Читать книгу Winterloh. Bragolins düstere Legende - Danise Juno - Страница 8
ОглавлениеKapitel 4
Was war nur in mich gefahren? Hatte ich das wirklich getan? Ich bemerkte den kurzen Seitenblick von Frau Wilms, doch sie sagte kein Wort. Der Ruf der alten Dame ließ mir keine Ruhe.
»Wie hat sie das gemeint?«, fragte ich schließlich, als wir den Gang entlang in Richtung Treppenhaus schritten.
Sie winkte ab. »Ich sagte doch, geh nicht darauf ein. Es ist einer der ältesten Tricks der Menschheit. Pflanze die Saat der Angst in die Seele deines Gegners, und er wird ihr erliegen.«
Ich dachte über ihre Worte nach und als wir in das elektrische Licht des Flurs traten, sah ich, wie Frau Wilms mich betrachtete. Scheinbar machte ich auf sie nicht den Eindruck, als würde ich verstehen, worauf sie anspielte. Sie blieb mitten im Flur stehen und lächelte nachsichtig.
»Das ist psychologische Kriegsführung«, fuhr sie fort. »Sagt dir der Begriff selbsterfüllende Prophezeiung etwas?«
Kopfschüttelnd gab ich zu, dass ich davon noch nie etwas gehört hatte.
»Das Prinzip ist denkbar einfach. Prognostiziere eine abwegig erscheinende Situation, und sie wird durch die dadurch hervorgerufene Reaktion eintreten.«
Ich verstand nur noch Bahnhof.
»Was hat sie dir nachgerufen?«
»Dass es hier Gespenster gibt«, sagte ich zögernd.
Sie schnaubte. »Das ist es, wovon ich spreche. Sie hat nichts dergleichen gesagt. Der genaue Wortlaut war: Sie wären nicht die Erste, die Angst vor Geistern hat. Erkennst du die Diskrepanz?«
Verblüfft stellte ich fest, dass Helenes tatsächlicher Wortlaut und das, was bei mir angekommen war, unterschiedlicher nicht hätten sein können. Wie war das nur möglich? Ohne dass ich die Frage stellen musste, gab Frau Wilms mir die Antwort.
»Durch ihre Aussage hat sie nicht nur impliziert, dass es Geister gibt, sondern obendrein, dass sie in diesem Haus ihr Unwesen treiben. Und was hat sie damit erreicht?«
Langsam begriff ich, was sie meinte. »Dass ich diese Nacht in meinem Bett liegen und auf jedes Geräusch lauschen werde.«
»Korrekt. Auch wenn du nicht an Geister glauben solltest, wirst du dich nun fragen, was dich in der Nacht erwartet. Diese Erwartungshaltung führt dazu, dass du eine der schlimmsten Nächte in deinem Leben verbringen wirst. Das schließt jedes kleinste Geräusch, jeden knarrenden Dachbalken, das Pfeifen des Windes mit ein. Die Konsequenz daraus ist, dass du morgen deine Sachen zusammenpackst und uns verlässt, da du dich vor einer weiteren Nacht in diesem Haus fürchten wirst.«
»Und damit hat sie ihre Wette gewonnen«, fasste ich zusammen. Ich kam mir so unglaublich dumm vor. »Aber wieso macht sie so was? Ich verstehe das nicht. Sie kennt mich doch gar nicht.«
»Es geht nicht um dich persönlich«, sagte sie und es klang resigniert.
Ja, richtig. Ihr Einsatz verriet, worum es ging. »Sondern ums Recht.«
Frau Wilms nickte. »Abgesehen davon, dass sie keine Hilfe will, was du mit Sicherheit nicht übersehen hast, beschrieb ich sie dir bereits als starrsinnig.«
»Wie viele?«, fragte ich unvermittelt und erwischte Frau Wilms ganz offensichtlich auf dem falschen Fuß. Sie hob die Brauen und sah mich fragend an.
»Wie viele hat sie schon in die Flucht geschlagen?«
»In der ersten Nacht?« Sie zögerte, dann blickte sie zu Boden wie ein ertapptes Kind. »Drei. Zwei weitere hielten eine ganze Woche durch, bevor sie kündigten.« Sie sah zu mir auf, schien in meinem Gesicht nach Verständnis zu suchen.
Ich konnte die Verzweiflung in ihren Augen lesen.
