Читать книгу Phönix aus den Flammen - Desirée Scholten - Страница 7
ОглавлениеKapitel 3
Versonnen starrte Er ins Weinglas, während Er versuchte Seine Gedanken zu ordnen.
Ein tiefes Seufzen entfuhr Ihm ungewollt, als Ihm bewusst wurde, dass Er seit fast einer Stunde nun nichts anderes getan hatte. Er hatte einfach nur reglos dagesessen, das Weinglas in der Hand und wie hypnotisiert in die dunkelrote Flüssigkeit gestarrt, gleichwohl als hoffte Er in ihr etwas zu erkennen, das Ihm half Ordnung in das Chaos in Seinem Inneren zu bringen.
Das schwarze Ledersofa knatschte unnatürlich laut in der fast vollkommenen Stille des dunklen Wohnzimmers, als Er das eingeschlafene rechte Bein zurück auf den Boden gleiten ließ und vorsichtig die Zehen bewegte.
Die Taubheit wich schnell einem unangenehmen Kribbeln, das sich zu einem handfesten Wadenkrampf steigerte.
Mit geschlossenen Augen genoss Er die willkommene Abwechslung, die der unvermittelte Schmerz für Seinen ansonsten völlig tauben Körper darstellte.
Schneller als es Ihm lieb war, ließ der Wadenkrampf wieder nach und Er versank erneut in den tauben, gefühllosen Zustand, in dem Er seit dem Anruf vor einer Stunde verharrt hatte.
Dieser verdammte Anruf hatte Ihm den Abend vollständig verdorben, dachte Er bitter, während Er die rote Flüssigkeit versonnen im Glas kreisen ließ.
Er hatte gerade zum Sakko greifen wollen, als der schrille Ton des Handys angehoben hatte.
Es war Sein erster freier Abend seit einer ganzen Weile gewesen und Er hätte jetzt schon längst in einer einschlägigen Singlebar sitzen können.
Ärgerlich blickte Er zu den Lederschuhen, die Er sich während des kurzen Gesprächs achtlos von den Füßen getreten hatte. Sie lagen noch immer mitten im Raum, doch Er fand nicht die Motivation sich zu erheben, um sie zurück auf ihren Platz im Schuhschrank zu stellen.
Warum hatte Er diesen gottverdammten Anruf entgegengenommen, obwohl Er gesehen hatte, wessen Nummer dort eingeblendet worden war?
Langsam führte Er das Glas an die vollen Lippen.
Schmerzhaft krampfte Sein Magen sich zusammen, als der trockene Merlot ihn erreicht hatte. Sofort schoss Säure Seine Speiseröhre hinauf.
Mit einem Knurren beugte Er sich leicht vor, um das Glas auf dem niedrigen Couchtisch abzustellen.
Natürlich musste Er zu allem Überfluss nun auch wieder Sodbrennen bekommen.
Langsam erhob Er sich. Die schwarze Lederhose löste sich mit einem unwilligen Schmatzen, vom Leder der Couch, bevor Er mit wenigen Schritten das Wohnzimmer durchquerte und die verglaste Balkontür öffnete.
Er schloss die mokkafarbenen Augen, während Er hinaus ans Geländer trat und für einen Moment die warme kalifornische Nachtluft genoss.
Ohne einen bewussten Befehl glitt Seine Hand in die Hosentasche und förderte eine Packung Zigaretten zutage.
Im Geist ließ Er noch einmal das kurze Gespräch Revue passieren, welches Er etwas früher am Abend geführt hatte.
Die Leute, für die Er arbeitete, hatten das Crucify-Protokoll eingeleitet.
Auch wenn es für Seinen Geschmack recht früh für enormen Gegenwind war, der diesen Schachzug rechtfertigte, kam es nicht unerwartet.
Was allerdings unerwartet kam, war die Wahl des Zielobjekts für ihr Ablenkungsmanöver.
Das Sodbrennen wurde schlimmer, als Ihm klar wurde, wie wenig Ihm die getroffene Wahl gefiel.
Genervt versuchte Er die aufkommenden Gedanken zu verscheuchen, doch dafür war es zu spät.
Ihr Bild stand bereits wieder lebensgroß vor Seinen Augen.
