Читать книгу Winterloh. Bragolins düstere Legende - Danise Juno - Страница 9
ОглавлениеKapitel 5
Ich saß mit angezogenen Knien auf dem Teppich vor meinem Bett. Auch wenn ich meinen Kopf gesenkt hatte, sodass mir die Locken ins Gesicht fielen, ließ ich die Türklinke keinen Moment aus den Augen aus Angst, sie könnte sich abwärts bewegen. Angestrengt lauschte ich auf jedes Geräusch. Ich wusste, dass ich abgeschlossen hatte, aber das Holz schien mir in meiner Erinnerung so unglaublich dünn zu sein.
Die kratzenden Laute waren verstummt. Stattdessen glaubte ich, ein Schnauben zu hören. Oder hielten mich meine Ohren zum Narren und es war nur mein eigener Atem, der sich stoßweise aus meiner Kehle wand?
Ich kreuzte die Arme und rieb mir die Schultern, wiegte mich kaum merklich vor und zurück wie ein verängstigtes Kind. Ich würde warten. So, wie ich es immer getan hatte. Einfach warten, bis es vorbei war …
»Hannah?«
Ich fuhr zusammen.
»Hannah? Ist alles in Ordnung?«, hörte ich Frau Wilms und ihre Stimme klang besorgt.
Ich wusste nicht, wie lange ich schon zusammengekauert auf dem Teppich gesessen hatte. Nichts war in Ordnung. Ich war mir nicht einmal sicher, ob ich überhaupt noch einen Ton herausbringen konnte, um ihr zu antworten. Ich räusperte mich vorsorglich und sagte dann laut und deutlich: »Nein.«
Frau Wilms drückte die Klinke, rüttelte an der Tür. »Warum hast du dich denn eingeschlossen? Hannah?«
Was sollte ich darauf schon antworten? Ich versuchte aufzustehen; meine Beine fühlten sich an, als wären sie aus Pudding.
In meinen Gedanken formten sich die Worte: Vielleicht, damit mich das Monster nicht fressen kann? Ich sagte keinen Ton. Ich hörte Frau Wilms hinter der Türe schimpfen. Allerdings galt ihr Fluchen nicht mir, sondern sie sagte etwas von kalt und verrückt.
Endlich schaffte ich es auf wackligen Beinen zur Tür. Zögernd hielt ich inne, dann schalt ich mich selbst. Frau Wilms wäre sicherlich angegriffen worden, wäre diese geisterhafte Kreatur noch draußen im Flur. Ich drehte den Schlüssel und zog an der Tür, doch das Holz schien verzogen, denn ich schaffte es erst im zweiten Versuch. In meiner Erinnerung formte sich das Bild, wie ich mich dagegen geworfen hatte. Endlich öffnete ich sie einen Spalt breit, gerade genug, um hinaus zu spähen.
Frau Wilms stand im Gang und drückte mit Gewalt gegen den Fensterflügel. Ein weiterer Ruck, und das Holz fügte sich in den Rahmen. Sie drehte den Knauf, dann wandte sie sich zu mir um. »Hast du das Fenster geöffnet?«
Ich trat zu ihr hinaus. Fröstelnd rieb ich mir die Arme, starrte auf den Rahmen und schüttelte irritiert den Kopf.
»Nun, vielleicht war es nicht recht verschlossen …«, sagte Frau Wilms, »… und der Wind hat es aufgedrückt.«
Während ich das Fenster musterte, hörte ich in meinen Gedanken Holz knacken. Danach hatte ich in kalter Zugluft gestanden.
Sie sah mich forschend an. »Du hast nach mir gerufen. Was ist denn geschehen?«
»Das Licht ging plötzlich aus und …« Ich wagte nicht, sie anzusehen. »Es war stockdunkel«, murmelte ich beschämt.
