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Kapitel 14

Venedig, 12. November 1938

Kapitän Konrad Ockenfels trat an Deck seines Frachters, genoss den Ausblick und verspürte ein tiefes Bedauern, da dies seine vorerst letzte Reise nach Venedig sein würde. Er schlug den Kragen des zweireihigen Mantels hoch, prüfte den Sitz seiner Kapitänsmütze und streifte sich die schwarzen Lederhandschuhe über. Mit steifem Schritt trat er an die Reling, die er hernach mit festem Griff umschloss. Es war, als spiele von den Dächern der Stadt eine Symphonie, begleitet von dem fünfstimmigen Geläut des Paron de casa, der erhaben über die Häupter seiner Bewohner wacht. Die Sonne stand noch tief am Himmel und tauchte die Gassen in morgendliche Rosé- und Goldtöne.

Sein Herz schlug für solche Momente. Zugleich wurde ihm bewusst, in welch umfassendem Maße die vor ihm ausgebreitete Idylle der politischen Umwälzung spottete. Ihr Schatten hatte beinahe mühelos die höchsten Gipfel der Alpen erklommen und ergoss sich inzwischen bis in die entlegensten Ausläufer Italiens.

Konrad zwang sich, den düsteren Gedanken zu vertreiben und schloss die Augen. Er spürte, wie die Goldenfels durch die sanften Wellen glitt, hörte das Rauschen des Meeres, wie es in die Lagune drang, an die hölzernen Pfähle schwappte, die mit Muscheln besetzt waren. Das unverwechselbare Knistern derselben, wenn sich das Wasser zurückzog. So wollte er la Serenissima in Erinnerung bewahren und er versprach sich, eines Tages zurückzukehren, um diese Schönheit mit Flöckchen zu teilen.

Er lächelte bei dem Gedanken an seine junge Frau, die daheim auf ihn wartete. Ihren Liebesschwur tief verwurzelt in seinem Herzen tragend, öffnete er die Augen, warf einen letzten Blick auf die Häuser und wandte sich dann an seine Mannschaft. Die Befehle waren schnell erteilt. Die Männer kannten jeden Handgriff und wären auch ohne ihn in der Lage gewesen, das Schiff zu ankern.

»Kapitän«, sprach ihn Hauser an, der das Amt des Zweiten Offiziers bekleidete. »Wie viel Zeit bleibt uns, die Ware an Bord zu nehmen?«

»Ich möchte spätestens Sonnabend wieder auf See sein«, sagte Konrad.

Hauser nickte knapp und wandte sich an die Mannschaft. Seine raue Stimme tönte über das gesamte Schiff: »Ihr habt es gehört! An die Arbeit! Wir haben nur sieben Tage!«

Niemand stöhnte und Konrad wusste auch, aus welchem Grund. Die Sehnsucht nach einem Weihnachtsfest im Kreise der Familie spornte sie alle an. Ihn selbst eingeschlossen, ganz gleich, wie ungewiss die Zukunft aussehen mochte.

Um keine Zeit zu verlieren, schlug er den Weg zur Brücke ein, um die notwendigen Papiere zu holen. Das Schiff musste angemeldet, die Fracht gelöscht werden, und Hauser würde ohne den Stauplan nicht seiner Arbeit nachgehen können.

Als er seine Kabine betrat, herrschte Zwielicht. Er streifte die Handschuhe ab und steckte sie achtlos in die Manteltaschen. Erst als er die Tür geschlossen hatte, atmete er hörbar aus und verlagerte sein Gewicht. Er schlurfte um den Schreibtisch herum und ließ sich seufzend auf den Stuhl sinken. Sogleich beugte er sich hinab und massierte seinen schmerzenden Fuß. Obwohl er weit entfernt von seiner Heimat war, kam ihm der ketzerische Kinderreim in den Sinn, der im Rheinland hinter vorgehaltener Hand verbreitet wurde:

Lieber Gott, mach mich blind, dass ich Goebbels arisch find.