Sie hatte Ihn zugleich fasziniert und herausgefordert und Er hatte sich vom Fleck weg in sie verliebt.
Mit einem weiteren Seufzen schnippte Er die Zigarette über das Geländer.
Er bedauerte es aufrichtig, dass es zwischen ihnen so abrupt hatte enden müssen.
Der Anruf hatte alles wieder an die Oberfläche gebracht und wieder verfluchte Er sich dafür, dass Er das Telefon nicht hatte schellen lassen.
Inzwischen hätte Er wahrscheinlich schon eine Kandidatin für den nächsten One-Night-Stand gefunden und würde einer vielversprechenden Nacht entgegenblicken.
Nun blickte Er einer Nacht entgegen in der Er sich unruhig unter Magenschmerzen umherwälzen würde, gefangen in den Erinnerungen, an die eine Frau, die Er eben nicht haben konnte.
Mit müden, schlürfenden Schritten ging Er ins angrenzende Schlafzimmer.
Der Anblick des großen Bettes gab Ihm einen Stich.
Langsam, fast bedächtig, begann Er das weiße Hemd aufzuknöpfen, während Seine Gedanken noch immer um sie kreisten.
Das Hemd glitt achtlos zu Boden, während Er den Blick über die harte Brustmuskulatur und die ausgeprägten Bauchmuskeln gleiten ließ. Selbstgefällig stellte Er wie jeden Abend fest, dass Sein Körper noch immer keine Spuren Seines Alters zeigte.
Seine Hand glitt in die Höhe und löste das Haargummi, das Sein schulterlangen schwarzen Haare gebändigt hatte.
Auch Sein glattrasiertes markantes Gesicht verriet herzlich wenig von den fast 42 Jahren, die Er verlebt hatte, stellte Er nicht minder befriedigt fest, als Er die Lederhose an den langen schlanken Beinen herabrutschen ließ.
Gähnend kroch Er unter die Bettdecke, noch immer versuchte Er die Gedanken an sie zu verdrängen.
Er spürte, dass Er langsam in den bereits erwarteten unruhigen Halbschlaf hinüberzudämmern begann, während Er sich zum ersten Mal in Seinem Leben, einem ausgewachsenen Gewissenskonflikt gegenübersah, als Er sich fragte, ob Er wirklich die Kraft hatte stillschweigend daneben zu stehen, während die Geschehnisse nun ihren Lauf nahmen.
Das Ende der Reise war Ihm natürlich bekannt und es war kein gutes Ende.
Gegen Seinen Willen begann Er sich zu fragen, ob Er sich falsch entschieden hatte, als Er sich zu diesem Auftrag bereit erklärt hatte.
Doch vielleicht war es noch nicht zu spät wenigstens jetzt das einzig Richtige zu tun und dem Phoenix-Komitee den ausgestreckten Mittelfinger zu zeigen.
*
Drückendes Schweigen hatte Einzug gehalten, nachdem Nathan Frank seinen Vorschlag unterbreitet hatte.
Der emotionslose Blick des grauhaarigen Direktors der Hunter schweifte zwischen den Dokumenten auf seinem Schreibtisch und seinem stämmigen Stellvertreter hin und her. Es schien, dass sich die Haltung des jüngeren Hunters anspannte, je länger Frank in seinem Schweigen verharrte.
Unwillkürlich begann Nathan den Fingern auf seinem Oberschenkel zu trommeln, während er auf eine Regung, des grauhaarigen Mannes hinter dem Schreibtisch wartete.
„Jetzt willst du mich verarschen“, murmelte Frank nach einer Weile mit einem fassungslosen Lachen, bevor Ärger seine Züge wieder hart werden ließ.
Die Blicke der beiden Hunter trafen sich über die kurze Distanz hinweg, doch Nathan unterbrach den Kontakt schnell wieder, als er kopfschüttelnd auf seine Hände blickte.
„Du kannst nicht ernsthaft der Meinung sein, dass Rayven nach der letzten Eskapade wieder in der Lage ist, ihren Job zu machen“, wiegelte Frank trocken ab, als Nathan es weiterhin vorzog zu schweigen.
Mit einem Knurren erhob der Direktor der Hunter sich hinter seinem Schreibtisch und trat auf Nathan zu, der nun doch wieder zu seinem Vorgesetzten aufblickte.
