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Kapitel 16

Es war bereits später Abend, als Konrad die Taverne Il gabbiano nero erreichte, die sich unweit des Hafens in einer engen Seitengasse versteckte. Das Abbild einer schwarzen Möwe hing an einer Kette oberhalb des Eingangs und schaukelte sanft im Wind, der durch die Gasse strich. Die Türe knarrte leise, als er sie aufschob, und anheimelnde Wärme ihn empfing. Der Duft von gebratenem Fisch, durchzogen von vergossenem Bier und Pfeifenrauch lag in der Luft. Ein Gewirr von Stimmen schallte ihm entgegen, untermalt von einer fröhlichen Melodie, die jemand auf einem Klavier spielte.

Konrad trat in den Schankraum und ließ den Blick über die Gäste gleiten, die allesamt Matrosen zu sein schienen. Vereinzelte Tische standen im Raum verteilt, gesäumt von grob gezimmerten Holzbänken und Stühlen, die restlos besetzt waren.

Im hinteren Teil erspähte er Hauser. Er saß etwas abseits des lärmenden Treibens, vor ihm auf dem Tisch eine brennende Kerze und ein Glas helles Bier.

Konrad schlug den Weg zur Theke ein und gab bei dem rot­nasigen Wirt seine Bestellung auf. Anschließend bahnte er sich seinen Weg durch die Menge und ließ sich auf die Bank zu Rudolfs Rechten sinken. »Schwer zu finden«, brummte er und sah hinüber zur Theke, ehe er sich ihm zuwandte.

Hauser langte nach seinem Bier und sagte: »Die Taverne ist mir empfohlen worden.« Er hob das Glas und nahm einen kräftigen Zug.

»Etwa von dem Mann heute morgen?«

»Er heißt Samuel Nussbaum«, entgegnete Hauser knapp.

Konrads Brauen schnellten in die Höhe. Der Klang des Namens sagte ihm beinahe alles, was er wissen musste und ihm dämmerte, was Hauser mit inoffiziell gemeint haben könnte. Er wollte gerade ansetzen, um etwas zu sagen, hielt dann jedoch abrupt inne.

Neben ihm flötete eine vollbusige Bedienung, die wie aus dem Nichts aufgetaucht war, einige Worte auf Italienisch und stellte ihm das bestellte Bier vor die Nase.

»Mille grazie«, antwortete er freundlich und reichte ihr ein angemessenes Trinkgeld. Erst als sie ihren Tisch verlassen hatte, sah er Hauser wieder an und raunte: »Er ist Jude?«

Der Offizier nickte und hob beschwichtigend die Hand, bevor Konrad ein weiteres Wort sagen würde. »Versteh doch«, sagte er. »Der Mann hat Frau und Kinder.«

»Das haben viele.«

»Ja, aber … Hast du dir die Zeitungen angesehen?«, drang Hauser auf ihn ein.

»Ich bin nicht mit einer italienischen Ehefrau gesegnet«, brummte er unwillig. »Ich würde nur die Hälfte von dem verstehen, was sie darin schreiben.« Konrad nahm sein Glas zur Hand und trank einen Schluck.

Hauser stutzte. »Dann weißt du noch gar nicht, dass die SA vor drei Tagen die Synagogen niedergebrannt und alle jüdischen Geschäfte zerstört hat?«

Konrad verschluckte sich beinahe und setzte das Bier so heftig ab, dass es über den Rand des Glases schwappte. Er glaubte, nicht recht verstanden zu haben. »Sie haben was getan?«

»Der Judentempel niedergebrannt. Schluss mit den jüdischen Machenschaften«, zitierte Hauser und Konrad sah ihm an, dass es ihn einige Mühe kostete, leise zu sprechen. »Überall haben sie gebrannt, im ganzen Land. Das war eine groß angelegte Operation.«

»Jetzt verstehe ich, warum das Attentat von Grynszpan so hervorgehoben wurde«, sagte Konrad und stierte in sein Glas.

Hauser wirkte überrascht. »Also hast du doch die Zeitungen gelesen«, stellte er fest.

»Ich habe nur die Titelseiten gesehen, aber von den Synagogen habe ich in der Tat nichts mitbekommen.«

»Konnte man auch nur, wenn man die Zeitungen durchgeblättert hat. Man sollte meinen, dieses Ereignis hätte es bis auf die Titelseiten schaffen müssen, aber es waren nur kleine Meldungen, aus denen man nicht einmal die Brandursache herauslesen konnte.« Hauser schnaubte unwillig und warf ihm einen vielsagenden Blick zu.

»Warum schießt dieser Idiot auch auf einen Diplomaten?«

»Ernst vom Rath ist gestorben.«

»Verdammter Mist. Das werden sie allen Juden anlasten.«

»Würdest du das einfach so hinnehmen? Ich meine, wenn sie nun deine Frau abholen würden …«

»Hör auf«, brummte Konrad. »Ich habe es verstanden. Aber hier in Italien ist Nussbaum doch sicher.«

»Die Frage ist, wie lange noch. Die Gesetze ändern sich beinahe täglich, in denen sie die Juden in ihren Rechten beschneiden; er hat Angst.«

»Und was soll ich deiner Meinung nach tun? Zu Mussolini spazieren und ihm drohen, er soll ihn und seine Familie in Ruhe lassen?«, ätzte er.

»Hör ihn wenigstens an«, sagte Hauser, zog seine Taschenuhr hervor und klappte den Deckel auf. »Er hätte längst hier sein müssen«, stellte er fest. Er schien sich um den Mann tatsächlich zu sorgen.

Konrad missbilligte die Art, wie die Gestapo mit den Juden umzugehen pflegte. Aber wer war er schon, das zu ändern? Als sie das Schaufenster seines Apothekers beschmiert hatten, tat er das als kindisches Gebaren ab. Die Übergriffe sprachen da schon eine andere Sprache, aber waren die Zustände nun schon so verheerend, dass ein ganzes Volk um das nackte Leben fürchten musste? Die Nachricht von den Bränden beunruhigte ihn doch mehr, als er sich anfangs einzugestehen bereit war. Wohin sollte das noch führen, wenn selbst der Respekt vor Gotteshäusern verloren war? Er dachte an seine Möglichkeiten, die zugegebenermaßen begrenzt waren. Er sah Rudolf an und konnte die Gedanken beinahe von dessen Augen ablesen. Die Goldenfels lag im Hafen. Ein sicheres Schiff, das Venedig am Ende der Woche verlassen würde.

»Da ist er«, unterbrach Hauser seine Grübelei und richtete sich halb auf. Er hob die Hand zum Gruß.

Konrad wandte sich dem überfüllten Schankraum zu. Samuel Nussbaum hatte nur wenig Ähnlichkeit mit dem Mann, den er des Morgens am Pier gesehen hatte. Der abgetragene Mantel war einem gepflegten grauen Exemplar gewichen, die Hose lag in einer Bügelfalte und er trug ein frisches Hemd.

Nussbaum hatte sie sogleich erkannt und wand sich durch die Menschen geradewegs auf sie zu. Dabei bewegte er sich derart geschickt, dass er auf wundersame Weise mit keinem Gast zusammenstieß. Es war, als folge sein Körper einem geschmeidigen Tanz, der den Namen Unauffälligkeit trug. Würde man später nach ihm fragen, niemand hätte sich an den Mann erinnern können. Dessen war sich Konrad sicher und gleichzeitig gab es ihm zu denken. Folgte dieser Mensch in seinem Tun einer unabdingbaren Notwendigkeit?

Winterloh. Bragolins düstere Legende

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