Читать книгу Phönix aus den Flammen - Desirée Scholten - Страница 5
ОглавлениеKapitel 1
Die Hotelsuite lag still da, wenn man von dem Rascheln der Papiere absah, die die vier Männer durchblätterten, seit sie sich vor einer Stunde hier getroffen hatten.
Sie alle waren einflussreiche Größen in Wirtschaft und Regierung und kannten sich seit Jahren.
Abgesehen von ihrem Ansehen und ihrer Stellung in der Waffenindustrie, sowie den maßgeschneiderten Anzügen, die sie von demselben Schneider anfertigen ließen, verband sie nur das Ziel, das sie verfolgten.
Sie waren Spieler und in den letzten Jahren hatten sie mit hohen Einsätzen gespielt. Nun strebten sie auf eine Wegkreuzung zu, an der sie nur noch zwei Möglichkeiten hatten. Sollten ihre Pläne aufgehen, wäre es ein Sieg auf ganzer Linie, der die Geschichte maßgeblich beeinflussen würde. Wenn sie jedoch scheiterten wäre das das Ende.
Dieses Wissen spiegelte sich deutlich in den von schwachem Mondlicht erhellten Gesichtern der Männer wieder. Ihre Anspannung war fast greifbar, gleich eines formlosen fünften Mannes, der reglos und stumm in einer der Ecken ausharrte, bereit über seine Kumpane herzufallen.
Einer von ihnen erhob sich mit einem ärgerlichen Grunzen und trat an das Fenster heran, blickte hinaus auf die nächtliche Washingtoner Skyline. Das Licht eines Feuerzeugs erhellte kurz seine attraktiven Züge.
„Was Sie vorschlagen ist Wahnsinn, Professor“, murmelte er mit einem angedeuteten Kopfschütteln.
Seine braunen Augen glitten gehetzt durch den Raum, als er sich mit der Hand durch das zurückgegelte Haar fuhr.
„Das ist blanker Wahnsinn“, wiederholte er mit einer Unsicherheit in der Stimme, die ihm nicht ähnlich sah. Sein souveränes Auftreten war seine Waffe und er verstand sie einzusetzen. Er war es, der Meinungen beeinflusste und Entscheidungen lenkte. So hatte er seinen Einfluss in der Waffenlobby gewonnen, nicht dadurch, in banger Anspannung herumzustehen und Andere über sein Schicksal entschieden zu lassen.
„Diese Testperson ist ein Fiasko, das habe ich Ihnen allen schon vor Jahren gesagt.“
Ärgerlich drückte er seine nur halbgerauchte Zigarette aus.
„Wir alle kennen Ihre Bedenken zur Genüge, Mr. Duncan“, erwiderte der Professor mit schneidender Stimme. Der kalte, stechende Blick seiner Augen strafte sein nachlässiges Auftreten Lügen.
„Dennoch kann ich hier nur wiederholen, dass wir in all den Jahren, seit Beginn unserer Forschungen, nie eine vielversprechendere Testperson gefunden haben.“
Mit einem harten Lachen ließ sich der Lobbyist zurück in die weichen Polster des Sessels sinken.
„Wenn Sie so begeistert von der Testperson sind, Professor, schlage ich vor, dass wir sie entführen und Sie eine neue Versuchsreihe mit ihr starten“, knurrte der Lobbyist abfällig. Seine Abneigung gegen den Wissenschaftler stand deutlich in seine ebenmäßigen Züge geschrieben.
„Ich denke, dass niemand hier Interesse an einer weiteren genetischen Versuchsreihe hat, deren Ergebnisse bereits hinreichend bekannt sind, Mr. Duncan“, ließ sich der Professor nicht beirren.
„Wir stehen hier vor unserer bahnbrechendsten Erkenntnis, sollte sich meine Vermutung bewahrheiten.“
Der Lobbyist lehnte sich mit einem freundlichen Lächeln auf den vollen Lippen zurück.
„Genau das ist es, was mir Magenschmerzen bereitet, Professor. Ihr Vorschlag basiert einzig und allein auf vagen Vermutungen“, betonte er trocken, bevor er sich wieder aus dem Sessel erhob.
