Читать книгу Phönix aus den Flammen - Desirée Scholten - Страница 10
ОглавлениеKapitel 6
„Das unterschreibe ich nicht!“, donnerte der Geheimdienstagent kompromisslos.
Das Dokument, das der Controller ihm zur Durchsicht gereicht hatte, flog zurück auf den Schreibtisch.
Beide Männer maßen sich eine Weile schweigend, über die kurze Distanz hinweg, bevor der alte Mann hinter dem Schreibtisch tief seufzte.
„Du solltest deine Entscheidung noch einmal überdenken, mein Freund“, betonte der Controller freundlich.
Sein zerfurchtes Gesicht zeigte fast so etwas wie ein mildes Lächeln, als er den blonden Geheimdienstagenten vor seinem Schreibtisch musterte.
Der blonde Schönling lachte trocken auf, während er entschieden den Kopf schüttelte.
„Es gibt hier nichts zu überdenken! Ich werde kein Dokument unterzeichnen, dass einen Kollegen vors Erschießungskommando bringt!“, beharrte er kompromissloser als es für ihn üblich war.
Der Blonde war als ein Mann mit durchaus flexibler Loyalität bekannt, doch die wenigen Prinzipien, die er besaß, war er nicht bereit zu brechen.
„Du machst einen großen Fehler“, betonte der Controller nachsichtig, doch der Geheimdienstagent beachtete ihn nicht mehr, als er entschlossen zur Tür ging.
„Mein Fehler war es das Crucify-Protokoll für euch zu entwickeln!“, schnappte der blonde Agent kalt.
Die blauen Augen, in denen es die meiste Zeit über spitzbübisch funkelte, blickten hart zu dem Mann hinter dem Schreibtisch.
„Jetzt auszusteigen, ist die erste richtige Entscheidung seit drei Jahren!“
„Bist du dir sicher, dass dies dein letztes Wort ist?“
Mit einem ärgerlichen Schnauben fuhr der Geheimdienstagent zu dem Mann hinter dem Schreibtisch herum.
„Allerdings bin ich mir dessen sicher!“
Der Controller schenkte ihm ein undurchsichtiges Lächeln, bei diesen Worten.
„Also schön!“, gab sich der Alte geschlagen, wenngleich es in seinen gelben Augen eigentümlich funkelte.
„Ich hoffe nur, dass sich deine letzte sexuelle Eskapade nicht allzu negativ auf die Senatskandidatur deines Vaters und deine weitere Karriere auswirken wird“, rief der Controller ihm trügerisch freundlich zum Abschied nach.
Der blonde Schönling blickte den Alten an, als hätte er den Verstand verloren.
Mit einem kalten Grinsen griff der Controller zu einer Akte und hielt sie dem Geheimdienstagenten einladend entgegen.
Widerwillig trat der Blonde wieder in das Büro hinein und nahm die Akte mit steifen Fingern entgegen.
Seine perfekten Gesichtszüge verrieten bereits, dass er nichts Gutes ahnte.
Alle Farbe wich aus seinem sonnengebräunten Gesicht, als er die Fotos sah.
Sie zeigten ihn in eindeutig kompromittierender Pose mit einer attraktiven Brünetten.
„Wie du den beigefügten Dokumenten entnehmen kannst, war die Kleine, mit der du sexuell aktiv warst noch minderjährig“, wies ihn der Controller belustigt hin.
„Sie hat gesagt, sie sei Mitte zwanzig“, murmelte er erschrocken.
Der Controller zuckte mit einem mitleidigen Blick mit den Schultern, als wollte er fragen, was dies an den Tatsachen ändern könnte.
„Und wenn du einmal weiterblättern willst, dann habe ich hier eine eidesstattliche Erklärung des Mädchens, dass du darüber hinaus gegen ihren Willen mit ihr sexuell aktiv warst.“
Der Triumph zeigte sich deutlich in seinen Augen.
