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3 Die missverstandene Biologie 3.1 Angst der Regie vor dem Autor
ОглавлениеDie Frage, ob sich das Bewusstsein der Geschlechtlichkeit und der damit verbundenen Eigenschaften wirklich so beliebig »inszenieren« oder auch weginszenieren lässt, steht mehr denn je zur Diskussion, auch wenn viele Sozialwissenschaftler das nicht wahrhaben wollen. Dabei ist schon der Begriff der Inszenierung selbst eine Reflexion wert. Er bezeichnet die Tätigkeit des Regisseurs, der eine vom Autor kreierte Idee – ein Drehbuch, eine Opernpartitur oder ein Skript – aus der abstrakten Textform in Anschauung transformiert. Inszenierung ist durchaus ein eigenständiger schöpferischer Akt; sie setzt aber ebenso selbstverständlich immer schon ein Werk voraus, das es zu inszenieren gilt. Und wenn man, wie heutzutage allerdings üblich, hinter der Bearbeitung die Vorlage überhaupt nicht mehr wiedererkennt, weil sich der Regisseur auf Kosten des Autors allzu sehr selbst zu verwirklichen beliebte, dann monieren die Kritiker mit Recht fehlende Werktreue.
Die Verfechter des »konstruktivistischen« Ansatzes scheinen sich nun tatsächlich ganz an jenen postmodernen Regie-Egomanen zu orientieren, denen es gelingt, den Autor aus ihrem Werkverständnis zu verdrängen. An sich wäre gegen das Bild von der kulturellen Inszenierung des Geschlechterspiels nämlich überhaupt nichts einzuwenden, ja es trifft die Realität sogar haargenau – nur darf dabei eben nicht vergessen werden, dass aller Inszenierung, wenn das Wort seinen Sinn behalten soll, auch ein Textmaterial zugrunde liegt, das schon da gewesen sein muss, bevor die Fantasie des Regisseurs ihre Arbeit aufnehmen kann. Die Rede von der kulturellen Inszenierung der Geschlechtlichkeit verweist somit, richtig verstanden, von sich aus auf die Frage nach den natürlichen Grundlagen.
In dem gerade geschilderten ideologischen Umfeld ist es freilich nicht möglich, diese Frage auch nur zu stellen. Sie wird – günstigstenfalls – für hoffnungslos obsolet erklärt oder ihre Proponenten als »biologistisch« abgestempelt. »Biologie« ist eben ein Reizthema; wenn es anklingt, dann schlagen die Emotionen hoch, die Diskussion wird unsachlich bis hin zur moralischen Diffamierung und dem Vorwurf, die Sache der Frauen zu verraten. Konfrontiert man die Opponenten mit gut fundierten Daten, die eigentlich zu einer Revision ihrer Überzeugung führen müssten, so ist der Verdacht auf falsche »erkenntnisleitende Interessen« schnell bei der Hand.
Es sieht so aus, als sei die Diskussion zwischen Umwelttheoretikern und Biologen durch den unbeherrschbaren Zwang vergiftet, die Gegenseite zu verteufeln. Genauer betrachtet ist die Dynamik aber doch asymmetrisch. Es gibt unter Sozialwissenschaftlern einen antibiologischen Affekt, zu dem auf der Gegenseite eigentlich keine vergleichbare Voreingenommenheit erkennbar ist. Natürlich gibt es Ausnahmen; nur sind sie in der Minderzahl. Zu ihnen gehört der Soziologe Walter Hollstein, der einmal in einem Referat ausdrücklich auf die angesprochene Schieflage hingewiesen hat und sie auch in seinem Buch »Geschlechterdemokratie« thematisiert. Wird »der Biologie die Negation gesellschaftlicher Bedingungen vorgeworfen […], dokumentiert dies nicht eine angenommene Fehlleistung naturwissenschaftlichen Denkens, sondern vielmehr die Ignoranz bestimmter Sozialwissenschaftler und Sozialwissenschaftlerinnen« (Hollstein, 2004, S. 263).
Wenn also bei Diskussionen zwischen Sozialwissenschaftlern und Biologen den Letzteren explizit oder – häufiger – implizit unterstellt wird, sie erhöben einen Alleinerklärungsanspruch, dann ist der Verdacht nicht ganz abwegig, dies sei die Projektion der eigenen Intoleranz. Jedenfalls hängt die Haltung mit tiefgreifenden Missverständnissen und daraus resultierenden Befürchtungen zusammen, mit denen wir uns nun genauer auseinandersetzen wollen.
Solche Missverständnisse beruhen auf Fehlinformation oder auf dem Unwillen, sich überhaupt in einem Gebiet kundig zu machen. Was ist so schlimm an der biologischen Argumentation? Aus den Antworten von Studentinnen auf die Frage nach der Veranlagung haben sich im Lauf der Jahre folgende sechs in unserem Zusammenhang äußerst aufschlussreiche Thesen zu diesem Problem herauskristallisiert. Wir wollen an dieser Stelle die Frage des »dritten Geschlechts« und wie Personen, die sich dazu bekennen, mit der Frage der Veranlagung umgehen, noch zurückstellen.
1. Veranlagung bedeutet Festgelegtsein, denn an der Natur kann man nichts ändern.
2. Die anlagebedingten Unterschiede zwischen Männern und Frauen sind so gering, dass sie nicht weiter relevant sind.
3. Geschlechtsunterschiede sind ein Produkt der Sozialisation, nicht der Veranlagung. Daher führt nur eine Gleichbehandlung der Geschlechter zur Verringerung der Geschlechtsunterschiede.
4. Natur und Freiheit sind Gegensätze.
5. Wenn man Geschlechtsrollen als naturgegeben akzeptiert und in der Biologie begründet, erhebt man sie damit auch zur gesellschaftlichen Norm; Abweichungen wären dann als »naturwidrig« verpönt.
6. Natürliche Geschlechtsunterschiede zugeben heißt, Männern Eigenschaften zubilligen, die den Frauen fehlen. Daraus ließe sich das Recht ableiten, Frauen als »minderwertig« zu diskriminieren.