„Wie jeder in diesem Raum, kennen auch Sie die Ergebnisse der Midnight-Experimente“, erinnerte der Professor nachsichtig.
„Das ist richtig. Dennoch bin ich nicht bereit, nur auf Grund einer Vermutung alles, was wir uns erarbeitet haben, auf eine Karte zu setzen.“
Auch der Professor erhob sich nun ärgerlich, doch der Lobbyist schnitt ihm das Wort ab, bevor er zu einem Widerspruch ansetzen konnte.
„Sie vermuten, dass diese Testperson den Durchbruch liefern kann, auf den wir warten und ihre Vermutungen stützen sich ausschließlich auf Überwachungsergebnisse und Statusberichte eines opportunistischen Bastards, der uns wahrscheinlich genau das sagt, was wir hören wollen“, fasste er es ärgerlich zusammen.
„Ich verlasse mich hier nicht ausschließlich auf die Berichte unseres Mannes und das wissen Sie, Mr. Duncan“, erwiderte der Professor spitz. Die Worte des anderen Mannes schienen ihn in seiner Wissenschaftlerehre gekränkt zu haben.
„Ich weiß vor allem anderen eines, Professor“, fuhr der Lobbyist ihn barsch an.
„Ich weiß, dass es vielleicht unter Laborbedingungen möglich ist, einen Menschen soweit zu manipulieren, dass er die ausgeprägten soziopathischen Tendenzen zeigt, die für unsere Ziele von Nöten sind, doch ich bezweifele, dass es in einem normalen Umfeld gelingen kann.“
„Meine Herren, bitte! Wir sollten uns alle nun wieder beruhigen“, unterbrach eine dritte Stimme den immer hitziger werdenden Disput. Drei Augenpaare richteten sich auf den Sprecher.
„Ich stimme mit Professor Koczinski überein, dass die bisherigen Ergebnisse beeindruckend sind und die Testperson unsere Erwartungen bei weitem übertroffen hat“, betonte der betagte General mit seiner angenehm tiefen Stimme.
„Dennoch hege auch ich gewisse Zweifel und befürchte, dass wir die Angelegenheit möglicherweise überstürzen.“
Mit einem nachdenklichen Blick zu Professor Koczinski begann er seinen Gehstock kreisen zu lassen.
„Ich möchte hier unter keinen Umständen offenen Auges in ein zweites Eternity-Desaster hineinstolpern.“
Allgemeines Nicken antwortete ihm, als er ihrer aller Befürchtung offen formulierte.
Jedem in diesem Raum war der nahezu legendäre Fehlschlag der Menschenversuche im zweiten Weltkrieg bekannt, genau wie die furchtbaren Konsequenzen, die er, trotz der folgenden Vertuschungsaktion, nach sich gezogen hatte.
„Ich verstehe Ihre Befürchtungen, General“, betonte der Professor beschwichtigend.
„Ich kann allerdings nur noch einmal betonen, dass sich uns vielleicht nie mehr eine derart gute Chance bietet die nächste Versuchsphase einzuleiten, wie jetzt.“
Papier raschelte, als der Professor die Akte wieder aufschlug.
„Wir begehen einen großen Fehler, wenn wir jetzt nicht im Kielwasser der jüngsten Ereignisse fahren und die Dynamik, die in Gang gesetzt werden wird, für unsere Zwecke nutzen.“
Ein Räuspern ertönte und alle Augen richteten sich auf den Mann, der sich in den Sessel unweit der Tür gequetscht hatte.
„Wir drehen uns im Kreis, wenn wir den ganzen Abend damit zubringen, uns in den Für und Wider zu ergehen, die wir anhand der Erfolge und Fehlschläge anderer Männer gegeneinander abzuwägen versuchen“, ermahnte er die Anderen ruhig.
„Auch wenn ich ebenfalls skeptisch bin, so bin ich ebenso neugierig darauf, wie die nächste Testphase sich entwickelt.“
Der Sessel knarrte protestierend, als er sich zurücklehnte und die Arme vor dem gewaltigen Bauch verschränkte.