Er wusste, dass er gewonnen hatte, wusste, dass der blonde Agent keine andere Wahl hatte, als dieses Dokument zu unterschreiben.
Wenn diese Fotos an die Öffentlichkeit kämen, wäre er erledigt und er könnte nur noch hoffen und beten, dass er sich schnell genug eine Kugel in den Kopf jagen könnte, bevor seine Kollegen ihn in die Finger bekämen, das wussten sie beide.
Resignation zeigte sich auf den Zügen des blonden Mannes und verwischte auch die letzten Reste von Unglauben darüber, dass es ausgerechnet seine Frauengeschichten sein mussten, die ihm zum Verhängnis wurden.
Mit einem gequälten Seufzen trat der Geheimdienstagent ganz an den Schreibtisch des Controllers heran und nahm mit zitternden Fingern den Kugelschreiber entgegen, den er ihm reichte.
Seine Unterschrift schien ihm unglaublich schwer von der Hand zu gehen, bevor er das Dokument dem Alten wieder zuschob und mit schnellen Schritten das Büro verließ.
*
„Schön, vielleicht bin ich doch verrückt“, lenkte Cathrynn seufzend ein.
Sie kuschelte sich tiefer in Nathans Umarmung, während ihr Blick weiterhin durch den dunklen Garten wanderte.
„Ich erkenne mich zwischendurch selbst nicht wieder.“
Es hatte keinen Sinn die Wahrheit länger zu leugnen, Nathan kannte sie ohnehin.
„Du hast viel durchmachen müssen. Das ist nicht spurlos an dir vorbeigegangen“, erinnerte Nathan sie sanft.
Cathrynn nickte versonnen.
Tränen sammelten sich wieder in ihren Augen.
„Alles ist so gottverdammt hoffnungslos, ich habe Angst mich völlig aufzulösen, wenn nicht bald etwas passiert.“
Anstelle einer Erwiderung schloss Nathan sie fester in die Arme.
Cathrynn verstand seine Botschaft.
Sie konnte sich auf ihn verlassen.
Er war für sie da, egal was kommen würde.
Sie schloss die Augen, genoss seine Wärme, während sie sich etwas beruhigte.
Nathan hatte schon immer diese Wirkung auf sie gehabt.
Egal wie sehr ihre Welt aus den Fugen geriet, Nathans Gegenwart spendete ihr Trost.
Egal wie beschissen sie sich fühlte, seine Umarmungen gaben ihr Kraft weiterzumachen.
Egal wie hoffnungslos alles erscheinen mochte.
Cathrynn ließ sich eine Weile in dem wohligen Gefühl treiben, bevor sie sich vorsichtig aus seiner Umarmung befreite.
Einen Moment musterte sie ihn versonnen.
„Tut mir leid“, flüsterte sie heiser, als ihre Finger sachte über seine aufgeplatzte Lippe strichen.
Nathan nickte.
„Ich werde es überleben“, betonte er mit einem schiefen Grinsen.
„Lass mich bitte nicht hängen.“
Eine einzelne Träne bahnte sich den Weg über ihre Wange.
„Du weißt, dass ich immer für dich da bin, Schatz“, versprach er leise, bevor er sie wieder in seine Arme zog.
„Du musst mir aber auch die Chance geben, dir zu helfen“, murmelte er müde, den Kopf in ihrem wirren schwarzen Haar vergraben.
Cathrynn nickte, mit einem bitteren Lachen.
„Ich habe wirklich versucht mit Ians und Eirins Tod abzuschließen.“
Sie wandte sich wieder der Dunkelheit außerhalb des Fensters zu, wünschte für einen Moment mit ihr zu verschmelzen.
Wie gerne würde sie sich völlig in der Schwärze auflösen.
Keine Gedanken mehr.
Keine Gefühle.
Keine Verzweiflung.
Kein Schmerz.
Nur Vergessen.
Schwarzes, seliges Vergessen.
