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1 Bonn, Redaktion des Energy Report

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Daniel Deckstein, Chefredakteur des Magazins Energy Report, nickte und legte den Entwurf für die neue Titelstory beiseite.

»Hervorragend geschrieben!«, sagte er und warf seinen beiden Kollegen Gerd Overdieck und Rainer Mangold, die ihm in seinem Bonner Büro gegenübersaßen, einen anerkennenden Blick zu. »Hm … einfach Zucker! Ich hätte ewig weiterlesen können.« Er machte eine nachdenkliche Pause, schüttelte den Kopf und fuhr mit Bedauern in der Stimme fort: »Ich wünschte, wir könnten das so stehen lassen. Das mit dem Staatsanwalt und dem LKA-Mann kann so bleiben, aber an der Beschreibung von Genskes Tod müssen wir grundsätzlich noch was ändern. Es sieht inzwischen so aus, als wäre der ganz anders zu Tode gekommen, als Sie es beschrieben haben. Ich bin froh, dass wir morgen diesen Gefängnisaufseher vor die Flinte kriegen. Am Nachmittag, oder, Gerd?«

»Aber nur Sie und der Alex. Der macht doch die Fotos.«

»Ach ja, Sudhoff fährt auch mit. Ich weiß nicht, warum, aber ich hab das Gefühl, dass wir morgen, wenn wir das Interview mit dem Wedelmeyer im Kasten haben, der Wahrheit ein gewaltiges Stück näher …«

»Da bin ich mir nicht mehr so sicher«, unterbrach ihn Overdieck. »Wenn man selbst der Aussage eines Oberstaatsanwalts nicht mehr trauen kann ...«

»Wir werden den Wedelmeyer mächtig löchern«, sagte Deckstein. »Wir quetschen dem alles aus den Rippen, was er über Genskes Tod weiß.«

»Wenn der Genske so zu Tode gekommen ist, wie wir bei unseren Recherchen von anderer Seite gehört haben, müssen wir aber auch noch woanders nachfassen«, sagte Overdieck, »und zwar ganz oben. Dann stellt sich auch erst recht die Frage, ob er das wirklich selbst gemacht hat. Egal, ob er so«, er machte mit der Rechten eine Bewegung, als wollte er sich den Arm aufschlitzen, »umgekommen ist, oder so.« Er deutete eine Bewegung an, als würde er sich eine Schlinge um den Hals legen.

»Das heißt, wenn er sich nicht selbst umgebracht hat, dann muss es Gründe dafür geben, warum er ermordet wurde«, erklärte Mangold und sah Deckstein an. »Um das rauszufinden, haben wir beschlossen, noch tiefer einzusteigen und die ganze Vorgeschichte aufzurollen. Also alles auf den Tisch zu packen, was die da an Dunkelgeschäften abgewickelt haben.«

»Ist uns ja auch bis jetzt ganz gut gelungen«, sagte Overdieck und lächelte Mangold zu. Er schätzte die journalistischen Qualitäten seines Kollegen und Freundes, der mehr als zehn Jahre bei internationalen Nachrichtenagenturen in London und Paris gearbeitet hatte. Overdieck wusste, dass Mangold sich dort mit großen Geschichten einen Namen gemacht hatte. Inzwischen eilte diesem der legendäre Ruf voraus, er habe die unglaubliche Begabung, Skandale förmlich zu wittern. Noch bevor überhaupt nur irgendjemand den Hauch eines unangenehmen Geruchs an irgendeiner Geschichte wahrgenommen habe, hieß es, stecke Mangold mit seiner empfindlichen Nase schon tief drin.

»Alles, was wir bisher recherchiert haben, deutet darauf hin«, fuhr Overdieck fort, »dass Genske sein Ableben nicht allein herbeigeführt hat. Vermutlich haben ihm bestellte Killer Hilfestellung geleistet.« Er sah Deckstein an. »Ich geb Ihnen einen Tipp: Wenn Sie morgen bei dem Wärter auf den Busch klopfen, fassen Sie ihn bloß nicht zu hart an. Solche Leute sind nach meiner Erfahrung häufig empfindsamere Naturen, als man denkt. Ich empfehle Ihnen, bei dem mit viel Fingerspitzengefühl vorzugehen. Erstmal abchecken, abtasten. Vielleicht steht er immer noch unter Druck. Und womöglich darf er auch gar nicht kundtun, wie es wirklich war.«