Mit einem Seufzen fuhr sie fort: »Ich will Helene nicht im Stich lassen, aber wenn sie mich dazu zwingt, werde ich es müssen. Ich kann meine Familie nicht aufgeben.«
Mein erster Eindruck hatte mich getäuscht. Sie war nicht die überhebliche Arbeitgeberin, wie ich geglaubt hatte. Im Gegenteil. Ihre Situation war genauso eingefahren wie meine. Sie bemühte sich, eine Lösung zu finden und war bislang kläglich gescheitert. Hin- und hergerissen zwischen der Sorge um ihre Großmutter und der Liebe zu ihrer Familie, hatte sie offenbar keinen anderen Weg gesehen, als mich unter falschen Voraussetzungen hierher zu locken.
Es war Mitleid, das mich zu einem sanften Lächeln veranlasste. »Ich kann Sie verstehen. Und um ehrlich zu sein, ich habe noch nie an Geister geglaubt«, sagte ich, um sie zu beruhigen und wunderte mich über mich selbst, wie glatt mir diese Lüge über die Lippen geschlüpft war.
Erleichterung legte sich über ihre Gesichtszüge. »Du glaubst gar nicht, wie froh ich bin, das zu hören. Du solltest dir trotzdem bewusst machen, dass Helene versucht hat, dich zu manipulieren. Vielleicht sollten wir gemeinsam noch einen Cognac zu uns nehmen, bevor wir den Abend schließen?«
Bei diesen Worten zuckte ich zusammen. In meinen Gedanken sah ich Dennis auf mich zuwanken, die Hand zu einer Faust geballt, hoch erhoben über seinem Kopf. »Ich trinke nicht«, sagte ich und augenblicklich wurde mir bewusst, wie harsch die Ablehnung in meinen eigenen Ohren klang. »Ich bekomme davon Sodbrennen«, beeilte ich mich zu erklären.
Ihr Blick verriet mir, dass sie mir nicht glaubte, aber es war ganz offensichtlich, dass sie entschied, nicht näher darauf einzugehen, denn sie zuckte mit den Schultern und wünschte mir eine gute Nacht. »Vergiss nicht: selbsterfüllende Prophezeiung, nichts weiter«, sagte sie, als sie die Treppe hinabging.
Ich ließ die Zwischentür geöffnet, tauchte in den schwach beleuchteten Gang ein, der zu meinem Zimmer führte und sann über Frau Wilms’ Worte nach. So, wie sich die Lage darstellte, hatte die alte Dame diese Psychospiele bereits an meinen Vorgängerinnen getestet. Wenn das zutraf, dann gab es keine Gespenster. Zumindest nicht hier.
Ich blieb vor meiner Zimmertür stehen, schüttelte den Kopf über meine eigene Naivität und drückte die Klinke.
Was für ein Gedankengang. Mit Logik hatte das jedenfalls nichts zu tun.
Die Tür rührte sich keinen Millimeter. Das Licht im Flur verlosch. Wie erstarrt stand ich auf der Schwelle, versuchte erneut, die Tür zu öffnen, doch sie weigerte sich nach innen zu schwingen. Ich drehte mich auf dem Absatz um und rief nach Frau Wilms. »Können Sie bitte das Licht wieder einschalten?«
Keine Antwort.
»Frau Wilms!«
Ich hörte Schritte in der Halle, doch da war noch etwas anderes. Ein scharrender Laut, rhythmisches Atmen. Jemand war hier. In unmittelbarer Nähe.
»Frau Wilms?«
Mein Herz pochte mir bis zum Hals. Vollkommen blind tastete ich die Wand nach einem weiteren Lichtschalter ab. »Wer ist da?«
Ein hölzernes Knacken. Ich fuhr herum. Ein kalter Luftzug erfasste mich. Ich schrak davor zurück. Die Türklinke bohrte sich schmerzhaft in mein Kreuz. Rücklings umklammerte ich sie, stemmte mich gegen das Holz. Meine Kehle war wie zugeschnürt. Ich konnte nicht schreien.
Hektisches Scharren, ein knurrender Laut. Abermals drückte ich die Klinke, stieß dieses Mal fest mit der Schulter gegen das Holz. Die Tür sprang auf. Hastig stolperte ich hinein, wirbelte herum, knallte das Blatt in die Zarge. Hektisch fingerte ich nach dem Schlüssel. Das leise Knacken im Schloss klang wie eine Erlösung. Hier kam niemand mehr herein. Mit zitternden Fingern drückte ich den Schalter und tröstliche Helligkeit flutete mein Zimmer. Ich war allein.
Vollkommen aufgewühlt rutschte ich rücklings am Holz der Tür herunter, bis ich auf den nackten Dielen saß. Mein Atem ging stoßweise, mein ganzer Körper bebte.
Hinter meinem Rücken kratzten scharfe Krallen über das Holz. Mir stellten sich die Nackenhaare auf. Fluchtartig hechtete ich von der dünnen Tür fort. Was auch immer draußen lauerte, es wollte herein.