„Immer, wenn ich denke, dass ich auf dem richtigen Weg sein könnte, ist da diese Mauer und ich kann nicht…“
Sie fand nicht die Worte, die sie brauchte, um Nathan verständlich zu machen, was in diesen Momenten in ihr vorging.
„Ich weiß es auch nicht.“
„Du kannst nicht weitermachen, weil du glaubst, kein Recht mehr auf ein normales Leben zu haben. Du glaubst, dass du sie damit verraten würdest.“
Cathrynn fuhr zusammen.
Woher kannte er ihre Gedanken?
Warum konnte er sie in Worte fassen?
„Glaubst du wirklich, dass es das ist, was Ian sich wünschen würde?“
Cathrynn lachte rau auf, bevor sie den Kopf schüttelte.
„Machst du Witze?“
Für einen Moment sah sie McConaghey deutlich vor sich.
Seinen fassungslosen Blick, sein ungläubiges Kopfschütteln, den deutlichen Ärger in seinen perfekten Zügen.
„Ian würde mich umbringen.“
Das war nicht übertrieben.
Er hätte kein Verständnis für ihr Verhalten gehabt.
„Er würde wahrscheinlich solange auf mich eindreschen, bis ich begreife, dass ich mich vollverblödet und irrational verhalte und unsere gesamte Arbeit damit gefährde.“
Für einen Moment hörte sie McConagheys Stimme wirklich in ihrem Kopf.
Sie wusste, was er von ihr erwartet hätte.
Sie hatten in der Vergangenheit oft über die Möglichkeit gesprochen, dass sie jederzeit im Einsatz bleiben konnten.
„Ian hätte gewollt, dass ich weiter mache, dass ich meinen verdammten Job mache, ihn vergesse.“
Sie lachte trocken.
„Ich hätte dasselbe von ihm erwartet, wenn unsere Rollen vertauscht gewesen wären.“
Für einen Moment kam sie nicht umhin sich zu fragen, wie es wohl gewesen wäre, wenn ihre Rollen tatsächlich vertauscht gewesen wären.
Wie hätte McConaghey reagiert?
Was hätte er getan?
Wieder sah sie ihn deutlich vor ihrem inneren Auge.
Sie kannte die Antwort.
Er hätte weitergemacht.
Vielleicht hätte er eine Weile getrauert.
Doch unterm Strich wäre er binnen weniger Wochen zum Tagesgeschehen übergegangen.
Das lag in seiner Natur.
Sie blickte Nathan gequält an.
Wie sollte sie ihm erklären, warum sie nicht tun konnte, was alle von ihr erwarteten?
„Du musst aufhören, dir die Schuld zu geben, du hättest nichts tun können, weder für Ian noch für Eirin“, betonte Nathan eindringlich.
„So schwer es dir fällt, du darfst dich nicht länger dafür bestrafen. Was geschehen ist, lag nicht in deiner Hand.“
Cathrynn erschrak erneut.
Nathan hatte ins Schwarze getroffen.
Sie fühlte sich schuldig.
Sie wollte sich bestrafen.
Doch wie konnte Nathan das wissen?
Es wurde ihr selbst gerade erst bewusst.
Sie federte zu ihm herum, suchte seinen Blick und erstarrte über den Schmerz, der sich aus ihrem Inneren auf seine Züge geschlichen zu haben schien.
Erkläre dich, formulierte sie sanft mit ihren Augen.
Nathan schüttelte schwach den Kopf, bevor er ihr einen Kuss auf den Scheitel gab.
„Nicht heute Abend, Cat.“
Die Traurigkeit, die aus seiner Stimme und seinem müden Lächeln sprach, ließ sie einen Moment zusammenfahren.
„Das heben wir uns besser für unser nächstes Besäufnis auf.“
Zum ersten Mal, seit sie Nathan kannte, wurde ihr klar, dass auch er seine Wunden mit sich herumtrug.
In den fast fünfzehn Jahren, die sie ihn nun kannte, wurde ihr heute, als sie sein müdes Lächeln sah, bewusst, dass auch er einiges durchgemacht haben musste.