„Es wundert mich nicht, dass Sie so denken, Mr. Sharp“, knurrte der Lobbyist ätzend. Seine Augen richteten sich auf den Mann, der von ihnen allen den entspanntesten Eindruck machte.
„Nachdem Ihre Firma bereits zwei Skandale überstanden hat, haben Sie außer einem kurzfristigen Fall der Aktien auch nichts zu verlieren.“
Der Konzernchef eines angesehen Waffenunternehmens begann schallend zu lachen.
„Nur keine falsche Bescheidenheit, Mr. Duncan. Ich bin mir sicher, dass Ihr guter Freund Senator Williams Ihnen auch ein zweites Mal helfen wird, mit reiner Weste und sauberem Ruf aus dem Skandal herauszukommen, sollten wir hier scheitern“, konterte er heiter.
„Ich denke, es ist das Beste, wenn wir darüber abstimmen, ob wir es wagen wollen oder nicht“, schlug er vor, bevor der Lobbyist etwas auf den Spott erwidern konnte. Allgemeines Nicken antwortete ihm.
„Professor?“
Koczinski nickte bedächtig.
„Ich bin dafür, dass wir die nächste Phase einleiten.“
„General?“
Der Mann mit dem weißen Bürstenschnitt schloss einen Moment die Augen.
„Irgendwann müssen wir es versuchen, wenn wir jemals weiterkommen wollen“, murmelte er versonnen.
„Ja oder nein?“
„Ja, aber… .“
„Gut, Mr. Duncan?“
„Ich bin entschieden dagegen!“
„Damit steht es drei zu eins, dafür, dass wir die nächste Phase einleiten“, fasste der Konzernchef es zusammen, bevor sein Blick wieder zu Professor Koczinski glitt.
„Professor, informieren Sie unseren Mann, dass er grünes Licht für die Destruktionsphase hat.“
Koczinski nickte eifrig, bemüht sich seinen Triumph nicht anmerken zu lassen.
„Ich kann hier nur noch einmal betonen, dass wir einen großen Fehler machen!“, rief der Lobbyist ärgerlich, als die Männer sich erhoben und auf die Tür zu strebten.
„Es ist Wahnsinn unsere bisherige Arbeit auf Gedeih und Verderb in die Hände eines gewissenlosen Psychopathen zu legen, den wir kaum kennen.“
*
„Nein!“
Gottverdammte Scheiße, nein!
Cathrynn schrie noch immer als sie erwachte. Schweiß rann ihr Gesicht hinab und mischte sich mit Tränen, die ungewollt aus ihren Augen flossen.
Sie hob den linken Arm, um die klebrige Feuchtigkeit fortzuwischen.
Er bewegte sich nicht von ihrer Seite.
„Lass mich los, Frank!“
Ärgerlich kämpfte sie gegen den Griff an, der sie unten hielt.
Sie blinzelte irritiert, als ihr bewusst wurde, dass es keine Hände waren, die sie hielten und der Untergrund auf dem sie lag, nicht der dreckige, harte Boden war, auf dem sie nach dem Einsturz des Farmhauses zusammengebrochen war.
Zu überrascht, um klar zu denken oder Traum und Realität voneinander zu scheiden, blickte sie sich orientierungslos um. Ihre Augen hatten sich noch nicht weit genug an die Dunkelheit gewöhnt, um mehr als diffuse Schatten zu erkennen.
Wo war sie, fragte sie sich angespannt, aber die Dunkelheit gab ihr keinen Aufschluss darüber.
Wieder wollte sie den Arm heben, um sich über das feuchte Gesicht zu fahren, doch noch immer nagelte etwas ihn neben ihrem Oberkörper fest.
Mit einem genervten Seufzen wandte sie ihren dröhnenden Kopf nach links und keuchte erschrocken bei dem Anblick, der sie dort erwartete.
Ein breiter Lederriemen war um ihr Handgelenk befestigt und darunter wand sich ein Verband fast den gesamten Unterarm hinauf.
Schnell drehte sie den Kopf nach rechts, wo sie fassungslos eines identischen Bildes ansichtig wurde.
Sie versuchte sich aufzurichten, doch ihr Oberkörper bewegte sich nur wenige Zentimeter von der harten Matratze.