„Pass auf, Kollege: Das läuft so nicht!“
Nathan hob fragend eine Augenbraue.
„Nate, die Frau ist ein Wrack!“, fuhr Frank seinen Kollegen an, als dieser sich weiterhin in undurchdringliches Schweigen hüllte und ihn nur mit einem fragenden Blick musterte.
Cathrynns letzter Selbstmordversuch lag noch nicht einmal zwei Wochen zurück.
Wie konnte Nathan allen Ernstes in sein Büro kommen und vorschlagen, sie wieder arbeiten zu lassen?
Das war absurd!
Nein, mehr als das, es war lebensgefährlich.
„Hier haben wir sie wenigstens unter Kontrolle.“
Frank blickte ihn einen Moment ausdruckslos an.
Dann brach er in schallendes Gelächter aus.
Niemand hatte diese Frau unter Kontrolle.
Cathrynn war im vergangenen halben Jahr zu einer tickenden Zeitbombe geworden.
Niemand konnte absehen, wann sie explodieren würde.
Doch er konnte sich des Gefühls nicht erwehren, dass dies ziemlich bald passieren würde.
Früher oder später würde sie hochgehen, soviel war sicher.
Früher oder später würde es ihr gelingen, bei einem Einsatz draufzugehen.
Versucht hatte sie es bis jetzt weiß Gott oft genug.
Er hatte inzwischen aufgehört zu zählen, wie oft sie sich, willentlich und wissentlich, in lebensgefährliche Situationen begeben hatte.
Er war es müde geworden, sich immer wieder damit auseinandersetzen zu müssen.
Langsam aber sicher, war er es leid.
Er war nicht gewillt, dieses Verhalten länger zu tolerieren.
Er war noch weniger gewillt, sich länger seine Nerven von dieser Frau kaputt machen zu lassen.
„Du glaubst nicht ernsthaft, dass du oder ich sie bremsen könnten, wenn sie beschließt, uns um die Ohren zu fliegen!“
Er hörte Nathans freudloses Lachen.
„Hältst du mich für naiv? Das glaube ich natürlich nicht, Frank!“
Frank musterte ihn nach diesem Eingeständnis einen Moment versonnen, erwiderte aber nichts weiter.
Soweit es ihn betraf, musste er nicht mehr wissen.
„Damit ist diese Diskussion für mich beendet!“
Noch einmal suchte er den Blick des stämmigen Mannes.
Er hatte keine Lust, sich wieder über Cathrynn und ihre verdrehte Psyche den Kopf zu zermartern.
Dieses Thema regte ihn eindeutig zu sehr auf.
„Es ist, meines Erachtens, der größte Fehler, den wir machen können, wenn wir sie ausgerechnet jetzt vom Dienst abziehen.“
Frank blickte ihn stirnrunzelnd an.
Wie konnte es ein Fehler sein, eine Psychopathin nicht wieder in die Abteilung zu holen, fragte er sich.
Wie konnte es ein Fehler sein, eine Frau, die nur noch das Ziel verfolgte, ihr Leben zu beenden, nicht auf die Hunter loszulassen?
Was konnte falsch daran sein, zu verhindern, dass sie die ganze Abteilung gefährdete?
„Du musst bedenken, dass ihr Job das Einzige ist, was sie noch davon abhält, uns wirklich um die Ohren zu fliegen!“
Frank blickte Nathan bei diesen Worten ehrlich fassungslos an.
Cathrynn flog ihnen längst um die Ohren.
Sie war schon lange über den Punkt hinaus, an dem man noch von einem Rest gesunden Menschenverstandes hätte sprechen können.
Frank dachte ärgerlich an all die Male zurück, die Cathrynn das eindrucksvoll bewiesen hatte.
„Ihr diese letzte Konstante jetzt zu nehmen, das wäre nicht nur Wahnsinn, sondern würde sie dadurch in ein noch tieferes Loch werfen, als das, in dem sie sich ohnehin schon befindet“, dozierte Nathan ruhig weiter.
Frank verdrehte die Augen.
„Das ist nichts als psychologischer Bullshit!“, knurrte er ärgerlich.