»Aber natürlich«, sagte sie. »Das große Flurlicht funktioniert per Schaltung. Es verlischt automatisch.«
Ihr Blick wanderte zur Decke. »Aber du hast Recht, ich hätte daran denken sollen. Die Leuchte hier im Gang ist schon seit Wochen defekt. Es ist wirklich höchste Zeit, sie instand zu setzen. Es bestand nur bisher keine Veranlassung, da dieser Flügel vor deiner Ankunft nicht genutzt wurde.«
»Wo haben denn die anderen Pflegerinnen gewohnt?«
Sie verzog die Lippen und es klang kleinlaut, als sie sagte: »Im Dachgeschoss.«
Sie wandte sich von mir ab und ging Richtung Flur. Unsicher, ob ich ihr folgen sollte, trat ich ihr wenige Schritte nach, bis sie am Durchgang stehen blieb und um die Ecke fasste. Man hätte das leise Klicken des Schalters überhören können, doch mir dämmerte in diesem Moment, was sie tat.
Zu meiner Bestätigung sah sie mir entschuldigend entgegen und kommentierte: »Sonst stehen wir gleich wieder im Dunkeln.«
»Selbsterfüllende Prophezeiung«, murmelte ich mehr zu mir selbst. Ich kam mir so unglaublich dumm vor.
»Bitte?«
Statt meine Worte zu wiederholen, sagte ich zerknirscht: »Es war vielleicht einfach zu viel für einen Tag. Bitte entschuldigen Sie, dass Sie extra wegen mir noch einmal heraufkommen mussten.«
Sie winkte mit einer Geste ab, die man immer noch hätte elegant nennen können. »Da der Cognac zur Neige gegangen ist, wollte ich ohnehin zu Bett gehen«, sagte sie gnädig und lächelte mir aufmunternd zu.
»Danke«, sagte ich schlicht. Es war mir bewusst, dass es nun an der Zeit war, in mein Zimmer zurückzukehren. Trotz der rationalen Erklärungen zögerte ich einen Augenblick.
Sie schien es zu bemerken, denn sie wurde plötzlich ernst. »Ich kenne deine Not nicht, Hannah, aber ich hoffe inständig, dass du uns eine Chance gibst.« Sie zog die Stirn kraus, dann überlegte sie laut: »Vielleicht sollte ich dir noch einige Tage zur Seite stehen, bevor ich zu meiner Familie reise.«
Wir standen uns gegenüber, unsere Blicke trafen sich. In diesem Augenblick erkannte ich, dass wir beide auf unsere eigene Weise dem Schicksal ausgeliefert waren. Sie, gefangen im Haus ihrer Großmutter, die es galt, in Zukunft versorgt zu wissen. Es war mehr als deutlich, dass ihr nichts lieber war, als bei ihrer Familie zu sein.
Auf der anderen Seite ich, die nicht zurück wollte in ein Leben, das meinem Selbstvertrauen mehr als geschadet hatte.
Meine Furcht war es, die zwischen der Erfüllung unserer Wünsche stand. Ich nahm all meinen Mut zusammen, zwang meine Stimme in ein festes Gewand, als ich sagte: »Geben Sie mir die Chance, mich einzuleben und ich werde Sie nicht enttäuschen.«
Frau Wilms nickte stumm, und ich sah in ihren Augen die Hoffnung glimmen. »Gute Nacht, Hannah«, sagte sie und ging. Sie drückte noch einmal auf den Lichtschalter, wandte sich zu mir um und lächelte mir zu. Dann sah ich sie quer durch das Treppenhaus gehen, bis sie am gegenüberliegenden Ende in den Gang trat und die Tür hinter sich schloss.
Ich ging zurück zu meinem Zimmer. Die Tür stand immer noch offen, genau so, wie ich sie verlassen hatte. Von außen zog ich sie in die Zarge, um mich noch einmal zu vergewissern, wie schwergängig sie war. Ich stellte mir vor, das Licht würde verlöschen, hörte in Gedanken das Holz des Fensters knarren und drehte mich um. Ich hatte in der kalten Zugluft gestanden und dann versucht, die Tür zu öffnen. Ich drückte die Klinke, lehnte mich sanft gegen das Blatt, doch wie erwartet rührte es sich nicht. Diesmal trat ich gegen das Holz, um meine Schulter zu schonen; die Tür sprang auf.
Während ich dachte: Guten Abend, mein Name ist Hannah Feigling und es gibt keine Geister, wanderte mein Blick ans untere Ende der Tür. Mein Atem geriet ins Stocken. Auf dem Holz waren eindeutig frische Kratzspuren zu erkennen.