„Beschissen wunderbar“, murrte sie seufzend, als sie sich in das gestärkte weiße Kissen zurücksinken ließ.
Langsam wurde ihr der Unterschied zwischen Realität und Alptraum wieder bewusst, als die Erinnerungen zurückkamen.
Das einstürzende Farmhaus, das sie in ihren Alpträumen verfolgte, war Vergangenheit, nur eine quälende Erinnerung, die sie, auch ein halbes Jahr nach der ungewöhnlich kalten Novembernacht, nicht losließ.
In ihren Augen sammelten sich neue Tränen.
Noch immer fiel es ihr erschreckend schwer, an den vergangenen 26. November zurückzudenken, an dem McConaghey im Einsatz geblieben war.
Noch immer war es ihr fast unmöglich, an McConaghey zu denken, für den jede Hilfe zu spät gekommen war.
Cathrynn bezweifelte, dass sie jemals damit abschließen würde, dennoch sah die Gegenwart genauso aus.
McConaghey hatte es nicht mehr rechtzeitig aus dem brennenden Haus hinausgeschafft und sie war seit dieser Nacht nicht mehr sie selbst gewesen, wie ihre Kollegen ihr einstimmig in den letzten Monaten immer wieder vorgeworfen hatten.
Auch wenn sie es nicht wahrhaben wollte, wusste sie, in einem, in letzter Zeit selten beachteten, Winkel ihres Verstands, dass sie recht damit hatten.
McConagheys Tod hatte sie aus der Bahn geworfen und sie war nicht damit fertiggeworden ihn verloren zu haben. Doch es waren die Ereignisse nach dem missglückten Einsatz gewesen, die sie wirklich hatten zusammenbrechen lassen.
Sie war zusammengebrochen, erinnerte Cathrynn sich bitter und in den vergangenen sechs Monaten hatte sie nicht die Kraft gefunden, wieder aufzustehen.
Mit einem trockenen Schluchzen schloss sie die Augen. Sie hatte nicht einmal mehr die Kraft daran zu denken.
Hätte ihr jemand vor diesem 26. November des vergangenen Jahres gesagt, was die nahe Zukunft für sie bereithielte, hätte sie mit einem schallenden Lachen zu ihrer Beretta gegriffen und den Betreffenden für diese Behauptung erschossen.
Was hätte sie noch aus der Bahn werfen sollen, hätte sie lachend gefragt.
Bilder von entstellten, zerfetzten Leichen stiegen vor ihrem inneren Auge auf.
Sie hatte, seit sie für die Hunter arbeitete, alles gesehen.
Was hätte sie noch schockieren können?
Sie trotzte dem Wahnsinn, den der Job mit sich brachte und dem Druck, als einzige Frau in einem Haufen ungehobelter Ex-Special Forces, die beim ersten Anzeichen von Schwäche über sie herfallen würden, jeden Tag.
Was hätte sie noch erschüttern sollen?
Momentaufnahmen von verschiedenen Einsätzen blitzten auf, fügten sich zu einem kurzen Film zusammen.
Sie wusste nicht zu sagen, wie oft sie dem Tod direkt ins Auge geblickt hatte.
Was hätte sie noch brechen können?
Der innere Film endete mit einem einstürzenden Haus, gleichwohl in Antwort auf ihre Frage.
Heute wusste sie es besser.
Heute kannte sie die Antwort.
Ein sarkastisches Lachen untermalte Cathrynns Gedanken, während sie zu ergründen versuchte, wie ausgerechnet sie in diese Lage hatte kommen können.
Das Bild zweier schlichter Grabsteine stieg auf, deren Inschriften ihr höhnisch zuzuzwinkern schienen.
IAN ALEXANDER MCCONAGHEY
13.09.1952 – 26.11.1992
EIRIN CELINE MCCONAGHEY
30.04.1991 – 26.11.1992
Irgendwann brach jeder, erinnerte sie sich an die Ermahnung ihres Ausbilders auf der Farm.
Jener Ausbilder, an dessen Namen sie sich nicht mehr erinnern konnte, wäre wahrscheinlich enttäuscht gewesen, zu erfahren, dass es für sie nicht mehr bedurft hatte, als eines versauten Einsatzes, um sie an den Rand eines Nervenzusammenbruchs zu treiben.
