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4.2 Elektrakomplex und Gebärneid
ОглавлениеWie sieht es nun mit der entsprechenden Entwicklung bei Mädchen aus? Wie schon erwähnt, hat sich Freud vor diesem Thema immer ein wenig gedrückt. Er äußert sich dazu erstmals 1925 als 68-jähriger Mann in einem Artikel mit dem Titel »Einige psychische Folgen des anatomischen Geschlechtsunterschieds« (Freud, 1925). Einmal mag er damit dem Druck seiner Schülerinnen Helene Deutsch und Jeanne Lampl-de Groot nachgegeben haben, von denen die Letztere in Anlehnung an Jung einen »Elektrakomplex« postuliert hatte, wobei sie davon ausging, dass die Entwicklung beim weiblichen Geschlecht symmetrisch zum Ödipuskomplex verlaufe. Hauptsächlich könnte der Anlass aber Freuds schwindende Lebensperspektive gewesen sein, denn er gibt am Anfang des Artikels, vermutlich auch unter dem Eindruck seiner Krebserkrankung, den Hinweis, dass er nicht mehr unbegrenzt Zeit habe und deshalb etwas verlautbaren müsse, das noch nicht vollständig ausgereift sei, sondern lediglich seinen Eindruck aus etwa einem Dutzend Fällen wiedergebe. Mit der Betonung der Vorläufigkeit seiner Aussage, deren Richtigkeit erst noch von seinen Schülern genauer überprüft werden müsse, suchte er wohl die Brisanz des Inhalts etwas abzumildern. 1931 folgte dann ein zweiter Artikel »Über die weibliche Sexualität«, in dem Freud explizit und kritisch auf den »Elektrakomplex« Bezug nimmt (Freud, 1931).
Freud betont, dass die geschlechtliche Entwicklung bei Jungen und Mädchen eben nicht symmetrisch verläuft. Auch das Mädchen ist nach seiner Meinung zunächst oral auf die Mutter fixiert und erlebt daher den Vater als Rivalen. Die weitere Entwicklung verläuft dann aber insofern weniger prägnant, als die Situation des Penisverlusts ja bereits eingetreten ist. So beginnt der Prozess bei den Mädchen nicht mit dem Ödipuskomplex, am Anfang steht vielmehr die Erfahrung der Kastration. Das Mädchen bemerkt, mit den Worten Freuds, »den auffällig sichtbaren groß angelegten Penis eines Bruders oder Gespielen, erkennt ihn sofort als das überlegene Gegenstück seines eigenen, kleinen versteckten Organs und ist von da an dem Penisneid verfallen« (Freud, 1925, S. 162). Hiervon kommen Frauen lebenslang nicht mehr los; sie erleben sich als minderwertig gegenüber dem Mann, der seinerseits eine »Abscheu vor dem verstümmelten Geschöpf empfindet oder triumphierende Geringschätzung desselben«. In der Organminderwertigkeit sieht Freud ferner den Grund, dass Frauen zu Eifersucht neigten, und auch die erhöhte weibliche Schamhaftigkeit rühre daher; denn man möchte verbergen, dass etwas nicht vorhanden ist. In diesem Zusammenhang wird dann gleich noch die Vorliebe für das Flechten und Weben erklärt, die ja dem Bedecken dienen. Schließlich resultiert daraus auch die Eitelkeit, denn irgendwann entdeckt das Mädchen, dass es schön ist und muss dies nun kompensatorisch übertreiben.
Wie verarbeitet das Mädchen nun aber die ganze Schande? Es macht die Mutter verantwortlich, die es so schlecht ausgestattet hat, und verachtet sie als ebenfalls minderwertiges, weil penisloses Geschöpf. Konsequenterweise wendet es sich von ihr ab und dem Vater zu, in der Hoffnung, an dessen Organ zu partizipieren oder doch wenigstens ein Kind als Ersatz von ihm zu bekommen. Damit hätten wir ein weibliches Pendant zum Ödipuskomplex. In den Worten Freuds: »Während der Ödipuskomplex des Knaben am Kastrationskomplex zugrunde geht, wird der des Mädchens durch den Kastrationskomplex ermöglicht und eingeleitet« (Freud, 1925, S. 166).
Schuld- und Angstreaktionen sind auch hier die Folge und führen dann schließlich doch zu einer kompensatorischen Identifikation mit der Mutter, die freilich wegen deren schon erwähnter Minderwertigkeit schwächer ausfällt. Immerhin kommt es aber ebenfalls zu einer Übernahme der Geschlechterrolle und auch moralische Wertvorstellungen werden ausgebildet. Allerdings besteht für das Mädchen kein Anlass, den Ödipuskomplex ebenso rigoros zu überwinden wie der Junge; denn es kann ihm ja nichts mehr passieren, den Penis hat es sowieso schon verloren. Das wirkt sich natürlich auf die weibliche Moralentwicklung aus: »Das Über-Ich wird niemals so unerbittlich, so unpersönlich, so unabhängig von seinen affektiven Ursprüngen wie wir es vom Manne fordern«. Hierin liege die Ursache dafür, dass das Weib »weniger Rechtsgefühl« zeige und weniger die »Neigung zur Unterwerfung unter die großen Notwendigkeiten des Lebens«. Freuds Ausführungen laufen letztlich darauf hinaus, dem weiblichen Geschlecht das schwächere moralische Gewissen zu attestieren.
Die psychoanalytische Retourkutsche auf diese defizitorientierte Konzeption der weiblichen Entwicklung ließ nicht lange auf sich warten. So meinte Karen Horney beim männlichen Geschlecht einen Gebärneid – als Pendant zum Penisneid beim weiblichen Geschlecht – entdeckt zu haben. Freuds Theorie sei lediglich Ausdruck seines männlichen Narzissmus, denn in psychotherapeutischen Gesprächen mit Männern gewänne sie »den überraschenden Eindruck von der Intensität dieses Neides auf Schwangerschaft, Geburt und Mutterschaft, sowie auf die Brüste und das Stillen« (Horney, 1926, S. 365). Diese vermeintliche Organminderwertigkeit des Mannes wird nun wiederum dazu herangezogen, allerlei zu erklären: So gründe beispielsweise die Gewichtszunahme der Väter während der Schwangerschaft ihrer Partnerinnen ebenso im Gebärneid wie die Hexenverfolgung im Mittelalter.