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2.8 Gender Mainstreaming
ОглавлениеPolitisch findet der Versuch, Geschlechtergerechtigkeit herzustellen seit etlichen Jahren in einer Bewegung Ausdruck, die als Gender Mainstreaming bezeichnet wird – ein Begriff, der dem Normalverbraucher nicht gerade das Verständnis erleichtert. Gender Mainstreaming hat in Form großzügig finanzierter Projekte die Gleichstellung der Geschlechter zum Ziel und begründet dies in der oben zitierten Broschüre des Bundesfamilienministeriums dahingehend, »bei allen gesellschaftlichen Vorhaben [seien] die unterschiedlichen Lebenssituationen und Interessen von Frauen und Männern von vornherein und regelmäßig zu berücksichtigen, da es keine geschlechtsneutrale Wirklichkeit gibt« – was immer das heißen mag (Bundesfamilienministerium, 2002, S. 5; kritisch hierzu: Hollstein, 2004). So ganz scheint man sich aber auch hier nicht von einem gewissen Misstrauen gegen die Männlichkeit verabschiedet zu haben, wohl weil man befürchtet, man würde »dem Paradigma von der weiblichen Benachteiligung‚ auf die Füße treten’« (Rose, 2007, S. 77). Diese Sorge drückt sich beispielsweise in der Gestaltung des Global Gender Gap Index aus, der das Ausmaß an Geschlechtergerechtigkeit eines Landes ermitteln soll und von der Stiftung Weltwirtschaftsforum jährlich berechnet wird. Hierbei ergibt sich immer eine Ungleichheit zwischen den Geschlechtern zu Lasten der Frauen, die von Land zu Land lediglich unterschiedlich stark ausfällt. Das liegt jedoch an einer recht eigenwilligen Berechnungstechnik. Es gehen verschiedene Faktoren mit unterschiedlicher Gewichtung ein, wie beispielsweise das Einkommensverhältnis von Frauen zu Männern oder das Verhältnis der Lebenserwartung von Frauen und Männern. Der Index kann scheinbar Werte zwischen 0 und 2 annehmen. Der Wert 0 drückt völlige Ungleichheit zu Lasten der Frauen aus, der Wert 1 vollständige Gleichheit und der Wert 2 wäre theoretisch völlige Ungleichheit zu Lasten der Männer. Pikanterweise werden allerdings nahezu alle Faktoren, die einen Wert von größer 1 annehmen und damit eine Ungleichheit zu Lasten der Männer anzeigen, auf 1 gekürzt. Durch eine besondere Berechnung beim Faktor »Gesundheit und Lebenserwartung« liegt der Gesamtwert immer unter 1. Das Ergebnis zeigt also unabhängig von den gesellschaftlichen Verhältnissen stets eine Ungleichheit zu Lasten der Frauen an.
Der Basic Indicator of Gender Inequality mit einer ergebnisoffenen Berechnungsweise zeichnet ein differenzierteres Bild (Stoet & Geary, 2019). In Sachen Bildungschancen, Lebenserwartung und Lebenszufriedenheit registriert er zwar auch in weiten Teilen der Welt Ungleichheit zu Lasten der Frauen. Gerade aber in wirtschaftlich hoch entwickelten Ländern wie Deutschland registriert er einen leichten Vorteil für Frauen, was vor allem an ihrer höheren Lebenserwartung liegt. Ob damit die Lebenswirklichkeit von Frauen und Männern hierzulande tatsächlich abgebildet wird, ist natürlich offen. Allerdings erscheint ein Verweis auf den Global Gender Gap Index in Sachen Geschlechtergerechtigkeit bei Kenntnis seiner Berechnung reichlich unbedarft.
Wofür unter dem Stichwort »Gender Mainstreaming« Geld ausgegeben wird, ist tatsächlich in vielen Fällen erstaunlich. Beinahe kabarettreif ist die Empfehlung einer von der nordrhein-westfälischen Landesregierung mit 27 000 Euro gesponserten Studie zum »Gender Mainstreaming im Nationalpark Eifel«: In ihr wird allen Ernstes empfohlen, Bilder der Hirschbrunft im Werbematerial zukünftig möglichst zu vermeiden oder wenigstens in eine Darstellung der »Vielfalt der Tierwelt« einzubetten, um keine stereotypen Geschlechterrollen zu fördern (Hayn, 2005). Eltern, die an traditionellen Geschlechtsrollen festhalten, werden in einer vom Berliner Senat finanzierten »Handreichung« für Kindergärten mit dem Titel »Murat spielt Prinzessin, Alex hat zwei Mütter und Sophie heißt jetzt Ben« ins Visier genommen. Wenn die Eltern mit Ablehnung auf das geschlechtsvariante Verhalten ihres Kindes reagieren und »keine Gesprächsbereitschaft zeigen, sollte die Situation auch unter dem Blickwinkel einer möglichen Kindeswohlgefährdung betrachtet werden« (Günther, 2018, S. 5). Es mag ein wünschenswertes Ziel sein, dass Eltern nicht repressiv gegenüber den kindlichen Eigenarten auftreten, doch stimmt die unverhohlene Androhung der Inobhutnahme als Ultima Ratio doch recht nachdenklich.
Sicher handelt es sich bei den angeführten Zitaten um Auswüchse und es kann nichts schaden, wenn Lehrkräfte und Erzieher dafür sensibilisiert werden, Geschlechtsrollenverhalten nicht ausdrücklich auch noch zu unterstreichen. Kontraproduktiv ist es aber, wenn das zu einer völligen Verunsicherung führt, wie man sie unter praktizierenden Pädagogen gegenwärtig nicht selten beobachtet, die einfach ratlos sind, welche Maßnahmen sie überhaupt noch ergreifen dürfen.