Читать книгу Phönix aus den Flammen - Desirée Scholten - Страница 12
ОглавлениеKapitel 8
Die dünnen Absätze der High Heels klackerten im Takt ihrer federnden Schritte auf dem abgetretenen Linoleumboden der Einsatzzentrale.
Köpfe drehten sich in ihre Richtung, als einige der Analytiker abrupt ihre Arbeit unterbrachen, doch Cathrynn nahm keine Notiz davon, während sie ihren Weg grußlos an ihnen vorbei nahm.
Viele Augenpaare beobachteten sie teils gebannt, teils genervt.
Sie spürte die Blicke der Anzugträger, wie sie die restliche CIA verächtlich innerhalb der Einheit nannten, deutlich in ihrem nackten Rücken, als sie in ihren zerrissenen, verwaschenen Jeans und dem bauchfreien Tank Top auf den Aufzug in einer Nische zu stolzierte.
Sie reichte dem uniformierten Wachposten ihren Ausweis.
„Netter Auftritt!“, feixte der junge Mann. Seine Augen glitten kurz anerkennend über ihren schlanken, durchtrainierten Körper.
Sie verdrehte seufzend die Augen, sparte sich jedoch eine Erwiderung auf seine dreisten Worte.
Hätte ihr dämlicher Firebird sich heute Morgen nicht dazu entschieden, einfach liegenzubleiben, dann wäre sie, wie alle anderen auch, weit vor Dienstbeginn der Idioten in ihren Zweireihern hier gewesen.
Die Hunter kamen immer lange vor den Anzugträgern und gingen erst weit nach Feierabend.
Das ersparte unnötige Fragen und dumme Kommentare.
Niemand in den unteren Etagen wusste, wer die Männer und Frauen waren, die jeden Morgen, meist ungesehen, den Komplex passierten, um ihrer Arbeit in den obersten beiden Stockwerken nachzugehen.
Worin diese Arbeit bestand wusste ebenfalls niemand von ihnen.
Auftritte wie ihrer, stachelten jedoch die wilden Spekulationen über die obskuren Gestalten, denen man nur selten irgendwo auf den Fluren begegnete, nur noch weiter an.
Cathrynn ließ ihren Blick kurz abfällig über die gesichtslosen Männer und Frauen im Schreibtischlabyrinth schweifen, als sie sich einen Moment lang fragte, wie viele von ihnen die Wahrheit über ihren Arbeitsalltag überhaupt geglaubt hätten.
„Spät dran, was?“, fragte der junge Wachmann noch immer grinsend. Er musterte sie nach wie vor unverfroren.
„Ja, ich musste noch einen Typen umbringen, der mich blöd angelabert hat“, erwiderte sie trocken, ohne den dreisten Kerl überhaupt anzublicken.
Der Aufzug kam und sie stieg mit einem letzten langen Blick auf die rege Betriebsamkeit an den Schreibtischen ein, während sie sich fragte, ob auch nur einer dort saß, der wusste, was es mit dem Eternity-Desaster wirklich auf sich hatte.
Wie viele von ihnen hätten mit diesem Wissen noch ruhig schlafen können?
Die Antwort auf diese Frage war denkbar simpel.
Niemand von ihnen wusste es und das war eindeutig besser so.
Natürlich war Projekt Eternity, jenes Militärprojekt aus dem zweiten Weltkrieg, das nach zweimaligem Fehlschlag als Eternity-Desaster bezeichnet wurde, in Geheimdienstkreisen ein Begriff.
Einige mochten sogar wissen, dass es sich um Menschenversuche gehandelt hatte, in denen die Regierung versucht hatte, ihre Soldaten durch Genmanipulationen ausdauernder und widerstandfähiger gegen alle Arten von Angriffen zu machen.
Doch welche fatalen Folgen der Fehlschlag gehabt hatte, das wusste die wenigsten.
Die Manipulationen waren erfolgreich gewesen, doch nur sieben Probanden hatten beide Versuchsreihen und die anschließende Vertuschungsaktion überlebt, dachte Cathrynn bitter.
Die Sieben Ahnen, wie sich die Überlebenden nannten, die sich nach dem Aufstand und ihrer gelungenen Flucht zusammengeschlossen hatten. Dem Eternity-Desaster war es zu verdanken, dass aus diesen sieben Männern etwas, das man als Vampire und Werwölfe bezeichnen konnte, geworden war.