»Oh, Gerd, bei Fingerspitzengefühl und Abtasten wärst ja eigentlich du mit deinen zierlichen Pfötchen gefragt«, sagte Mangold grinsend und warf einen bedeutsamen Blick auf Overdiecks Hände, die er gern mit Schaufeln oder Bärentatzen verglich. »Aber dass der Mann eventuell auch heute noch unter Druck steht, halte ich auch für möglich.«

Deckstein hatte das Geplänkel schmunzelnd beobachtet. Trotz aller Frotzeleien verstanden sich Overdieck und Mangold sehr gut. Bei den Kollegen hatten sie ihre Spitznamen bereits weg. Overdieck mit seiner behäbigen, tollpatschigen Art war der »Taps«. Mangold, der ja für seinen Riecher bekannt war, hieß bei seinen Kollegen nur noch »Schnüffel«.

Neben Sabine Blascheck, der stellvertretenden Chefredak- teurin, waren Gerd Overdieck und Rainer Mangold Decksteins wichtigste Stützen in der Redaktion. Seit sie vor einigen Jahren zum Team gestoßen waren, bildeten sie alle gemeinsam ein unschlagbares Gespann.

Overdieck und Mangold stachen allerdings schon rein äußerlich hervor. Wer den beiden zusammen auf der Straße begegnete, musste unwillkürlich an das Komikerduo Pat und Patachon denken: Der kleine schmächtige Mangold wieselte mit schnellen Trippelschritten neben dem stämmigen Zweimetermann Overdieck einher. Dieser eilte trotz seiner Größe behände und beinahe elegant mit weiten Schritten über das Pflaster. Wenn Mangold seinem Kollegen unterwegs etwas sagen wollte, musste er zu ihm aufsehen. Deckstein hatte schon häufiger erlebt, dass Menschen stehen geblieben waren und den beiden lächelnd hinterhergeschaut hatten.

Overdieck hob die Hände. »Danke für die Blumen. Übrigens weißt du genau, dass ich gar keine Zeit habe mitzufahren. Ich muss an unserer Story weiterschreiben – morgen ist Deadline. Das erinnert mich daran, dass ich noch eine Menge Stoff von dir zu bekommen habe«, sagte er mit erhobenem Zeigefinger und verzog sein Gesicht zu einem breiten Grinsen.

»Reg dich nicht auf, mein Lieber, kriegst du ...«

Overdieck wandte sich wieder an Deckstein: »Bevor mich dieser Witzbold da unterbrochen hat, wollte ich nur kurz darauf hinweisen, dass Typen wie der Wedelmeyer oft schnell dichtmachen. Die haben ja nicht so häufig mit der Presse zu tun. Ein falsches Wort, und die sind eingeschnappt. Dann bekommt man nichts Vernünftiges mehr aus denen raus. Hab da so meine Erfahrungen.«

»Das glaub ich sofort«, spottete Mangold. »Ich ginge ja schon laufen, wenn ich sehen würde, dass so ein Zweizentnerschrank auf mich zugerollt kommt.«

Overdieck sah Deckstein an und schüttelte lachend den Kopf. »Ist ja eigentlich nicht zu glauben! Jetzt hat der Mann schon über vierzig Jahre auf dem Buckel und kann immer noch nicht schlucken, dass seine Eltern ihn als halbe Portion auf die Welt gebracht haben.«

Kaum hatte er den Satz zu Ende gebracht, traf ihn ein Keks

an der Schläfe. Overdiecks Bauch zitterte vor unterdrücktem Lachen. »Lass uns mal wieder ernst werden, Rainer«, sagte er und fuhr an Deckstein gewandt fort: »Ich bin sicher, Sie machen das schon. Wenn Sie den Wedelmeyer richtig anpacken, Daniel, können Sie aus dem eine Menge für uns rausholen. Schließlich hat er laut LKA-Unterlagen den Genske tot in seiner Zelle gefunden.«

»Aus meiner Sicht haben wir nur eine Chance, was Brauchbares von dem zu erfahren, wenn wir ihm mit gezielten Fragen auf den Leib rücken«, warf Mangold ein. »Vielleicht hab ich da noch was«, setzte er mit unergründlicher Miene hinzu.

