Читать книгу Winterloh. Bragolins düstere Legende - Danise Juno - Страница 7
ОглавлениеKapitel 3
Ich zwang mich, näher hinzusehen, die tiefen Falten um Helenes Augen wahrzunehmen, die von dem diffusen Licht weichgezeichnet wurden. Erst als ich die dunklen Ringe unter ihren Augen sah, ihren aschfahlen Teint mit ihrem Alter verknüpfte, löste sich das erschreckende Bild von Dennis’ stahlblauen Augen in Rauch auf. Dennoch konnte ich die Kälte, die von Helene ausging, deutlich spüren, und ein unangenehmes Kribbeln rieselte mir den Rücken hinab.
Helene stöhnte leise, als sie sich in die Kissen stemmte und vergeblich versuchte, sich aufzusetzen.
In diesem Augenblick wirkte die knorrige Frau auf mich derart klein und zerbrechlich, dass sie mein Mitleid erregte.
Ilona eilte ihr zu Hilfe. »Großmutter, ich möchte dir Hannah Abel vorstellen. Sie soll dir von nun an zur Seite stehen und dir helfen, wenn Frau Gerber nicht zugegen ist«, sagte sie.
Die alte Dame verzog mürrisch die Lippen, ihre Augen verengten sich, als sie mich musterte. Gleichzeitig schlug sie mit der Hand nach Ilonas Arm, als wollte sie eine lästige Fliege verscheuchen. Ihre Stimme klang wie ein jahrhundertealtes Reibeisen, als sie sprach: »Geh weg. Ich kann das durchaus noch allein.« Endlich rappelte sie sich auf, strich sich die wirren Haare aus dem Gesicht und sah mich unverwandt an. »Hast du es also am Ende doch noch geschafft?«
Ich verstand nicht. Was hatte ich geschafft? Wusste sie von meiner Flucht? Woher? All diese Fragen schossen mir in Sekundenbruchteilen durch den Kopf, während ich bemüht war, ihrem Blick standzuhalten, doch dann begriff ich, dass ihre Frage Frau Wilms gegolten hatte und nicht mir.
Diese seufzte und antwortete: »Ich kann nicht nachvollziehen, warum du mir unnötig Schwierigkeiten bereitest. Ich kann nicht hier in Remagen bleiben. Das weißt du.«
Ihr Blick entließ mich und richtete sich auf Frau Wilms. »Das musst du nicht, junge Dame. Sage mir geradeheraus, dass du zu faul bist, dich um mich zu kümmern, dann wirst du enterbt wie alle anderen. Dann habe ich meine Ruhe.«
»Sprich nicht so zu mir. Das ist unrecht. Ich tue alles, was in meiner Macht steht, um dir beizustehen.«
»Ich spreche, wie es mir passt und dein geschraubtes Gequatsche kannst du dir sparen. Du bist nichts Besseres als ich!«, ereiferte sich die alte Helene. »Was macht dich so sicher, dass diese kleine Maus da …«, sie nickte in meine Richtung, »… bleiben wird?« Wieder taxierte sie mich, dann erklang ein verächtliches Schnauben. »Sie wird genauso Reißaus nehmen wie all die anderen, die du angeschleppt hast. Da gehe ich jede Wette ein.«
Ich wagte gar nicht, mich einzumischen. Jedes noch so geringe Zittern in meiner Stimme würde mich verraten, denn so wie ich sie einschätzte, war sie eine sehr aufmerksame Beobachterin. Dessen war ich mir jetzt schon absolut sicher.
Die Alte legte den Kopf schräg und zog die Brauen zusammen. »Das wäre nun Ihr Auftritt gewesen, Fräulein Abel. Der Moment, in dem Sie mir Honig ums Maul schmieren, mir beteuern, dass Sie nicht vorhaben abzuhauen und dass wir sicherlich gute Freundinnen werden …« Helene lehnte sich kaum merklich vor, doch mir entging es nicht. »… aber Sie widersprechen mir nicht? Hat es Ihnen die Sprache verschlagen?« Ihre Augen verengten sich. »Ich habe Sie praktisch beleidigt und Sie sagen immer noch kein Wort?«
Ich fühlte mich wie ein in die Enge getriebenes Kaninchen, dem bewusst wird, dass der Fuchs nur noch nach der empfindlichsten Stelle sucht, um zuzubeißen.
Frau Wilms brach das erwartungsschwangere Schweigen und kam mir damit zu Hilfe. »Genau das ist der Grund, warum ich glaube, dass sie bleiben wird.« In ihrer Stimme schwang ein gewisser Triumph.
»Wir werden sehen«, sagte Helene und ließ sich zurück in die Kissen sinken. »Wir werden sehen.«
Damit waren wir entlassen. Ilona beugte sich über die alte Dame und strich die Bettdecke glatt, dann nickte sie mir zum Zeichen, dass es an der Zeit war zu gehen.
Ich überwand die wenigen Schritte zur Tür, setzte einen Fuß über die Schwelle, als ich erneut angesprochen wurde.
»Wie wäre es mit einer Wette, Fräulein Abel?«, klang es vom Bett herüber.
Frau Wilms zischte mir kaum hörbar zu: »Nicht darauf eingehen.«
Irritiert wandte ich mich zu Frau Ockenfels um, aber schwieg.
»Ich wette, dass Sie gleich morgen früh ihren Koffer packen.«
Wir sahen uns in die Augen, keine gab nach, und ich fühlte eine ungeahnte Stärke in mir wachsen. Diese alte Frau hatte doch keine Ahnung, was es für mich bedeuten würde, hier zu versagen. Ich konnte nicht zurück. Niemals. In einem Anflug von Wahnsinn sagte ich: »Was ist Ihr Einsatz?« Ich hörte neben mir das Seufzen von Frau Wilms, ignorierte es aber beflissentlich.
Die Brauen der alten Dame zuckten in die Höhe. In ihren Augen lag sanfter Spott, als sie den Mund zu einem breiten Grinsen verzog. Ich hörte ein schmatzendes Geräusch, dann sagte sie: »Ums Recht?«
Das Herz schlug mir bis zum Hals. »Das ist mir zu wenig«, sagte ich und verließ den Raum beinahe fluchtartig ob meiner Kühnheit.
Während Frau Wilms die Tür hinter uns zuschob, drang Helenes Ruf durch den Spalt: »Sie wären nicht die Erste, die Angst vor Geistern hat!«