Brutale Bestien, die ihren Gendefekt, wie ein Virus weitergaben und sich über die Jahre eine beachtliche Armee aufgebaut hatten.
Ihnen hatte sich in den ersten Jahren nicht viel entgegengestellt, weil niemand von ihnen gewusst hatte, bis sie ihren ersten großen Fehler begangen hatten.
Dem Eternity-Desaster war es auch zu verdanken, dass es die Hunter überhaupt gab.
In den Anfängen waren die Headhunter ein Zusammenschluss freier Kopfgeldjäger unter Admiral Dwayne Thatcher gewesen, die offensiv Jagd auf die Sieben Ahnen und ihre Gefolgsleute machten.
Erst seit wenigen Jahrzehnten, seit Joseph Gonzales, gehörten sie offiziell der CIA an, wenngleich sie selbst sich noch immer mehr als Kopfgeldjäger, denn als Geheimagenten sahen.
Die Kabine hielt ruckelnd an.
Sie trat, einmal hörbar die Luft ausstoßend, aus der Kabine heraus, als die Türen sich drei Stockwerke höher wieder öffneten.
Sie setzte sich langsam in Bewegung.
„Guten Morgen!“
Innerlich verdrehte die schwarzhaarige Hunterin die Augen. Als wäre ihr Morgen noch nicht beschissen genug gewesen, musste ihr ausgerechnet John Archer als Erster über den Weg laufen.
Fahr doch einfach zur Hölle, John!
Cathrynn machte sich gar nicht erst die Mühe, sich zu dem Sprecher umzuwenden oder zeigte auch nur die Andeutung einer Erwiderung auf diese höfliche Geste.
Sie ging ohne Archer zu beachten, weiter über den Flur in Richtung ihres Büros.
„Cat, ich muss mit dir reden, es ist wirklich dringend!“
Cathrynn ging, ohne zu reagieren, weiter.
Doch der blonde Schönling war nicht gewillt, sich dieserart von ihr abfertigen zu lassen.
„Ich hätte es kaum für möglich gehalten, dass sich deine mehr als beschissene Laune noch steigern könnte, Rayven!“
Die einzige Reaktion, die er der schwarzhaarigen Frau damit entlockte, war ihr ausgestreckter Mittelfinger.
Warum ließ dieser Kerl sie nicht einfach in Ruhe, fragte Cathrynn sich säuerlich, während sie weiter auf ihr Büro zu stolzierte.
Was verstand dieser Idiot nicht an dem Wort „Abfuhr“?
Sie war seine Flirtversuche so dermaßen leid.
Seufzend stieß sie die Tür auf und blickte automatisch zu dem großen Schreibtisch, der dort irgendwo unter dem Aktenberg vergraben sein musste.
„Dann wollen wir mal!“, versuchte sie sich selbst zu motivieren, eingedenk des Papierkriegs, der ihr nun bevorstand.
Sie griff resolut zum ersten Stapel und begann die Akten zu überfliegen, in der Hoffnung, irgendein System in das Chaos zu bringen.
Ein leises Klopfen riss sie aus ihrer Arbeit.
Sie blickte kurz zu der sich öffnenden Tür.
„Nicht interessiert, verpiss dich!“, knurrte sie, als sie Archers blonden Schopf sah und widmete sich sofort wieder ihrem Aktenberg.
„Hör mir wenigstens fünf Minuten zu!“, bat er aufgebracht.
Sie schüttelte lachend den Kopf.
„Drei Sekunden! So lange brauche ich, um dir eine Kugel in den Schädel zu jagen, John!“
„Die billige Anmache neulich tut mir leid, ich war sturzbesoffen!“, betonte Archer genervt, als ihre Hand sich um die Beretta auf ihrem Schreibtisch schloss.
„Ich verstehe, nüchtern würdest du nichts in der Art versuchen, oder wie?“
Befriedigt sah sie, dass Archer überrascht die Augen aufriss.
Archer hatte sie angebaggert seit sie in der Abteilung war. Selbst ihre Beziehung zu McConaghey hatte daran nicht allzu viel geändert und jetzt, seit McConaghey tot war, waren seine Annäherungsversuche sogar noch penetranter geworden, seine Anmachen noch plumper.
„Cat…“
Sie entsicherte und zielte.
