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Kapitel 13

Es fiel mir schwer, mich als Gast auf Villa Ockenfels zu sehen. Ilona hatte zwar betont, dass mir jeder Winkel des Hauses zur freien Verfügung stand, doch allein der Gedanke, mich im hauseigenen Pool zu vergnügen, kam mir irgendwie seltsam vor. Ganz davon abgesehen, dass ich keinen Badeanzug besaß. Allerdings war auch die Rede von einer Bibliothek gewesen. Die wollte ich mir gerne ansehen.

Augenblicklich dachte ich an das Telefongespräch mit Nadine und hörte sie in Gedanken zu mir sagen: Alte Leute sprechen gern über früher. Bring sie zum Reden.

Ob sie vielleicht etwas über die Brücke von Remagen zu erzählen wusste? Ich hatte einmal einen Spielfilm darüber gesehen, doch das war lange her. Vielleicht wäre es eine gute Idee, ein paar Eckdaten über die Brücke zu sammeln und die alte Helene dann zu dem Thema zu befragen? In der Bibliothek könnte eventuell etwas darüber zu finden sein.

Ich beschloss nachzusehen, also steuerte ich die geschlossene Doppeltür an in der Annahme, dass dahinter, angrenzend an den Salon, ein guter Platz für eine Bibliothek wäre.

Hatte ich zuvor noch geglaubt, es könnte sich dabei maximal um eine Art Lesezimmer, angefüllt mit einigen Bücherregalen handeln, so wurde ich eines Besseren belehrt. Es war tatsächlich eine Bibliothek. Dieser Raum nahm die doppelte Geschosshöhe ein, die Wände waren bis zur Decke mit Mahagoni vertäfelt und zahlreiche Regale türmten sich bis hinauf unter die Decke. Es gab sogar eine hölzerne Wendeltreppe, die auf eine Galerie führte, um auch die oberen Regalreihen bequem erreichen zu können. In der Mitte des Raums stand eine gemütlich wirkende Couchgarnitur U-förmig angeordnet auf einem großen quadratischen Teppich in bordeauxrot. Es gab einen Kamin, gerahmt von zwei Ledersesseln im britischen Stil, daneben kleine Beistelltische aus Messing. In einer geräumigen Erkernische stand ein wuchtiger Mahagonischreibtisch, darauf ein großer Monitor, der offenbar an einen PC angeschlossen war, dahinter ein nicht minder schwer wirkender Ledersessel.

Überwältigt von diesem Prunk ging ich hinein und streifte meine Crocs von den Füßen, bevor ich den dicken Teppich betrat. Die weiche Oberfläche gab um einige Zentimeter nach, als meine Zehen darin versanken. Das Feuer im Kamin brannte einladend und ein Holzscheit knackte. Augenblicklich breitete sich wohlige Wärme in mir aus. Ein Gefühl von Behaglichkeit, unterstrichen von dem Geruch nach abgelagertem Holz, gepflegtem Leder und duftig leichter Möbelpolitur. Das in einem Fischgrätenmuster verlegte Parkett glänzte, als sei es frisch gebohnert, die bereitgelegten Wolldecken luden zum Verweilen ein. Hätte mir nun jemand einen Whiskey und einen Zigarillo angeboten, verwundert hätte es mich nicht. Vom Gefühl her befand ich mich nicht mehr in meiner Zeit. Mein Blick schweifte über die unzähligen Buchrücken und ich fragte mich, wie ich hier das eine finden sollte, welches etwas über die Brücke von Remagen zu erzählen wusste.

Zwischen zwei überhohen Fenstern entdeckte ich schließlich einen in die Vertäfelung eingearbeiteten Schrank, auf dem ein Messingschild angebracht war. Darauf las ich: Archiv. Die Vitrinentüren waren nicht verschlossen, also warf ich einen Blick hinein. Dahinter fand ich winzige Schubladen, ähnlich denen eines Apothekerschranks. Vorsichtig zog ich eine davon heraus und fand alphabetisch sortierte Karteikarten darin, unterbrochen von leicht erhöhten Markierungskärtchen, auf denen römische Ziffern mit daran anschließenden, numerischen Unterteilungen geschrieben standen.

