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1. Überblick
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Von besonderem Interesse gerade aus deutscher Sicht ist die Rechtsentwicklung ab der germanisch-fränkischen Zeit. Erst mit dem 3. Jahrhundert n.Chr., mit der Völkerwanderung, treten die germanischen Stämme nachhaltig in die abendländische Geschichte ein.[33] Erkenntnisse über das Rechtsverständnis der Germanen[34] lassen sich insbesondere aus deren Rechtsaufzeichnungen, den seit dem 6. Jahrhundert aufgezeichneten germanischen Stammesrechten (leges barbarorum), gewinnen.[35]
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Das germanische Stammesrecht ist hierbei wesentlich durch die Begriffe der Fehde und der Versühnung sowie der Sippe als der grundlegenden rechtlichen sowie sozialen Einheit zu charakterisieren.[36] Verwirklichte ein Germane gegenüber einem anderen freien Germanen ein Delikt, war dies eine Kränkung der gesamten Sippe des Opfers.[37]Auf diese Verletzung der Sippenehre wurde mit der sog. Fehde reagiert,[38] die ihrerseits eine „offene Kampfansage an die Sippe [!] des Täters“[39] darstellte und der Art nach auch Raubhandlungen miteinschließen konnte.[40] Da die Verteidigung der Ehre zumeist einen größeren Personenkreis betraf und den Widerstand der Fehdegegner hervorrief, konnten Fehdehandlungen über eine lange Dauer hinweg fortgeführt werden, was nicht selten in regelrechten Fehdekriegen mündete.[41] Aus diesem Grund bestand ein großes Interesse an der alternativ zur Fehde möglichen Versühnung: Mit einer Vereinbarung von Ausgleichszahlungen konnten bestehende Fehden beendet werden bzw. auf diese verzichtet werden.[42] Hierfür wurde in den germanischen Stammesrechten ein Kompositionensystem (von lat. compositio) festgelegt, welches für Vermögensbeeinträchtigungen, Verletzungen und Tötung Bußsätze vorsah, deren Höhe für die Opferseite einen ehrmäßig akzeptablen Richtwert darstellen sollten.[43] Auch das Delikt des Raubes findet sich in den Bußkatalogen, etwa im Edictum Rothari, einer Gesetzessammlung des Langobardenkönigs Rothari von 643. Hierbei ist etwa für den Straßenraub eine Buße von 20 solidi (1 solidus = 1 Schilling)[44] vorgesehen, im Falle eines Blutraubes bzw. Raubmords ist neben dem Wergeld eine Buße von 80 solidi zu zahlen[45], eine immens hohe Summe, vergleicht man diesen Betrag mit dem Bußsatz der fränkischen Königsbannbuße (60 solidi)[46].
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Neben den germanischen Rechtsbüchern,[47] sind die seit dem 13. Jahrhundert entstandenen Rechtsbücher[48] eine zentrale Quelle für die Beschäftigung mit dem germanischen bzw. germanisch-deutschen Recht. Durch das Aufkommen der Städte seit dem 12. Jahrhundert entstanden zahlreiche Rechtssammlungen in Form von Stadtrechten, in die auch das örtliche Gewohnheitsrecht einfloss. „Zum Kernbestand der Stadtrechte […] gehören von Anfang an auch strafrechtliche Regelungen, die den Stadtfrieden sichern.“[49] Mit dem Aufkommen dieser neuen Rechtsquellen ging das Bedürfnis nach der Aufzeichnung des Rechts einher. Bei diesen Aufzeichnungen handelt es sich jedoch keineswegs um staatlich angeordnete Kodifikationen, sondern vielmehr um private Rechtssammlungen, sog. „Rechtsbücher“[50] oder „Rechtsspiegel“[51]. Größte Bedeutung kommt hierbei dem sog. Sachsenspiegel, der zwischen 1220 und 1235 von dem sächsischen Adligen Eike von Repgow aufgezeichnet wurde,[52] sowie dem später zusammengestellten Schwabenspiegel (ca. 1275) zu.