Seufzend wandte Archer sich mit einer entwaffnenden Geste um und verließ ihr Büro.
„Wichser!“, murmelte Cathrynn an die geschlossene Tür gerichtet, bevor sie die Waffe zurück auf den Schreibtisch legte und sich wieder ihrer Arbeit zu widmen versuchte.
Es klopfte ein weiteres Mal, gerade als sie lustlos die erste Akte aufgeschlagen hatte.
„Leck mich doch am Arsch!“
Sie warf die Akte auf den Tisch und griff erneut zu ihrer Beretta.
Dieses Mal würde Archer sterben, bevor er über die Schwelle getreten war.
„Schon wieder fleißig?“, fragte Nathan, kaum, dass er seinen Kopf zur Tür herein gesteckt hatte und zwinkerte Cathrynn grinsend zu, als er ihr theatralisches Seufzen hörte.
Schnell sicherte sie die Waffe wieder, bevor sie sie zurück auf den Tisch legte.
Sie hoffte inständig, dass Nathan beim Eintreten nichts bemerkt hatte.
„Ich hoffe nur, ich sterbe nicht vor lauter Aufregung“, murrte sie, während sie erneut eine der dicken Akten zur Hand nahm und lustlos aufschlug.
„Wer hat eigentlich behauptet, dass die Feldeinsätze tödlich sind?“, fragte sie seufzend, während Nathan an ihren Schreibtisch herantrat, in der Hand einen Becher mit dampfendem Kaffee.
„Soll ich dir was abnehmen?“, bot er grinsend an.
Cathrynn schüttelte den Kopf.
„Du hast sicherlich auch mehr als genug zu tun, aber danke!“, lehnte sie mürrisch ab.
„Ich nehme an, dass die Begrüßung gerade nicht mir galt?“, fragte Nathan mit einem Zwinkern, als er sich auf den Stuhl vor ihrem Schreibtisch setzte.
Sie seufzte.
Wie hatte sie auch hoffen könne, dass er nicht bemerkte, wenn eine Waffe auf seinen Kopf gerichtet war.
„Archer ist mir wieder auf die Nerven gegangen und ich wollte das ganze Spielchen etwas abkürzen“, gestand sie genervt, während sie sich erhob und an das Fenster hinter ihrem Schreibtisch herantrat.
„Ich verstehe wirklich nicht, dass du dich von ihm derart auf die Palme bringen lässt.“
Das Kopfschütteln war deutlich in seiner Stimme zu hören.
„Du weißt, dass John jedem Rock nachsteigt, den er auf hundert Meter sieht.“
Ein raues Lachen untermalte seine Worte, als er sich unter einem protestierenden Quietschen aus dem Stuhl erhob.
„Dann dürften meine Jeans eigentlich nicht in sein Beuteschema fallen“, murrte Cathrynn, noch immer sauer über Archers Auftauchen.
„Als ob es einen Mann diesseits des Äquators gäbe, der bei diesem spektakulären Arsch nicht völlig das Denken einstellen würde“, betonte Nathan noch immer lachend, während er ihr einen Klaps auf denselben gab.
Mit einem fassungslosen Prusten fuhr Cathrynn zu ihrem besten Freund herum.
Für einen Moment verspürte sie den brennenden Drang, ihm für diesen Übergriff ein paar Zähne auszuschlagen.
Sie besann sich jedoch schnell wieder, als sie kurz in Nathans braunen Augen versank.
Die Stelle an der seine Hand sie leicht berührt hatte, kribbelte unnatürlich stark und ärgerlich stellte sie fest, dass ihr Puls ein wenig schneller schlug als gewöhnlich.
„Sei froh, dass Vince und du die einzigen Menschen sind, die sich dafür keine Kugel fangen, Gregory!“, betonten sie trocken, während sie ihm gedankenverloren den Kaffeebecher aus der Hand nahm.
Sie trank einen Schluck und verzog sofort das Gesicht.
Für einen Moment hatte sie über ihren Ärger auf Archer vergessen, dass Nathan Zimt in seinen Kaffee kippte und davon jede Menge.
Sie reichte ihm den Becher zurück und ging auf die Bürotür zu.
„Wie kannst du diese Brühe trinken?“, fragte sie angeekelt, als sie zusammen mit Nathan auf den Flur trat.
Er antwortete nur mit einem Grinsen, bevor er seines Weges ging.