Immer noch unschlüssig, wie die Handhabung dieser Art von Archivierung funktionierte, nahm ich eine lederne Kladde aus einem Regalfach und schlug sie auf. Darin gab es ein Inhaltsverzeichnis, das diverse Themengebiete auflistete, gefolgt von einer Aufstellung nach Art der vorhandenen Schriftstücke, Bücher, zusammengestellten Sammlungen von Einzeldokumenten sowie Karten in Form von Atlanten und Rollware. Es existierte sogar eine Liste über verfügbare Film- und Fotodokumente.

Mein Finger glitt über die einzelnen Listen und ich stellte fest, dass es eine hohe Anzahl von Dokumenten über maritime Themen gab. Häfen, Reiserouten, Frachtverzeichnisse und Schifffahrt im Allgemeinen. Darüber hinaus gab es hier viele geschichtliche Aufzeichnungen, Städteführer und Bildbände. Darunter auch zu Remagen und der nahen Umgebung.

Eine weitere Sparte behandelte Film- und Theaterwissenschaften, alte Filme aus dem Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts, Stumm- und Tonfilm, Fotografien, Briefe; diese Bibliothek schien unerschöpflich zu sein. Natürlich gab es auch alle Arten von Literatur. Beginnend bei Klassikern von Goethe, Lessing, Schiller zu Jules Verne, Tolstoi, Dostojewski über Thomas Mann, Hesse, Kafka bis hin zur modernen Belletristik.

Remagen war das Thema der Stunde, also suchte ich mir eine Karteikarte heraus, die auf einen Bildband hinwies, der Abbildungen der Stadt und der Brücke von Remagen enthalten sollte. Absichtlich ließ ich das kleine Schubfach offen, sodass ich später die Stelle wiederfinden würde, aus der ich die Karte entnommen hatte. Nichts lag mir ferner als auch noch Unordnung in diese wohlüberlegte Organisation zu bringen. Die Rache desjenigen, der diese Bibliothek zu betreuen hatte, würde anderenfalls mit Sicherheit fürchterlich sein.

Die Struktur der Sammlung war wider Erwarten doch einigermaßen schnell zu erfassen. Kleine Messingplaketten mit römischen Zahlen, die auf den Regalen angebracht waren, wiesen mir den Weg. Die numerischen Ziffern gaben die jeweilige Regalreihe und den entsprechenden Stellplatz des gesuchten Objekts an. Dabei spielte es keine Rolle, ob es sich um ein Buch oder ein anders geartetes Medium handelte.

Ich stieg die schmale Wendeltreppe empor und ging die Galerie entlang. Zwischen den Regalen mit den Ziffern XLII und XLIII stand wiederum ein in die Vertäfelung eingearbeitetes Schränkchen, welches allerdings nur die halbe Höhe des Archivschranks einnahm. Darüber hing ein großer Bilderrahmen mit einer vergilbten Zeichnung, die ein Schiff im Querschnitt zeigte. Es handelte sich offenbar um einen Frachter aus dem Jahr 1938, wie die Beschriftung verriet. Der Name stand in großen geschwungenen Lettern darüber: Die Goldenfels.

Ich studierte die Zeichnung ausgiebig, denn ich hatte das Gefühl, dass dieser Frachter irgendwie mit der Familie verbunden sein könnte. Hatte Ilona nicht am ersten Abend erwähnt, dass ihr Großvater einst zur See gefahren sei? Ich dachte an den Abend meiner Ankunft zurück und stellte mit Erstaunen fest, dass es ja erst gestern gewesen war, da ich durch das Portal in die große Halle getreten war und diesen üppigen Kronleuchter bewundert hatte. Sofort fiel mir auch wieder ein, was Ilona daraufhin gesagt hatte. Ihr Großvater hatte ihn aus Italien mitgebracht und dass Helene sicher mehr darüber zu erzählen wusste.

Meine Suche dauerte nur kurz. In der unteren rechten Ecke stand in einer altmodisch anmutenden Handschrift die Notiz:

Kapitän zur See

Konrad Ockenfels

1938

DDG Hansa.

Winterloh. Bragolins düstere Legende

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