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2.2 Kinderläden

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Eindeutige Evidenz, dass erzieherische Gleichbehandlung nicht notwendigerweise zum angestrebten Effekt führt, ergab sich unbeabsichtigt aus einem großangelegten Quasi-Experiment mit Kindern im Vorschulalter. Im Zusammenhang mit der 68er-Bewegung hatten sich einschlägig engagierte Eltern zusammengetan und in leerstehenden Läden antiautoritäre Kindergärten eingerichtet, für die sich die Bezeichnung »Kinderläden« einbürgerte. Ziel war es, Vorschulkinder gemeinsam aufwachsen zu lassen und dabei bestimmte – von der Tradition abweichende – Erziehungsideale zu realisieren. Zu diesen zählten in erster Linie eine repressionsfreie Erziehung und die Förderung der Selbstregulation innerhalb der Gruppe. Die Erzieher sollten also möglichst wenig eingreifen. Die Formen der Konfliktbewältigung, bei denen es keine Opfer geben sollte, waren zu fördern, Kooperation und Solidarität standen im Vordergrund. Und nicht zuletzt wollte man eben auch auf die Einübung von Geschlechtsrollen verzichten, in der Hoffnung, dass dies von selbst zur Angleichung der Geschlechter führen werde.

Zwei Psychologen, Horst Nickel und Ulrich Schmidt-Denter, wollten nun in einer umfangreich angelegten Untersuchung klären, wieweit sich diese Ziele erfüllt hatten (Nickel & Schmidt-Denter, 1980). Es wurden 40 Kinderläden – fast alle, die es überhaupt gab – mit 31 traditionellen Kindergärten verglichen. Die Alterspanne der untersuchten Kinder reichte von drei bis zu fünf Jahren ( Abb. 2.1).

Zur Enttäuschung der Untersucher, die zum Teil auch als Eltern in der Initiative engagiert gewesen waren und ihre eigenen Kinder in Kinderläden gegeben hatten, erwies sich das Erziehungsziel der geschlechtlichen Angleichung als voll verfehlt. Dies äußerte sich vor allem bei der Bewältigung von Konflikten. In den traditionellen Kindergärten wurden diese in erster Linie aggressiv ausgetragen, wobei die Jungen signifikant die Mädchen übertrafen. Ein solches Ergebnis hatte man auch erwartet, denn Aggressivität gehört zum Rollenstereotyp eines »ordentlichen Jungen«. Nicht erwartet hatte man jedoch, dass der gleiche Unterschied auch in den Kinderläden auftreten würde, und zwar – zum Entsetzen der Beteiligten – nicht etwa in geringerem Maß, sondern sogar noch ausgeprägter als unter den traditionellen Erziehungsbedingungen. Die Jungen in den Kinderläden lösten ihre Konflikte vorzugsweise mit brachialer Gewalt, während die Mädchen sich bereitwilliger zurückzogen und noch ängstlicher und abhängiger agierten als ihre Geschlechtsgenossinnen im »bürgerlichen« Kindergarten. Letztere setzten sich sogar durchaus zur Wehr, entsprachen also viel weniger dem Rollenstereotyp als die repressionsfrei erzogenen Mädchen. Zwar erwiesen sich die Kinderläden generell als konfliktärmer, was die Untersucher auch erwartet hatten, aber dies ging eben eindeutig zu Lasten der Mädchen, die einfach im Streitfall sofort nachgaben. Erst die Fünfjährigen zeigten ein ähnliches Ausmaß an Aggressionsbereitschaft wie die Jungen, so als hätten sie allmählich doch gelernt, sich zu wehren.

Das Ergebnis widerspricht eklatant der Erwartung, geschlechtstypische Aggressionsunterschiede seien anerzogen. Wenn Letzteres nämlich zuträfe, dann müssten sich Jungen und Mädchen gerade in den traditionellen Kindergärten stärker unterscheiden, und dies umso ausgeprägter, je älter die Kinder sind, denn umso besser sollte das an den gängigen Stereotypen orientierte Rollenverhalten eingeübt sein. Tatsächlich ist es aber gerade umgekehrt.

Die Untersucher wollten der Sache dann noch genauer auf den Grund gehen und herausfinden, wie es mit den Dominanzverhältnissen stand, ob hier wiederum das alte Geschlechtsrollenstereotyp der männlichen Vorherrschaft durchschlagen würde. Sie brachten deshalb in beiden Typen von Kindergärten Jungen und Mädchen in eine Konkurrenzsituation, in der sie um ein attraktives Kinderfahrrad rivalisieren konnten. Wiederum war das Ergebnis eindeutig: Das in traditionellen Kulturen sattsam bekannte Muster, dass das männliche Geschlecht das weibliche dominiert, trat auch hier in Erscheinung, und zwar eben auch bei den nondirektiv erzogenen Kindern.

Die Autoren waren einigermaßen ratlos, wie sie dieses unerwartete Ergebnis erklären sollten. Sie erwogen sogar, ob die Kinder in den Kinderläden durch das Bemühen ihrer Eltern, sie nicht geschlechtsrollenkonform zu erziehen, vielleicht gerade für Geschlechtsunterschiede sensibilisiert und dadurch veranlasst worden sein könnten, diese besonders deutlich auszuleben.

Sehr überzeugend ist diese Argumentation nicht. Man könnte natürlich auch einwenden, die Kinder seien ja nicht im luftleeren Raum aufgewachsen und hätten immer noch genügend Berührung mit der traditionellen Kultur gehabt, um sich ihre Informationen über die gängige Geschlechtsrollenzuweisung zu verschaffen. Das ist aber insofern wenig plausibel, als die Kinder in erster Linie eben doch in ein alternatives Erziehungsmilieu eingebettet waren. Vor allem leuchtet nicht ein, wieso die geschlechtstypische Differenzierung unter diesen Bedingungen ausgerechnet besonders profiliert auftreten sollte. Wenn man die Interpretation der Autoren ernst nähme, dann hätte eine Umerziehung im Sinne einer Angleichung nicht die geringste Chance, im Gegenteil, man müsste, um das Schlimmste zu verhüten, gerade propagieren, die traditionelle Behandlung beizubehalten.

Abb. 2.1: Relative Häufigkeiten aggressiver (oben) bzw. vermeidender (unten) Reaktionen auf Konfliktanlässe bei Jungen und Mädchen im Altersverlauf zwischen drei und fünf Jahren. Links: Kinderläden, rechts: traditionelle Kindergärten.

In Wirklichkeit spricht alles dafür, dass konservativ denkende Eltern und Erzieher eher dazu tendierten, der Aggression bei Jungen einen Dämpfer aufzusetzen, anstatt sie auch noch zu fördern. Es besteht aber noch immer wenig Neigung, zwei und zwei zusammenzuzählen und die Konsequenzen aus solchen Erfahrungen zu ziehen. Noch immer beansprucht die Ansicht, Geschlechtsunterschiede seien ausschließlich anerzogen, das unumstößliche Recht, Interpretationsmöglichkeiten verbindlich festzulegen und einzuengen.

Von Natur aus anders

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