»Mein Lieber, du riechst doch schon wieder was. Spuck's aus!«, sagte Overdieck.

»Mir ist da was durch den Kopf gegangen, Gerd. Kann ich aber noch nicht drüber reden. Muss erst noch ein bisschen rumtelefonieren. Und dann schiebe ich Ihnen, Daniel, noch ein paar saubere Fragen für das Interview rüber.«

»Okay, bin gespannt«, sagte Deckstein. »Solche Leute haben, glaub ich, oft Hemmungen, mit offiziellen Untersuchungsbeamten über ihre Entdeckungen und Gefühle zu sprechen. Und soweit wir inzwischen wissen, ist Wedelmeyer keiner dieser durchschnittlichen Schließer. Eher ein verhinderter Jurist. Obwohl er schon lange im Dienst ist, also auch erfahren, kniet der sich in die Fälle rein und liest alles darüber. Als erster eingebuchteter Manager aus einem Atomunternehmen war der Genske für ihn wohl ein ganz besonderer Fall. Das hab ich jedenfalls bei einem Telefonat mit Wedelmeyer herausgehört. Der sprudelte gleich los ...«

»Erstaunlich«, unterbrach ihn Overdieck. »Aber auch bei einigen Staatsanwälten, die wir gesprochen haben, war der Fall nach über zwanzig Jahren immer noch präsent. ›Es gibt so Fälle‹, hat der Leiter des Archivs in der Hanauer Staatsanwaltschaft zu mir gesagt, ›die merkt man sich, weil man damit rechnet, dass da irgendwann noch mal nachgefragt wird‹.«

»Wir hatten bei unseren Recherchen ja auch wiederholt den Eindruck, als hätte damals eine heimliche Hand die Ermittler an unsichtbaren Fäden zurückgehalten, damit sie nicht zu tief ermitteln«, sagte Deckstein nachdenklich.

»Die Leute erinnern sich zwar an den Fall, aber wenn wir irgendwo auftauchen, schlägt uns nicht gerade die reine Freude entgegen«, sagte Mangold. »Im Gegenteil, manchmal müssen wir froh sein, dass die uns nicht einen Eimer Wasser über den Kopf schütten, wenn wir uns vorstellen und erklären, um was es geht.«

Gerd Overdieck nickte heftig.

»Wenn das Interview mit dem Wedelmeyer gut läuft, erfahren wir vielleicht, ob die Branche oder alle, die da mitmischen, fähig sind, einen Mord in Kauf zu nehmen, um ihre Ziele nicht zu gefährden. Das, was wir bisher schon im Kasten haben und nach und nach veröffentlichen können, spricht ja eigentlich schon eine klare Sprache. Hat nicht der Richter in Hanau schon damals, als der Prozess gegen einen Mitarbeiter aus dem Umfeld Genskes lief, von mafiosen Strukturen gesprochen?«

Overdieck sprang plötzlich auf. »Ich kann's gar nicht erwarten, diesen coolen, aalglatten Atommanagern die Maske vom Gesicht zu reißen. Die erklären immer, sie hätten alles im Griff! Dabei wird gar nicht richtig klar, wie sie das eigentlich meinen!«

Mangold wusste, dass er seinen Kollegen bremsen musste,

egal wie. Sonst würde der sich weiter in Rage reden.

»Mensch, Gerd«, sagte er und setzte ein spöttisches Grinsen auf, »besser hätte ich es auch nicht formulieren können. Ich sag's ja immer, unser Taps kann sich von einer Minute zur anderen als eleganter ... Haudrauf entpuppen.«

Overdieck klopfte ihm lächelnd auf die Schulter. »Manchmal bist du so'n richtig netter kleiner Armleuchter.«

»Ich finde es zwar immer wieder unterhaltsam, Ihnen beiden zuzuhören«, sagte Deckstein, »aber die Zeit drängt. Ich muss die Unterlagen noch mal durchgehen, und Sabine will auch noch was von mir.«

»O.k., wir sind schon verschwunden«, sagte Mangold und stand auf. »Ich reich Ihnen nachher noch die Fragen rein.«

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