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VI. Entwicklung vom preußischen StGB (1851) bis 1945
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Der heute gültige Tatbestand des Raubes kristallisierte sich erst Mitte des 19. Jahrhunderts heraus, als auch die Drohungsalternative auf Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr gegen Leib oder Leben beschränkt wurde,[105] wobei als ein für die Strafrechtsentwicklung entscheidender Schritt das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten von 1851 angesehen wird. So ist wohl Vogel zu verstehen, wenn er ausführt: „[Der] Durchbruch zum modernen Recht gelang mit dem preuß. StGB 1851 über Raub und Erpressung.“[106] Der Raubtatbestand wurde im preußischen StGB in § 230 wie folgt formuliert: „Einen Raub begeht, wer mit Gewalt gegen eine Person, oder unter Anwendung von Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben, eine fremde bewegliche Sache einem Anderen in der Absicht wegnimmt, sich dieselbe rechtswidrig zuzueignen.“[107] Als schweren Raub qualifizierte dabei § 232 den Raub mit Waffen, Banden und den Straßenraub, § 233 sah für den Raub mit schwerer Körperverletzung oder Todesfolge lebenslange Freiheitsstrafe vor.[108]
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Das preußische StGB enthielt damit im Wesentlichen die heutige Fassung des Raubtatbestandes.[109] Gleichzeitig diente es als Vorläufer des Strafgesetzbuches des Norddeutschen Bundes, das als Reichsstrafgesetzbuch[110] vom 1. Januar 1872 an im gesamten Reich galt und mit dem das Deutsche Reich damit ein einheitliches Strafgesetzbuch erhielt.[111] Der Raubtatbestand war in § 249 RStGB dabei im zwanzigsten Abschnitt wie folgt formuliert: „Wer mit Gewalt gegen eine Person oder unter Anwendung von Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben eine fremde bewegliche Sache einem Anderen in der Absicht wegnimmt, sich dieselbe rechtswidrig zuzueignen, wird wegen Raubes mit Zuchthaus bestraft. Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Gefängnißstrafe nicht unter sechs Monaten ein.“[112] Die in § 250 RStGB geregelten Raubqualifikationen fassten dabei die §§ 232, 233 des prStGB 1851 zusammen und fügte den Raub zur Nachtzeit in einem bewohnten Gebäude hinzu.[113] Nach § 251 RStGB wurde der Räuber mit Zuchthaus nicht unter zehn Jahren oder mit lebenslänglichem Zuchthaus bestraft, wenn beim Raub „ein Mensch gemartert oder durch die gegen ihn verübte Gewalt eine schwere Körperverletzung oder der Tod desselben verursacht worden ist“. Mit „Gewalt“ war die Gewalt zur Überwindung von Widerstand gegen die Wegnahme gemeint.[114] Für den qualifizierenden Erfolg hatte der Täter stets einzustehen („objektive Erfolgshaftung“).[115]
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Betrachtet man die reformgeschichtliche Entwicklung des Raubtatbestandes seit Einführung des RStGB von 1871, so sind dessen „Grundzüge […] im Großen und Ganzen bis heute beibehalten worden.“[116] So erfuhr der Tatbestand des § 249 RStGB während des Kaiserreichs und der Weimarer Republik keine Änderungen.[117] Zentraler Gegenstand juristischer Diskussionen war vielmehr das Verhältnis von Raub und (räuberischer) Erpressung, im Zuge derer verschiedene Reformvorschläge für das RStGB entwickelt wurden.[118] So wurde etwa vorgeschlagen, Raub und räuberische Besitzerpressung durch den Passus „wegnimmt und abnötigt“ in einem einheitlichen Tatbestand zusammenzufassen.[119]
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Auch zur Zeit des Nationalsozialismus erfuhr der Raubtatbestand selbst keine Änderungen.[120] Anders der Strafrahmen. Die Verordnung gegen Gewaltverbrecher vom 5. Dezember 1939[121] („Gewaltverbrecherverordnung“) ermöglichte eine „Aufstockung“ von Raubdelikten zur sog. Gewaltverbrechertat, welche die Todesstrafe als Rechtsfolge vorsah. Tatbestandsvoraussetzung des § 1 Gewaltverbrecherverordnung war das Vorliegen bestimmter Ausführungsmodalitäten;[122] daneben bildete die Einordung des Täters als „Gewaltverbrecher“ ein ausschlaggebendes Strafbarkeitskriterium.[123] Hierin zeigt sich beispielhaft die im Nationalsozialismus übliche Anwendung der Tätertypenlehre.[124]
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Hinzuweisen ist auch auf das Sonderstrafrecht für Polen und Juden im Reichsgebiet[125] und den besetzten Ostgebieten. Die Verordnung über die Strafrechtspflege gegen Polen und Juden in den eingegliederten Ostgebieten vom 4. Dezember 1941[126] („Polenstrafrechtsverordnung“) regelte nicht nur die Anwendbarkeit des deutschen Strafrechts in den eingegliederten Ostgebieten, sondern führte zudem ein Sonderstraf- und Strafprozessrecht[127] für Juden und Polen ein, das in erster Linie durch eine massive Verschärfung der Strafrahmen sowie völlige Missachtung sämtlicher Verfahrensrechte gekennzeichnet war.[128] Dies zeigt sich auch am Raub, der, sofern er gegen einen Deutschen begangen wurde, nunmehr mit der Todesstrafe geahndet wurde.[129]