„Denk bitte an deinen Termin heute Abend, ich bin für dich ganz schön auf den Knien herumgerutscht!“, ermahnte er sie plötzlich noch einmal.
Cathrynn nickte augenrollend.
„Ja, ich werde meinen spektakulären Arsch hinschieben.“
Er grinste, bevor er sich wieder abwandte.
Kopfschüttelnd blickte Cathrynn ihm nach und machte sich auf den Weg zum Aufenthaltsraum.
Sie brauchte jetzt unbedingt einen richtigen Kaffee, sonst würde sie wahrscheinlich über den Berichten einschlafen.
„Morgen zusammen! Wessen Post wird derzeit noch geöffnet, oder werde gerade nur ich kontrolliert?“, fragte Cathrynn grinsend in die Runde, als sie durch die Tür trat.
Sie sah Marc Thompsons Augenrollen und begann zu lachen, als sie an die Anrichte trat und den Schrank öffnete.
„Ein Glück und ich dachte schon, dass die ISU mir dieses Mal etwas nachweisen könnte!“, kommentierte sie diesen Blick, während sie ihren zartrosa Barbie-Kaffeebecher, ein Geburtstagsgeschenk von Montgomery, füllte.
„Ich sage euch, das war die Nummer meines Lebens“, feixte Mike Beckett.
Das sagte er nach jedem One-Night-Stand.
„Mike hat die Schnalle aus der Buchhaltung flachgelegt, an der er seit zwei Monaten rumgebaggert hatte“, erklärte Justin Gray lachend.
„Die mit den falschen Titten?“, fragte Cathrynn mit einem zynischen Grinsen, sich daran erinnernd, dass Beckett der Frau seit einiger Zeit hinterhergestiegen war.
„Die waren nicht falsch!“, rief Beckett empört.
Lachend wandte Cathrynn sich mit dem Becher in der Hand von der Anrichte ab.
„Als ob du den Unterschied zwischen Natur und Gummi erkennen würdest, wenn du in Fahrt bist, Mike“, zog sie ihren Kollegen auf.
„Ich glaube auch nicht, dass die falsch sind“, kam Vince Montgomery seinem Kollegen zur Hilfe.
„Vince, es ist laut den Gesetzen der Schwerkraft nicht möglich, dass Möpse von der Größe so stehen!“, beharrte Cathrynn, als sie den lauwarmen Kaffee in einem Zug hinunter gekippt hatte und ihren Becher erneut füllte.
„Wieso denn nicht? Deine Möpse stehen doch auch, Agent Rayven“, beharrte Montgomery mit einem anzüglichen Grinsen, als Cathrynn neuen Kaffee aufsetzte.
„Meine sind auch zusammen gerade mal halb so groß, wie eine von der Tussi, Agent Montgomery!“, erinnerte sie ihren Kollegen an den offensichtlichen Unterschied, während sie sich auf das abgewetzte Sofa fallen ließ.
„Auf jeden Fall haben sie sich echt angefühlt“, beharrte Beckett.
Grinsend lauschte sie noch eine ganze Weile schweigend den Spekulationen ihrer Kollegen über die Brüste der Buchhalterin.
Manchmal ging es im Aufenthaltsraum der Hunter schlimmer zu als auf dem Mädchenklo der High School.
„Hast du dir jetzt überlegt, ob du am Samstag rumkommst?“, riss Montgomerys plötzliche Frage sie aus ihren eigenen Gedanken, als er sich neben sie quetschte.
Sie schenkte ihm einen fragenden Blick, der jede Antwort unnötig machte, als sie dem massigen Agenten ein wenig mehr Platz machte, indem sie ihre Beine auf seinen Schoß gleiten ließ.
„Die Überraschungsparty für Nate, sag mal, hast du deinen Kopf nur zum Haare färben, Perle?“, tadelte er sie ungeduldig.
„Ich komme nur, wenn du nicht wieder eine Stripperin gebucht hast, das ertrage ich kein zweites Mal“, erwiderte Cathrynn lachend, nur um das peinliche Gefühl zu verdrängen, das sich in ihr breit zu machen drohte, dass sie wirklich um Haaresbreite den Geburtstag ihres besten Freundes vergessen hätte.
„Eigentlich hatten wir gehofft, dass du das dieses Jahr übernimmst, Rayven“, rief Martin McDermott mit einem anzüglichen Grinsen. Augenrollend wartete Cathrynn das erfreute Johlen ihrer Kollegen ab.