Am Rand eines Nervenzusammenbruchs!
Den Rand hatte sie bei dem Tempo, mit dem sie ihn überschritten hatte, gar nicht erst wahrgenommen, brachte sie es bitter auf den Punkt, während sie sich an die Glanzleistung erinnerte, die sie – mal wieder – in diese desolate Situation gebracht hatte.
„Noch mehr Selbstmitleid ist genau das, was ich jetzt brauche“, flüsterte sie mit rauer Stimme in die Dunkelheit.
„Du brauchst einen Arschtritt.“
Überrascht wandte Cathrynn den Kopf in Richtung der müden, tiefen Stimme.
Ihre Augen hatten sich inzwischen genug an die Dunkelheit gewöhnt, um mehr als nur einen diffusen Umriss auf der Fensterbank auszumachen.
Für einen Moment fragte sie sich, warum sie ihren nächtlichen Besucher nicht schon viel früher wahrgenommen hatte.
„Bist du mein neuer Zimmernachbar oder hast du nur das Ende der Besuchszeit verpennt?“, fragte Cathrynn den stämmigen Mann mit dem wirren braunen Haar spitz.
„Ich bin der Typ, dem du den Arsch dafür küssen solltest, dass du nicht mit Zwangsjacke in der Gummizelle gelandet bist“, konterte Nathan ungewohnt bissig, als er sich langsam von der Fensterbank heruntergleiten ließ.
Auch wenn sie es in der Dunkelheit nicht wirklich sehen konnte, hatte sie den Eindruck, dass er sie mit seinen haselnussbraunen Augen ärgerlich anfunkelte.
„Schon klar, Dramaqueen“, erwiderte sie lachend und schüttelte zynisch den Kopf, als Nathan sich einen Stuhl neben ihrem Bett heranzog.
„Lache du ruhig! Ich habe gehört, dass sie so was hier mit gewalttätigen Patienten tun“, schoss er, definitiv nicht amüsiert, zurück.
„Ich habe nur meinen Standpunkt zu verdeutlichen versucht.“
Langsam kamen die Erinnerungen an den vergangenen Tag zurück.
Man hätte ihr Gebaren gewalttätig bezeichnen können, selbst wenn man es wohlwollend betrachtet.
„Es war nun nicht so, dass ich ihn nicht gewarnt hätte, mir mit dieser Nadel zu nahezukommen.“
Wieder überlief sie ein Schauer, als sie an den Anblick dieses spitzen Dings dachte.
Sie hatte Spritzen gehasst solange sie denken konnte, ohne jemals herausgefunden zu haben, wo diese absurde Phobie herrührte.
„Du hast dem armen Mann das Jochbein gebrochen und ihm die Schulter ausgekugelt, als er dir ein Sedativum injizieren wollte.“
Cathrynn konnte sich das Grinsen nicht verkneifen, als sie an diese Glanzleistung dachte.
„Er war fast zwei Köpfe größer als ich und breit wie eine Schrankwand. Ich bin der Meinung, dass er eine faire Chance hatte.“
„Du hast eine Nahkampfausbildung!“, erinnerte Nathan sie trocken.
„Ich bin auch ausgebildete Scharfschützin, das sagt wohl beides nichts aus!“
Ein heiseres Lachen stieg ihre Kehle empor.
„Ganz abgesehen davon, haben mir die Überdosis und der Blutverlust noch zugesetzt“, betonte sie mit ihrer besten Unschuldsmiene.
Als die Worte über ihre Lippen gekommen waren, veränderte sich Nathans Gesichtsausdruck.
Sie begriff, dass es vielleicht ein Fehler gewesen war, das Thema jetzt anzusprechen.
Sie war sich nicht sicher, ob sie bereits die Kraft für eine weitere Konfrontation mit ihrem besten Freund hatte.
„Da du es schon einmal ansprichst,…“, nahm er den Gesprächsfaden sofort mit überraschend ruhiger Stimme auf und blickte sie mit unbewegter Miene an.
Cathrynn ließ sich von seiner offensichtlichen Ruhe nicht täuschen.
