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2.3 Geschlechtsneutrale Erziehung

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In der Absicht, sämtliche Sozialisationsbedingungen zu beseitigen, die für das Entstehen von Geschlechtsstereotypen verantwortlich gemacht werden, entstand in Schweden vor einigen Jahren der Kindergarten »Egalia«. Er folgt dem Ideal einer geschlechtsneutralen Erziehung: Klassische Märchenbücher mit Prinzessinnen und Rittern sind nicht vorhanden, die Erzieher sind zu gleichen Teilen männlich und weiblich, und das Kunstwort »hen« wurde eingeführt, das eine geschlechtsneutrale Alternative zu den Personalpronomen »han« (er) und »hon« (sie) darstellen soll. Kommt nun doch einmal ein männlicher Handwerker in den Kindergarten, werden den Kindern anschließend Fotos von Handwerkerinnen gezeigt. Und spielt ein Kind Vater-Mutter-Kind, wird ihm vorgeschlagen, auch Vater-Vater-Kind oder Mutter-Mutter-Kind zu spielen.

Das internationale Medienecho war überwiegend positiv. Der Grund dafür lag allerdings nicht in den überzeugenden Ergebnissen empirischer Untersuchungen. Es gab sie nicht und es wird sie nicht geben, denn Egalia lehnt eine wissenschaftliche Untersuchung seines Konzepts ab.

Mittlerweile aber liegen erste empirische Ergebnisse vor, bei denen Kinder eines ähnlich geschlechtsneutralen schwedischen Kindergartens mit denen eines traditionellen Kindergartens verglichen wurden (Shutts et al., 2017). Zwar gaben die Kinder des geschlechtsneutralen Kindergartens häufiger an, prinzipiell an Freundschaften mit Kindern des Gegengeschlechts interessiert zu sein; die tatsächlichen Freundschaften waren in beiden Kindergärten dann allerdings gleichermaßen auf Geschlechtsgenossen fokussiert. Die Kinder des geschlechtsneutralen Kindergartens bekundeten zudem eine etwas geringere Neigung, Spielsachen wie Autos oder Puppen geschlechtsstereotyp zuzuordnen, dieser Effekt lag aber hauptsächlich an den Antworten der Jungen. Mädchen zeigten in beiden Kindergärten die gleichen Geschlechtsstereotype. Nun könnten die Jungen tatsächlich weniger Geschlechtsstereotype besessen haben, sie könnten aber auch schlicht unter einem stärkeren Druck gestanden haben, die sozial erwünschten Antworten zu geben.

Weitere Zweifel am Erfolg der geschlechtsneutralen Erziehung entstehen beim Betrachten einer dritten Aufgabe, die vordergründig als Gedächtnisaufgabe konzipiert war, aber eigentlich das Denken in der Kategorie »Geschlecht« testete. Den Kindern wurden Fotos von anderen Kindern und ihren jeweiligen Tieren gezeigt. Bei den anschließenden Fragen, welchem Kind welches Tier gehörte, konnten die Kinder naturgemäß nicht alle Besitzverhältnisse erinnern. Jedoch konnten sich die Kinder des geschlechtsneutralen Kindergartens häufiger als Kinder des traditionellen Kindergartens noch daran erinnern, ob es ein Junge oder ein Mädchen war, zeigten also sogar eine etwas stärkere Fokussierung auf die Kategorie »Geschlecht«. Dieses Ergebnis ist daher bemerkenswert, weil es von der einzigen Aufgabe stammt, die die pädagogischen Inhalte der geschlechtsneutralen Erziehung nicht direkt abfragte und daher nicht für die Tendenz anfällig war, sozial erwünschte Antworten zu geben.

Die Autoren kommen gleichwohl zum Schluss, dass geschlechtsneutrale Erziehung eine sinnvolle Maßnahme sei. Mit Blick auf die uneinheitlichen Ergebnisse fügen sie hinzu, dass diese wohl vornehmlich durch Einflüsse von außerhalb des Kindergartens begründet seien und es Aufgabe der Politik sei, auch dort für mehr Geschlechtsneutralität zu sorgen. Ähnlich wie bei der Studie zu den Kinderläden werden andere Erklärungsansätze nicht verfolgt.

Von Natur aus anders

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