„Geht in Ordnung, aber nur wenn ihr an dem Abend alle in Pink kommt“, konterte sie lachend und sah zufrieden, dass die Entschlossenheit ihrer Kollegen schwankte.
„Kommt schon Jungs, mich nackt zu sehen sollte euch ja das ein oder andere Opfer wert sein!“, rief sie entrüstet, bevor sie einen weiteren Schluck des lauwarmen Kaffees herunter würgte, während ihre Gedanken wieder um die ISU und die mal wieder geöffneten Briefe zu kreisen begannen.
Sie wusste, dass sie sich damit abfinden musste, jeder Hunter musste das, doch trotzdem regte es sie auf.
„Was ist Ladies, auf zur Dienstbesprechung?“, fragte sie, kaum dass sie sich eine Zigarette angezündet hatte, grinsend. Um sie herum ertönte unwilliges Stöhnen, das ihr aus der Seele sprach. Sie selbst hatte auch nicht wirklich Lust auf die allmorgendliche Besprechung mit Frank und Nathan.
Es würde zwischen ihr und Frank wahrscheinlich ohnehin nur wieder eskalieren. So wie inzwischen fast täglich, sobald sie beide länger als fünf Minuten im selben Raum waren.
„Hat übrigens einer von euch Lust, mir einen obszönen Brief zu schreiben?“, erkundigte sie sich trocken und blickte fragend in die Runde.
„Dann hat die ISU wenigstens Mal was, woran sie sich aufgeilen kann.“
Montgomery blickte sie sofort Feuer und Flamme an.
„Ich schreibe dir gleich einen!“, bot er mit einem anzüglichen Grinsen an.
Cathrynn hatten keinen Zweifel daran, dass er bereits im Geiste an seiner Formulierung feilte.
„Du kannst schreiben, Montgomery?“, zog Chris Smith den massigen Hunter auf.
Cathrynn stimmte in das Lachen ihrer Kollegen ein.
„Wir können uns gegenseitig welche schicken“, schlug Thompson noch immer lachend vor.
„Besser nicht, Marc“, wiegelte sie trocken ab.
„Nachher kassiert die ISU uns dann noch wegen Verschwörung ein“, gab sie lachend zu bedenken.
Ihr Lachen verstummte augenblicklich, als ein Dokument auf den Couchtisch flog. Sie blickte auf und begegnete einem stahlgrauen Augenpaar.
„Seht ihr, es geht schon los!“, rief sie lachend, bevor sie auf das Dokument blickte.
„Ich bin doch erst vor zwei Monaten befragt worden“, stöhnte sie, doch Frank hob nur die Schultern.
„Redfield scheint verrückt nach dir zu sein“, entgegnete er trocken.
„Ich komme schon“, knurrte Cathrynn angesäuert, als sie ihre Beine von Montgomerys Schoß gleiten ließ.
Redfield, ihre ISU-Liaison, schien sich nun endgültig auf sie eingeschossen zu haben.
Seufzend erhob sie sich von der Couch.
„Wenn du mit Redfield fertig bist, kannst du dann kurz auf eine Befragung zu mir kommen, Perle?“, fragte Montgomery lachend, als sich zum zweiten Mal an diesem Tag eine Hand auf ihren Hintern legte.
Im Reflex fand ihre Schuhspitze Montgomerys Schienbein, als sie sich noch einmal zu dem massigen Hunter umwandte.
„Also würde dein Herz das noch mitmachen, mein Dicker“, zog sie ihn mit einem zuckersüßen Grinsen auf, bevor sie unter dem Johlen ihrer Kollegen den Aufenthaltsraum verließ.
„Liegt es daran, dass ich eine Frau bin, dass ich wesentlich häufiger befragt werde, als alle anderen?“, fragte sie ihren Vorgesetzten seufzend, als sie zu ihm auf den Gang trat.
Es war in der Tat sehr offensichtlich, dass sie fast jedes Quartal bei Redfield antanzen durfte.
„Wahrscheinlich versucht Quinn über dich, an mich heran zu kommen“, antwortete Frank nachdenklich, bevor er abrupt stehen blieb, um sie anzublicken.
Cathrynn stutzte kurz, als sie in das stahlgraue Augenpaar blickte.