„Da musst du mir schon mit besseren Argumenten kommen!“
Er suchte den Blick des anderen Agenten, doch noch immer ging Nathan nicht auf seine unterschwellige Herausforderung ein.
Seufzend wandte Frank sich dem Fenster zu und stierte angespannt hinaus.
„Sie hat eine zweite Chance mehr als nur verdient. Herrgott noch mal, Frank! Wenigstens das bist du ihr schuldig!“
Frank zuckte zusammen.
Wut begann in ihm aufzuwallen darüber, dass Nathan es sich wagte, jetzt dieses Thema anzuschneiden.
Ausgerechnet jetzt musste er seine verkorkste Historie mit der jungen Frau ins Spiel bringen.
Mit einem ärgerlichen Grunzen fuhr er zu dem anderen Mann herum.
In diesem Augenblick verfluchte er sich dafür, Nathan ins Vertrauen gezogen zu haben.
„Wage es nicht, mit mir auf dieser Ebene zu diskutieren!“, brüllte er Nathan an.
„Habe ich denn nicht Recht damit?“, fragte Nathan emotionslos und blickte Frank noch immer gelassen an.
„Meine Vergangenheit mit Rayven, gehört definitiv nicht hierher!“
Nathan hob nur mit einem zynischen Grinsen die Schultern, eine Geste, die Frank nur zu gut zu deuten vermochte.
Natürlich gehörte dieses Thema hierher.
Vielmehr drehte sich alles immer wieder um diesen einen Punkt.
Das wussten sie beide und Nathan machte auch keinen Hehl daraus, genauso wenig aus seiner persönlichen Meinung zu diesem Thema.
„Du hast nicht das Recht, mich deshalb abzuurteilen, Nathan!“
Der andere Mann schüttelte irritiert den Kopf.
„Der Einzige, der dich dafür verurteilt, bist du selbst, Frank“, konterte Nathan trocken auf die heftige Reaktion.
Der ältere Agent blickte ihn einen Moment wie vom Donner gerührt an.
Nach einer Weile nickte er matt, während er Nathan einen müden Blick schenkte.
„Innendienst; von mir aus auch Operationszentrum bei guter Führung, aber ins Feld geht sie nur über meine Leiche, damit das klar ist.“
Frank hoffte inständig, dass er keinen Fehler damit beging.
Er quittierte Nathans Nicken, als er sich wieder hinter seinen Schreibtisch setzte.
Der jüngere Agent erhob sich.
Frank blickte noch eine ganze Weile, nachdem Nathan das Büro verlassen hatte, auf die geschlossene Tür.
Was immer er getan hatte, es war in bester Absicht geschehen.
Langsam griff seine Hand in eine der Schreibtischschubladen.
Er zögerte unmerklich, als seine Finger den Bilderrahmen ertasteten. Seufzend holte er das gerahmte Foto hervor und starrte es gebannt an.
Während er in den tiefgrünen Augen der lächelnden jungen Frau versank, griff seine freie Hand in eine andere Schublade. Sie tastete kurz und wurde fündig.
Eine halbleere Whiskeyflasche erblickte das Tageslicht.
„Wie konntest du das nur tun?“, murmelte er.
Ohne den Blick von dem Bild in seiner Hand zu lösen, öffnete Frank die Flasche.
Er schüttete den Whiskey in zwei großen Zügen hinunter.
„Wie konntest du nur?“
Die Whiskeyflasche zerbrach an der gegenüberliegenden Wand.
„Beschissenes Miststück, ich hätte dich umbringen sollen!“
Nur wenige Sekunden später teilte der Bilderrahmen das Schicksal der Flasche.
Ein Schluchzen entwich Franks Kehle, als er die Hände vors Gesicht schlug. Er war dumm gewesen zu glauben, dass es mit den Jahren leichter werden würde. Er hatte angenommen, irgendwann Abstand zu allem zu bekommen. Ein bitteres Lachen rollte über seine Lippen, als er sich erhob.
Langsam ging er vor der gegenüberliegenden Wand in die Hocke und hob den zerbrochenen Bilderrahmen auf.
Wie konnte er hoffen, Abstand zu bekommen, wenn er ihr Gesicht jeden Tag sah?
Er hatte sie aufgegeben, um sie vor noch mehr Leid zu bewahren.