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2.6 Geschlecht als Inszenierung

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Noch ein paar Schritte weiter geht der sogenannte »ethnomethodologische« Ansatz, eine besonders rigorose Spielart des Kulturrelativismus. Dieser billigt den einzelnen Kulturen nicht nur zu, die Geschlechtsrollen frei zuweisen zu können, sondern behauptet darüberhinaus, der Unterschied zwischen den Geschlechtern werde überhaupt nur dann wahrgenommen, wenn ihn eine Kultur entsprechend »inszeniere«; man spricht direkt von »doing gender«. »Geschlechtlichkeit« wird als etwas angesehen, das man sich aneignet, »und zwar als soziale Konstruktion«. Konsequentermaßen wird dann in der »Dekonstruktion« das geeignete Heilmittel gegen die Diskriminierung gesehen (Gildemeister, 1988, S. 497). Im Originalton klingt das etwa folgendermaßen (Günthner & Kotthoff, 1991, S. 8):

»Jede Interaktionssituation bietet die Gelegenheit, Geschlechterrollen zu perpetuieren, aber auch zu verändern, d. h. wir kreieren den Geschlechtsunterschied permanent durch Andersbehandlung der Geschlechter mit oder wir heben ihn durch Gleichbehandlung vorübergehend auf. Gesellschaftliche Strukturen, wie beispielsweise männliche Dominanz oder weibliche Unterlegenheit, sind also nicht einfach gegeben, sondern ein kultiviertes Konstrukt, das wir in Interaktionssituationen aktivieren können.«

Die Geschlechtlichkeit in ihren somatischen Aspekten wird als »sex« von »gender« unterschieden, um auch durch die Wortwahl klar zu machen, dass die Biologie nichts mit dem Verhalten zu tun hat. In einer Verlautbarung des Bundesfamilienministeriums wurde das im Jahre 2002 in folgendem Wortlaut festgeschrieben: »Gender bezeichnet die gesellschaftlich, sozial und kulturell geprägten Geschlechtsrollen von Männern und Frauen. Diese sind – anders als das biologische Geschlecht (also sex) – erlernt und damit veränderbar« (Bundesfamilienministerium, 2002). Nur »gender« als erlernte und von der Kultur übernommene Geschlechtsrolle ist von Interesse. »Sex« dagegen kann zwar kulturell thematisiert werden, zwingend ist dies aber nicht; prinzipiell wäre man auch frei, die somatischen Unterschiede zu ignorieren.

Manche Autorinnen gehen so weit zu behaupten, die Morphologie böte sowieso keine hinreichend eindeutige Basis für die Einteilung in Mann und Frau. Die Geschlechtszuordnung sei vielmehr rein willkürlich. So argumentiert etwa Fausto-Sterling, jemanden als männlich oder weiblich zu bezeichnen, sei eine rein »soziale Entscheidung«; sie beruft sich dabei auf Fälle von Hermaphroditen und anderen anatomischen Uneindeutigkeiten (Fausto-Sterling, 2000). Auch Muldoon und Reilly bezweifeln, dass es eine ausreichende biologische Grundlage dafür gäbe, »männlich« und »weiblich« als dichotome, sich gegenseitig ausschließende Kategorien zu bestimmen (Muldoon & Reilly, 1998). In ihrer radikalsten Form wurde diese Annahme von Judith Butler formuliert, bei der nicht nur die Geschlechtsidentität, sondern auch die körperliche Geschlechtlichkeit keine festgelegten Größen sind, sondern ständig nach Maßgabe bestimmter Normen im Handeln neu hervorgebracht werden (Butler, 1991). Diese Radikalität ist allerdings auch von feministischer Seite mit dem Argument in die Kritik geraten, wenn Geschlecht sich nur in individuellen Interaktionen und Interpretationen manifestiere, verflüchtige es sich gleichsam und entziehe sich der wissenschaftlichen Untersuchung.

Auch wenn nicht alle feministischen Theorien so weit gehen, die morphologische Geschlechtlichkeit zu leugnen, teilen die meisten doch die Annahme, Femininität und Maskulinität und die davon abgeleiteten Geschlechtsrollen seien ausschließlich »sozial konstruiert« (Campbell, 1999; Rhoads, 2004). Wir werden uns noch genauer mit der Annahme auseinandersetzen müssen, für die morphologische Zweigeschlechtlichkeit gäbe die Biologie keine ausreichende Basis ab. Auf jeden Fall dürfte feststehen, dass das Thema »anlagebedingte Geschlechtsunterschiede« im Rahmen dieses Theorieansatzes überhaupt nicht »diskursfähig« wäre. Letztlich läuft die Argumentation darauf hinaus, der Natur jeden Einfluss auf Verhaltensunterschiede der Geschlechter überhaupt abzusprechen und zu glauben, wo solche in Erscheinung träten, könnten sie durch geeignete »Dekonstruktion« ohne Weiteres zum Verschwinden gebracht werden, wenn man nur im kulturellen Umfeld alle Hinweise auf die Geschlechtlichkeit konsequent tilgt, so wie das in Schweden versucht wird. Walter Hollstein hat in Bezug auf dergleichen Bemühungen seine Skepsis angemeldet, wenn er lakonisch Horaz zitiert: »Treib die Natur mit der Forke hinaus; stets kehrt sie zurück, heimlich durchbricht sie als Sieger die Mauern des hässlichen Hochmuts« (Hollstein, 2004, S. 48).

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