War das gerade ein entschuldigender Blick gewesen?
Sie sah noch einmal genauer hin.
Da war nur Ausdruckslosigkeit. Sie musste sich getäuscht haben.
„Informiere mich bitte sofort nach deinem Gespräch mit Redfield!“, wies Frank sie knapp an.
Cathrynn nickte.
Für einen Moment konnte sie nicht sagen, was sie mehr störte, die anstehende Befragung durch die ISU oder die Aussicht auf ein Vier-Augen-Gespräch mit Frank direkt im Anschluss.
„Und Rayven, übertreibe es nicht wieder, okay?“, ermahnte er sie seufzend, bevor er sich abwandte und seinen Weg fortsetzte.
*
Noch immer brütete er über dem Obduktionsbericht, doch sein Verstand wurde mit jedem Wort, das er las, dumpfer.
Als er den Bericht heute am frühen Nachmittag endlich auf seinen Schreibtisch bekommen hatte, war er fest davon überzeugt gewesen, Gespenster zu sehen.
Er hatte nicht erwartet, etwas darin zu finden, was er nicht bereits wusste.
Grauen hatte sich in ihm breit gemacht, als er die ersten Seiten überflogen hatte.
Jedes der sachlichen Worte, mit denen der Pathologe die Obduktion dokumentiert hatte, war ein Schlag ins Gesicht gewesen, als er seine Erkenntnisse der letzten zwei Tage zu einem recht deutlichen Bild zusammenzusetzen begann.
Wie es sich für ihn darstellte, war McConagheys Tod mitnichten der Unfall gewesen, als den Frank ihn in seinem Einsatzbericht hingestellt hatte.
Zumindest legte das Einschussloch in seinem Hinterkopf diese Vermutung nah.
Irritiert fragte Singer sich, warum die Hunter bisher davon ausgegangen waren, dass McConagheys Tod ein Unfall gewesen war.
Singer hatte sich McConagheys Dienstakte angesehen, der Mann hatte Undercover für die ISU gearbeitet, um einen Verräter zu finden.
Offensichtlich war er auf ihn gestoßen und hatte seinen Fund mit dem Leben bezahlt.
Wenn nun der Verräter gefunden würde, würden zumindest endlich die Gerüchte über Jasons möglichen Verrat verstummen.
Dennoch gefiel es ihm nicht, dass es einen Verräter innerhalb der Hunter gab.
Noch weniger gefiel es ihm, eine offizielle Ermittlung gegen die Einheit einzuleiten.
Es schien ihm, je länger er darüber nachdachte, als würde er damit Frank direkt verraten, nachdem sie seit so viele Jahre befreundet waren.
Dann stutzte Singer allerdings in seinen Überlegungen, als er sich darüber wunderte, dass die Hunter die Angelegenheit so schnell abgehakt hatten.
Er wusste genug über diese Männer, um sicher zu sein, dass sie nicht mit einem Schulterzucken über den Mord an einem Kollegen hinweggehen würden.
Für jeden Einzelnen von ihnen wäre es eine nahezu heilige Pflicht gewesen, den Mörder zu finden und sich zu rächen.
Ein unangenehmes Ziehen breitete sich in Singers Magen aus, als er widerwillig zu Franks Einsatzbericht vom 26. November des vergangenen Jahres griff.
Mit steifen Fingern blätterte er das Dokument durch.
Entsetzen stahl sich auf seine Züge, als er die Worte seines langjährigen Freundes überflog.
Agent Ian McConaghey sei in den Flammen gestorben, hieß es im Bericht.
Ein bedauerlicher Unfall, aber leider nicht ungewöhnlich.
Nicht mit einem Wort wurde der Kopfschuss erwähnt.
„Tue mir das nicht an, Frank!“, murmelte Singer seufzend, als er die Akte schloss.
Die offensichtliche Diskrepanz zwischen den beiden Berichten ließ nur eine Schlussfolgerung zu.
Frank hatte wieder einmal die Berichte frisiert.
Gequält schloss Singer die Augen.
Er konnte sich nur zwei Gründe vorstellen, warum der Direktor der Hunter dies tun würde.
Entweder er versuchte seine eigenen Spuren zu verwischen, was bedeutete, dass Frank selbst ein Verräter wäre, oder aber er versuchte damit jemand anderen zu decken.