Ein weiterer Blick in sein betont ausdrucksloses Gesicht ließ sie deutlich die Mischung aus Unverständnis und Fassungslosigkeit erkennen, die er hinter diesem zur Schau getragenen Musterbeispiel an Professionalität eindeutig empfinden musste.
„Bringen wir es einfach hinter uns, Nate. Vielleicht kann ich dann noch ein bisschen schlafen.“
Herausfordernd grinste sie ihn an.
Warum sollte sie das Unvermeidliche unnötig lange hinauszögern?
Mit einem tiefen Seufzen schloss Cathrynn ihre brennenden Augen, als sie sich auf die Predigt einrichtete, die nun zwangsläufig folgen würde – so wie all die Male zuvor.
Es war ein Ritual nach festen Spielregeln, dass sie jedes Mal in stillschweigender Übereinkunft aufführten, ohne jemals gravierend von dem vorgefassten Drehbuch abzuweichen. Er tadelte sie wegen ihres Verhaltens und beschwor sie dann, endlich einzusehen, dass dies hier keine Lösung war.
Womit er, das wusste sie, vollkommen Recht hatte.
Es war eine Flucht.
Das reichte ihr.
Sie gab sich unnachgiebig in ihrem Beharren, dass ihr Leben keinen Sinn mehr machte und forderte, dass er ihre Entscheidung endlich akzeptierte.
Das tat er nie.
Schließlich war sie es immer, die nach einem lautstarken Streit einlenkte und versprach, dass sie es nie mehr tun würde, dass sie versuchen würde, endlich mit der Vergangenheit abzuschließen.
Auch wenn sie beide ganz genau wussten, dass sie log, nahm er ihr Versprechen hin und sie waren wieder Freunde.
„Was soll ich noch sagen, außer dass du durchgeknallte Schlampe mich hundert Mäuse gekostet hast“, knurrte Nathan trocken.
„Ich war echt so dämlich dagegen zu wetten, dass du dich nach deinem letzten Versuch nochmal steigern könntest“, fuhr er mit einem bitteren Lachen fort.
„Ihr habt inzwischen Wetten darauf laufen, ob ich mich versuche umzubringen?“, keuchte sie fassungslos.
Das konnte nicht wahr sein!
„Die Wetten laufen schon seit deinem zweiten Selbstmordversuch, ich habe nur bisher nie mitgemacht“, gestand Nathan gleichgültig.
„Aber ich glaube, das nächste Mal sollte ich besser gegen dich wetten, oder?“
Sie blickte den stämmigen Hunter weiterhin fassungslos an.
Das konnte nur ein schlechter Scherz sein, den Nathan sich hier mit ihr erlaubte.
Ein Schnauben rollte über ihre Lippen.
„Was?“, fragte Nathan mit einem desinteressierten Schulterzucken.
„Ich glaube es echt nicht, dass ihr Wetten auf mein Leben abschließt!“
Das war pervers.
„Du tust gerade so, als würde dir dein Leben etwas bedeuten!“, konterte er wegwerfend.
„Ich dachte wir sind Freunde!“
Sie bedachte Nathan mit einem anklagenden Blick, den er mit einem weiteren harten Lachen quittierte.
„Witzig, diese Worte gerade aus deinem Mund zu hören!“
„Was soll das nun wieder heißen? Ich bin es schließlich nicht, die irgendwelche kranken Wetten gegen dich abschließt!“, fuhr sie ihn beleidigt an, was dem Mann an ihrem Bett ein weiteres kurzes Lachen entlockte.
„Nur um das klarzustellen: Ich habe nicht gegen dich gewettet!“, betonte er ruhig, bevor seine Gesichtszüge sich verhärteten.
„Aber um deine Frage zu beantworten: Würdest du dein aktuelles Verhalten ernsthaft als Ausdruck von Freundschaft bezeichnen wollen?“, polterte er los. Sein Blick bohrte sich in ihren.
„Ich war in der letzten Zeit vielleicht etwas neben der Spur, das gebe ich gerne zu“, setzte Cathrynn ruhig an.