Bislang wusste niemand von der Einschränkung, die er mit Josef Goebbels teilte, und er hatte auch nicht vor, sie zu offenbaren. Es fiel ihm von jeher schwer genug, mit der Bürde seines Klumpfußes zu leben, doch in dieser politischen Situation konnte das Wissen darum ihm nur zum Nachteil gereichen. Mit eiserner Selbstbeherrschung ertrug er den Schmerz, der bei jedem Schritt dumpf seinen Schenkel hinaufquoll.

Müde rieb er sich die Augen. Erst jetzt, da die Schrift auf den Papieren vor ihm verschwamm, wurde ihm bewusst, wie wenig Schlaf er in letzter Zeit hatte ergattern können. Er fuhr mit den Fingern die Wange hinab und rieb sich das stoppelige Kinn.

Es half nichts. Mehr als diese kurze Pause war ihm nicht vergönnt. Ein arbeitsreicher Tag wartete auf ihn. Er raffte die Papiere zusammen, atmete tief durch und kam auf die Beine. Kaum, dass er die Tür erreicht hatte, richtete er sich zu seiner vollen Größe auf, verließ gemessenen Schrittes die Kabine und trat ins Freie.

An Deck herrschte rege Betriebsamkeit, Möwen glitten über sie hinweg und stießen ihre unverwechselbaren Laute aus. Kommandos wurden erteilt und ausgeführt.

Mit dem Stauplan in der Hand ließ er den Blick über den Frachter schweifen, auf der Suche nach Hauser. Zu seiner Überraschung entdeckte er ihn auf dem Pier.

Der Offizier unterhielt sich angeregt mit einem hochgewachsenen Mann, der seinen ausgebeulten Mantel fest um den Leib geschlungen trug.

Konrad war sich sicher, dass dieser nicht zu den wenigen Passagieren zählte, die an Bord gewesen waren. Es musste sich um einen Einheimischen handeln. Stutzig wurde er jedoch erst, als Hauser auf die Goldenfels wies, ihn erspähte und sich unmittelbar von dem Mann abwandte.

Dieser folgte Hausers Blick und wirkte wie versteinert.

Konrad spürte die Augen des Fremden auf sich ruhen und fühlte sich augenblicklich unbehaglich. Es war offensichtlich, dass irgendetwas im Gange war.

Er trat die Stufen hinab und schritt Hauser entgegen, der inzwischen wieder an Bord gekommen war.

»Kapitän«, sagte dieser und hielt ihm die offene Hand entgegen.

»Was geht hier vor?«, fragte Konrad, übergab ihm die Stauliste und sah zurück zum Pier, doch der Mann war verschwunden.

Hauser senkte seine Stimme so, dass keiner der Mannschaftskameraden ihn hören konnte. »Ich war mir nicht sicher, ob es ihm möglich sein würde, uns im Hafen aufzusuchen. Er hat mich um etwas gebeten, aber ich sagte ihm, dass ich erst mit dir darüber sprechen muss.«

»Worüber sprechen?«

Seinem Tonfall haftete etwas Verschwörerisches an, als er sagte: »Lass uns bitte später darüber reden.«

Konrad musterte ihn forschend. »Wenn es etwas Ungesetzliches ist, Rudolf …«, setzte er an, doch Hauser schüttelte entschieden den Kopf. »Inoffiziell«, flüsterte er. »Du kennst mich lange genug«, rief er in Erinnerung. »Lass mir die Zeit, es dir in aller Ruhe zu erklären.«

Konrad brummte unwillig, doch er beschloss, Rudolf einen Vertrauensvorschuss zu gewähren. Solange er nichts hinter seinem Rücken tat, gab es keinen Grund zur Sorge. »Heute Abend«, sagte er bestimmt.

»Aye, Kapitän«, schloss Hauser, faltete den Stauplan auseinander und begann, ihn zu studieren.

Konrad ging gemächlich von Bord, um das Hafenkontor aufzusuchen. Gedanklich beschäftigte er sich jedoch mit Rudolf und der Erklärung, die er heute Abend hören sollte. Ohne zu wissen, was da Inoffizielles auf ihn zukam, beschlich ihn das ungute Gefühl, dass es ihm nicht gefallen würde.

Winterloh. Bragolins düstere Legende

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