Daran, dass Frank ein Verräter sein könnte, dachte Singer nicht eine Sekunde, das war zu absurd.
Also, schloss er seinen Gedankengang, deckte Frank jemanden.
Doch wer dieser Jemand sein konnte, darauf wusste Singer keine Antwort.
Es gab wenig, das Frank über seinen Kodex als Hunter stellte und er konnte sich nicht vorstellen, für wen er seine eigenen Ideale verraten würde.
Die Antwort auf diese Frage erwischte ihn völlig unvorbereitet, wie ein Schlag in den Magen.
Das konnte nicht sein.
Das durfte nicht sein.
„Gott im Himmel, gib, dass ich mich irre!“, flüsterte Singer zu geschockt, um diesen Gedanken weiter zu forcieren.
Dennoch, er musste seine Ergebnisse weitergeben, wenn auch nur der Hauch eines Verdachts bestand, dass es einen Verräter innerhalb der Hunter gab.
Die Dokumente auf seinem Schreibtisch enthielten mehr als nur einen Hauch, dennoch brauchte er eine weitere Bestätigung, die mehr als seine Vermutung war.
„Allison, schaffen Sie mir bitte sofort Agent Stiller oder Agent Jameson ans Telefon“, forderte er seine Sekretärin harsch auf, als sie den Hörer im Vorzimmer an ihr Ohr gehoben hatte.
Angespannt trommelte er mit dem Kugelschreiber auf die Schreibtischplatte, während er darauf wartete, dass einer der beiden Dienstaufsichtler, die die Routineüberprüfung nach McConagheys Tod durchgeführt hatten, endlich ans Telefon kam.
„Sir, Stiller und Jameson sind beide noch in einer Befragung, Ethan schickt sie sofort zu Ihnen, wenn sie wieder im Büro sind“, drang die Stimme seiner Sekretärin an sein Ohr.
Singer nickte und beendete das Gespräch mit einem unwilligen Grunzen.
Dann kam plötzlich Bewegung in den CIA Direktor, als er aus seinem Büro rauschte.
„Sir, ich habe den Verteidigungsminister in der Leitung!“, rief seine Sekretärin mit der Hand über der Sprechmuschel, als sie ihn aus der Tür treten sah.
Singer schüttelte den Kopf, während seine Hand in eindeutiger Geste an seinem Kehlkopf vorbei fuhr.
„Tut mir leid, Sir. Der Direktor ist noch in einer Besprechung. Ich werde ihn über Ihren Anruf informieren“, hörte er die leiser werdende Stimme seiner Sekretärin, als er das Vorzimmer durchquert hatte und über den Gang eilte.
Trotz seiner Anspannung bemerkte er mit einem Hauch von Belustigung, dass die Agenten, die er passierte, unwillkürlich Haltung annahmen, als sie ihn sahen.
Dann hatte er die Büros der Dienstaufsicht endlich erreicht.
Die Sekretärin des Direktors machte einen Satz in ihrem Stuhl, als sie sah, wer soeben ins Vorzimmer getreten war und blickte ihn mit großen Augen an.
Singer bedachte die attraktive Schwarze mit einem knappen Nicken, bevor er nach einem kurzen Klopfen in Ethan Williams Büro trat.
„Ethan, Sie werden sofort eine interne Untersuchung der Hunter einleiten“, befahl er dem Mann, der sich eilig erhoben hatte, harsch.
Ethan Williams blickte ihn überrascht an.
Es war hinlänglich bekannt, dass Singer in der Vergangenheit jede sporadische Überprüfung der Hunter abgewürgt hatte.
„Ich will, dass Sie jeden Hunter überprüfen und jeden Zentimeter der Abteilung genau unter die Lupe nehmen“, befahl er, ohne sich um das Erstaunen im Blick des anderen Mannes zu kümmern.
„Soll ich nach etwas Bestimmtem suchen oder ist das nur eine Routineüberprüfung?“, fragte Williams, noch immer überrascht.
„Ich will alles wissen, was in irgendeiner Weise mit dem 26. November des vergangenen Jahres und Agent Ian McConaghey in Verbindung steht.“
Williams nickte und Singer wandte sich grußlos wieder um.
Er verharrte in seinem Schritt, als ihm noch etwas einfiel.
„Graben Sie in direkter Linie auch nach internen Tötungsbefehlen, ich will wissen, ob sie noch immer praktiziert werden.“