Sie wusste, wenn sie sich jetzt nicht zusammenriss, würde sie jeden Moment explodieren und das Ausmaß der daraus resultierenden Zerstörung konnte sie nicht absehen.
Wenn es so weiterging, dann würde heute Blut fließen und sie wirklich in der Gummizelle landen, soviel war sicher.
„Aber das ist mit Sicherheit kein Grund, aus der ganzen Geschichte so ein gottverdammtes Drama zu machen!“
Er quittierte ihre Worte mit einem fassungslosen Prusten.
„Du bezeichnest deinen Zustand als „etwas neben der Spur“? Meine Liebe, das ist die Untertreibung des Jahrhunderts!“
Nathan erhob sich mit einem ärgerlichen Grunzen.
Ein flüchtiger Blick in seine Augen machte ihr deutlich, dass sie im Moment nicht die Einzige war, die kurz vor einer Explosion stand.
„Der Whiskey-Schlaftabletten-Cocktail hätte, für sich genommen, mehr als ausgereicht, um einen ausgewachsenen Elefanten ins Jenseits zu befördern! Aber du überlässt zum Glück nichts dem Zufall und kommst dann noch auf die grandiose Idee, dir die Pulsadern aufzuschneiden!“, er unterbrach sich mit einem bitteren Lachen.
„Ich bin nur froh, dass du dich bis heute noch nicht endgültig entschieden hast, ob du dir die Kugel durch die Schläfe oder durch den Mund ins Hirn jagen willst!“
Cathrynn zuckte kurz zusammen, als er auf ihren vorletzten Selbstmordversuch anspielte, den er, wie die drei davor, vereitelt hatte.
„Der Notarzt, den ich gerufen habe, wusste gar nicht, womit er sich zuerst befassen sollte. Damit, deine Blutungen zu stillen oder damit, dir den Magen auszupumpen“, schloss er mit einem ärgerlichen Knurren.
„Du hättest den Notarzt nicht zu rufen brauchen!“, fauchte Cathrynn aufgebracht.
„Du kannst dich darauf verlassen, dass ich es beim nächsten Mal nicht tun werde!“
„Hervorragend, Dr. Gregory! Wir machen augenscheinlich Fortschritte!“
„Merkst du eigentlich nicht, wie lächerlich das ist?“, seufzte Nathan kopfschüttelnd und setzte sich dann wieder zu ihr ans Bett.
„Cat, ich will dir wirklich nichts Böses und wenn wir beide ganz ehrlich sind, dann weißt du selber, dass es so nicht weitergehen kann!“
„Wage es dich nicht, mir jetzt mit diesem Psychodreck zu kommen!“, fuhr sie ihm brüsk über den Mund.
„Selbst du solltest inzwischen begriffen haben, dass der bei mir wirkungslos ist!“
In ihrer jetzigen Verfassung war sie ganz sicher nicht mehr zugänglich für sachliche Argumente.
„Kein Grund gleich aggressiv zu werden“, betonte Nathan gelassen.
„Werde du nicht so herablassend!“, brüllte sie ihn an. Sein ruhiges Gebaren machte sie rasend.
Er blickte sie einen Moment ärgerlich an, dann seufzte er wieder tief.
„Lass es gut sein, Cat. Es bringt sowieso nichts“, murmelte er kopfschüttelnd, bevor er sich langsam erhob.
Sie blickte ihn perplex an, als er sich abwandte, um das Zimmer zu verlassen.
Seine zur Schau getragene Resignation hatte ihr den Wind aus den Segeln genommen.
„Es tut mir Leid“, flüsterte sie tonlos und befürchtete für einen Moment, dass Nathan sie nicht gehört hatte.
Sie räusperte sich, um den Kloß, der ihre Kehle zuzuschnüren drohte, herunter zu würgen.
„Was genau tut dir leid? Dass du es wieder nicht geschafft hast, dich ins Nirwana zu befördern?“, hakte Nathan, weiterhin in diesem unerträglich müden, resignierenden Tonfall, nach.
Wider Erwarten hatte er sie doch gehört und war im Türrahmen stehen geblieben.
Cathrynn musste bei seinen letzten Worten hart schlucken.
