnet und vermieden werden. Der Wille muss sich selbst täuschen. Wer etwas von geistlichem Wachstum und geistlicher Persönlichkeitsentwicklung verstehen will, darf deshalb niemals diese zentrale Einsicht des Paulus aus dem Blick verlieren: Denn sie haben keine Ehrfurcht vor Gott.

Wenn das Licht der fundamentalen Wahrheit und Realität im Herzen und in der Seele erloschen ist, dann versucht der Verstand eine „Wahrheit“ zu konstruieren. Diese muss mit der grundsätzlichen Fehleinschätzung übereinstimmen, dass nicht Gott, sondern der Mensch Gott ist. Gemüt, Gefühle, Emotionen und auch Wahrnehmungen folgen bald diesem Weg ins Chaos. Ihre Gedanken, schreibt Paulus, kreisen um Belangloses, und da sie so unverständig blieben, wurde es schließlich in ihren Herzen finster. Sie wähnten sich besonders klug und waren in Wirklichkeit die größten Narren. Der Verstand ist nun nicht mehr in der Realität verwurzelt. Er hat sich der Wahrheit einer Lüge verpflichtet. „Wo Müll reingeht, kann auch nur Müll rauskommen“ – so lässt sich dieser Prozess zutreffend beschreiben. Paulus schildert diesen Zusammenhang den Christen in Ephesus:

Lebt nicht länger wie Menschen, die Gott nicht kennen!

Ihr Denken ist verkehrt und ohne Ziel, denn ohne Gottes Licht ist es finster in ihnen. Sie wissen nicht, was es bedeutet, mit Gott zu leben, und widersetzen sich ihm hartnäckig.

Ihr Gewissen ist abgestumpft, deshalb geben sie sich allen nur denkbaren Lastern hin und sind in ihrer Gier, das Leben zu genießen, unersättlich. (Eph. 4,17–19)

Das ist die natürliche Steigerung auf der Flucht vor Gott. Der Drang zur Befriedigung der eigenen Bedürfnisse führt zu einem Leben ohne Grenzen, in dem nichts verboten ist, solange man damit durchkommt. „Warum?“ wird ersetzt durch: „Warum nicht?“. Am Ende zeigt sich, dass die Sinne nie befriedigt werden können. Es gibt keine Grenze. Hingabe an die Sinne tötet Gefühle ab. Was übrigbleibt ist der gnadenlose Drang, das verzweifelte Bedürfnis, einfach zu fühlen, irgendetwas zu fühlen. Weil es das ist, was Menschen wollen – eine uneingeschränkte Lizenz –, überlässt Gott sie einem Denken, das nicht funktioniert. Gott war ihnen gleichgültig, und deshalb überließ Gott sie schließlich der ganzen Verwerflichkeit ihres Denkens (Röm. 1,28). Das Ergebnis ist eine Menschheit, die Paulus wie folgt beschreibt:

Sie sind voller Unrecht und Schlechtigkeit, voll von Habgier, Bosheit und Neid; Mord, Streit, Hinterlist und Verlogenheit bestimmen ihr Leben. Einer wie der andere sind sie gemeine Verleumder und Gotteshasser, dazu anmaßend und überheblich. Um sich Erfolg zu verschaffen, ist ihnen jedes Mittel recht. Sie verachten ihre Eltern, sind unvernünftig, treulos, lieblos und unbarmherzig. Dabei wissen sie ganz genau, dass sie nach dem Urteil Gottes dafür nichts anderes als den Tod verdient haben. Trotzdem lassen sie sich nicht von ihrem schändlichen Tun abbringen, sondern freuen sich noch, wenn andere es genauso treiben. (Röm. 1,29–32)

Ein nachdenklicher und aufmerksamer Mensch wird in dieser Beschreibung vermutlich den Normalzustand der Menschheit erkennen. Paulus hatte nicht die Hoffnung, dass sich die Dinge im Laufe der Menschheitsgeschichte bessern würden. Er glaubte nicht an „Fortschritt“, wie er gemeinhin verstanden wird. In seinem vermutlich letzten Brief, möglicherweise dem letzten Schriftstück, das er überhaupt verfasst hat, warnt er Timotheus:

In den letzten Tagen dieser Welt werden schreckliche Zeiten kommen. Dann werden die Menschen nur sich selbst und ihr Geld lieben. Wichtigtuerei und maßlose Selbstüberschätzung werden sie ebenso kennzeichnen wie Verleumdung, Ungehorsam ihren Eltern gegenüber, Undankbarkeit und Ehrfurchtslosigkeit. Lieblos und unversöhnlich werden sie sein, ihre Mitmenschen verleumden und hemmungslos leben, brutal und rücksichtslos. Sie hassen alles Gute und kennen keine Treue, diese unverschämten und aufgeblasenen Sprücheklopfer, die nur ihr Vergnügen und ihre Bequemlichkeit im Kopf haben und von Gott nichts wissen wollen. Nach außen tun sie zwar, als seien sie fromm, aber von der Kraft des wirklichen Glaubens wissen sie nichts. (2. Tim. 1,1–5)

Das klingt doch ganz nach heute, wo solches Verhalten, wenn nicht geradezu ausdrücklich akzeptiert, so doch mit Hilfe der Psychologie und juristischer oder moralischer Theorien entschuldigt wird.

Das ist tatsächlich das Endstadium aller erfolgreichen Gesellschaften bisher gewesen. Unweigerlich beginnt eine derartige Gesellschaft zu glauben, dass sie selbst für ihren Erfolg und ihren Wohlstand verantwortlich ist. Sie fängt an, sich selbst zu verehren und gegen die Auffassungen und Gewohnheiten zu rebellieren, die sie erst erfolgreich gemacht haben. Da wurden diese ehrenwerten Leute fett. Sie wurden richtig rund und dick und meinten, Gott nicht mehr zu brauchen (5. Mo. 32,15). So beschreibt die Bibel einen einst erfolgreichen Stamm.

Der Ursprung all dessen ist das radikal Böse im Herzen des Menschen, dieses Herzens, das mich selbst anstelle von Gott zum Gott macht.

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