Natürlich hatte er das.
Er war Hunter geworden.
Jeder von ihnen hatte sein früheres Leben durch ein erschütterndes Erlebnis verloren.
Jeder von ihnen schleppte seine persönliche Hölle mit sich herum. Das war es, was sie bei der Arbeit hielt.
Mit deutlicher Neugierde musterte sie ihren Freund weiter.
In seinem Leben vor den Huntern, erinnerte sie sich, war er Psychologe gewesen.
Cathrynn stutzte kurz, als ihr zum ersten Mal in all den Jahren auffiel, dass sie außer seinem Beruf überhaupt nichts über die Vergangenheit ihres besten Freundes wusste.
Für einen Augenblick kam sie nicht umhin sich zu fragen, was für ein Mensch er wohl gewesen war, bevor das Schicksal sein Leben zerstört hatte.
Sie suchte nach Hinweisen in seinem vertrauten Gesicht, doch es verriet nichts.
Sie hatte vielmehr das Gefühl, als würde sie ihn heute zum allerersten Mal wirklich sehen.
Ihr Blick glitt über die abgetragene, löchrige Jeans und das zerknitterte T-Shirt, die seine Statur verhüllten.
Die Muskeln, den leichten Bauchansatz.
Die breiten Schultern, an denen sie schon so oft zusammen gebrochen war.
Sie begann sein Gesicht zu erforschen.
Das Gesicht, das sie so oft gesehen hatte, ohne es wirklich wahrzunehmen.
Cathrynn sah erste Anzeichen von Grau in seinen wirren dunklen Haaren.
Sie sah erstaunlich tiefe Falten, die Trauer und Anspannung um seine Augen und seinen Mund gegraben hatten.
Das Leben, das er führte, hatte seine Züge hart werden lassen.
Während sie den Blick über seine Bartstoppeln gleiten ließ, kam sie nicht umhin sich zu fragen, ob ähnliche Spuren in ihrem Gesicht zu finden waren.
Wie in Trance hob Cathrynn ihre linke Hand.
Ihre Finger berührten zärtlich seine geschwollene Lippe.
Fuhren sanft über den Bluterguss an seinem Kinn, bevor sie langsam weiter glitten.
Sie zeichnete gedankenverloren die längst verblasste Narbe auf seiner rechten Wange nach, während ihre Blicke sich trafen.
Für einen Moment versank sie im tiefen Braun seiner Augen.
Eine unglaubliche Sanftheit und Zärtlichkeit sprach aus ihnen, genau wie eine tiefe Traurigkeit.
Was war Nathans Geschichte?
Gegen welche Dämonen kämpfte er jeden Tag?
Sie suchte in seinen harten, unbewegten Zügen nach einem Hinweis auf die Schrecken, die er gesehen hatte.
Die ihn hierher geführt hatten.
Ohne nachzudenken, ließ sie ihre Hand von seinem Gesicht gleiten.
Ihr Atem beschleunigte sich, als sie die harten Brustmuskeln und seinen beschleunigten Herzschlag unter ihrer Handfläche spürte.
Sie stieß den angehaltenen Atem aus, als sie in seinem Blick ertrank.
Quälend langsam näherte sein Gesicht sich ihrem.
Sie spürte seinen warmen Atem über ihre Wange streichen, als seine Hand sich schüchtern auf ihre Hüfte legte.
Sie schloss die Augen und wartete.
Sekunden verstrichen quälend langsam, als ihr Daumen leicht seine Muskeln nachzeichnete.
„Ich glaube, wir beide sollten versuchen noch ein wenig Schlaf zu bekommen“, flüsterte Nathan heiser.
Seine Hand an ihrer Hüfte war verschwunden.
Sein Atem streifte ihr Gesicht nicht mehr.
Sie öffnete die Augen.
Ihre Hände sanken herab.
Der Bann war gebrochen.
Es war nur Nathan, der vor ihr stand.