Das Brennen in ihren Augen war ein verlässlicher Vorbote eines Schwalls unerwünschter Tränen, die nur darauf lauerten, fließen zu dürfen, doch dazu wollte sie es nicht kommen lassen.
Sie würde unter keinen Umständen schon wieder plärrend vor Nathan zusammenbrechen.
„Nate, ich weiß auch nicht, was mich wieder geritten hat“, gestand sie mit zitternder Stimme.
Sein Verhalten begann sie ganz langsam auf einen emotionalen Zusammenbruch zuzutreiben und für einen Moment fragte sie sich hoffnungsvoll, ob das nicht nur eine neue Masche war.
„Müsste ich raten, würde ich sagen, höchstwahrscheinlich derselbe Schwachsinn, der dir inzwischen seit fast sechs Monaten durch den Kopf spukt“, ließ Nathan sich zu einer trockenen Erwiderung herab, während er weiterhin im Türrahmen lehnte und sie mit verschränkten Armen musterte.
„Es tut mir wirklich leid! Verdammt, was soll ich denn sonst noch sagen?“
Cathrynn erschrak über die Müdigkeit in ihrer eigenen Stimme.
Ihre Resignation war echt, das fiel ihr in diesem Moment zum ersten Mal auf.
„Langsam komme ich zu dem Schluss, dass es hier einfach nichts mehr zu sagen gibt, Cathrynn.“
Seine Schultern sackten herunter, als er sich wieder von ihr abwandte.
Sie zuckte zusammen als er müde seufzte.
Ein Schlag ins Gesicht hätte sie nicht annähernd so brutal treffen können, wie der Gesichtsausdruck, den sie noch kurz erhaschen konnte.
Das hier war keine neue Methode, die er versuchte, stellte sie erschrocken fest.
Er hatte kapituliert.
Sie konnte es ihm noch nicht einmal verübeln.
Er war immer da gewesen, wenn sie jemanden zum Reden oder zum Heulen gebraucht hatte.
Er war ohne Zögern immer wieder bereit gewesen, mitten in der Nacht bei ihr zu sitzen, wenn sie das Bedürfnis gehabt hatte, sich heulend an seine Schulter zu schmeißen.
Selbst als alle anderen Freunde nur noch mit Unverständnis und Ungeduld auf ihr Verhalten reagiert hatten, war er geduldig und mitfühlend geblieben, war es nie müde geworden, ihr Mut zuzusprechen.
Egal, wie oft sie ihn verletzt hatte, Nathan war immer da gewesen.
Sie hätte das Handtuch wahrscheinlich schon wesentlich früher geschmissen, wären ihre Rollen vertauscht gewesen.
„Warum hast du mich nicht einfach sterben lassen?“, flüsterte sie, gegen besseres Wissen.
„Mein Tod wäre für uns alle eine gottverdammte Erlösung, Nathan.“
Cathrynns letzte Worte gingen fast vollständig in einem heiseren Schluchzen unter.
Sie war nicht mehr in der Verfassung irgendjemandem etwas vorzumachen – nicht sich selbst und schon gar nicht Nathan.
„Ich habe nicht die Kraft weiterzumachen“, gestand sie mit zitternder Stimme.
Über die kurze Distanz blickte sie Nathan einen Moment an, als er mit einem müden Nicken zurück an ihr Bett trat.
Cathrynn spürte seine Hand auf ihrer.
„Ohne ihn ist alles so beschissen sinnlos!“, schluchzte auf. Sie spürte, wie Nathan sanft über ihre feuchte Wange strich. Seine Berührung hatte etwas Beruhigendes, etwas Tröstliches. Müde schloss sie die Augen, während ihre Lippen noch immer zitterten.
„Ich kann dir gar nicht sagen, wie sehr er mir fehlt, wie sehr sie beide mir fehlen“, flüsterte sie brüchig und blickte Nathan verzweifelt an.
Langsam beugte er sich zu ihr, bevor seine Lippen ihre Stirn berührten.
Cathrynn stutzte kurz, als ihre Blicke sich trafen.
Waren da Tränen in seinen Augen?
„Ich weiß, Schatz. Mir fehlen sie auch“, flüsterte Nathan mit rauer Stimme.