Читать книгу Von Natur aus anders - Doris Bischof-Köhler - Страница 30
2.10 »Sokal Squared«
ОглавлениеEs verwundert nicht, dass sich im akademischen Betrieb langsam Widerstand gegen die Gender Studies formiert, auch bei denjenigen, die prinzipiell den politischen Idealen und der Bedeutung von Geschlechterforschung zustimmen. Der Widerstand richtet sich vor allem gegen den Primat der Ideologie zu Lasten der Objektivität. Zur Veranschaulichung der prekären Rolle der Objektivität in Fächern wie den Gender Studies sei auf eine Affäre verwiesen, die unter dem Titel »Sokal im Quadrat« durch die Presse ging. Der Name bezieht sich auf den Physiker Alan Sokal, der im Jahre 1996 einen sogenannten Hoax-Artikel verfasst hatte. Hoax heißt so viel wie Jux oder Schabernack und bezeichnet in diesem Zusammenhang ein nicht ernst gemeintes Manuskript, das den Zweck hatte, das Begutachtungssystem einer wissenschaftlichen Zeitschrift daraufhin zu testen, ob eine gewisse Wortwahl und Haltung unabhängig vom inhaltlichen Niveau für eine Annahme zur Veröffentlichung ausreichend war.
Sokals Beitrag hatte vorgegeben, die Quantengravitation als linguistische und soziale Konstruktion zu interpretieren, so als würde die Naturwissenschaft die postmoderne Philosophie unterstützen. Der Artikel wurde dankbar akzeptiert und Sokal hatte die Lacher auf seiner Seite.
Im Jahre 2017 ließen sich drei Sozialwissenschaftler namens James Lindsay, Peter Boghossian und Helen Pluckrose von diesem Vorbild inspirieren, dasselbe auch bei als renommiert geltenden Fachzeitschriften aus dem Gender-Lager zu versuchen. Sie reichten innerhalb eines Jahres 20 Manuskripte ein. In einem Artikel wurde beispielsweise behauptet, dass in Parks eine Vergewaltigungskultur unter Hunden herrsche, die der unter Menschen gleiche, und Männer daher wie Hunde erzogen werden müssten, Frauen zu achten (Pluckrose et al. [alias Wilson], 2018). Ein anderer Artikel war eine feministische Adaption von Hitlers Anleitung zur Machtergreifung in »Mein Kampf« (Titel: »Unser Kampf ist mein Kampf«) (Pluckrose et al. [alias Gonzalez & Jones], 2018, Übersetzung von der Autorin), in der gegen individuelle Freiheitsrechte zugunsten der Sache der Frauen polemisiert wurde. Einige Artikel wurden publiziert (der Hunde-Artikel sogar mit Auszeichnung), einige befanden sich beim Aufdecken des Streichs durch eine Journalistin noch im Begutachtungsprozess, einige wurden abgelehnt. In nahezu keinem der Begutachtungsprozesse wurde auf die Absurdität der Artikel hingewiesen, vermutlich weil die Artikel in einen postmodernen Jargon gekleidet waren, der dem der ernsthaft publizierten Artikel in diesen Zeitschriften ähnelte.
Das wirft natürlich die Frage auf, ob wir aus dieser Disziplin mit einem substantiellen Erkenntnisgewinn rechnen dürfen. Noch bedenkenswerter ist allerdings der Umstand, dass der Effekt ein anderer war als bei Sokal. Die Betroffenen verstanden in diesem Falle keinen Spaß. Es half nicht, darauf hinzuweisen, dass doch bei anderen, politisch korrekteren Fragestellungen ganz ähnlich vorgegangen wird, dass beispielsweise mit fingierten Bewerbungen auf Stellenanzeigen geantwortet und die Reaktion der Unternehmen registriert wird, um so etwa die Diskriminierung von Frauen in Bewerbungsverfahren untersuchen zu können (Antidiskriminerungsstelle des Bundes, 2011). Jedenfalls stellte Boghossians Universität fest, er habe gegen ethische Standards verstoßen, weil die Herausgeber der Fachzeitschriften und deren Gutachter nicht darüber aufgeklärt wurden, dass sie Teil eines Forschungsprojekts waren. Als Strafe legte sie fest, dass er keine weitere Forschung am Menschen durchführen und keine Forschungsgelder einwerben dürfe. Dies sei ihm erst wieder gestattet, wenn er an Kursen teilgenommen habe, die ihn im Schutz von Menschen in wissenschaftlichen Untersuchungen unterrichteten, und eine Aufsichtsperson der Universität zur Überzeugung gelange, Boghossian habe seine Missetat bereut.
Man lebt offenbar gefährlich, wenn man sich mit der Gender-Bewegung anlegt. Wenn allerdings Geistesgeschichtler die Zeit endgültig für überwunden erachten, in der die Inquisition Galilei zum Widerruf zwingen konnte, so ist das Schicksal dieser Hoax-Attacke für sie vielleicht doch Anlass zum Nachdenken.
Bei all der berechtigten Kritik an den Gender Studies gibt es allerdings unter den Kritikern ebenfalls bedenkliche Entwicklungen. Auf dem politischen Parkett nutzen einige Akteure derzeit die Kritik an den Gender Studies dazu, die Axt an die Freiheit von Forschung und Lehre zu legen. Nach dem Vorbild Ungarns, das die Fortführung des einzigen Gender-Studies-Studiengangs des Landes verbot, wird auch für Deutschland gefordert die Gender Studies abzuwickeln. Deutschland hat in seiner Geschichte schlechte Erfahrungen mit staatlichen Eingriffen in die Hochschulautonomie gemacht; nicht zuletzt sind die Gender Studies zu einem großen Teil Resultat dieses Einflusses. Weitere Eingriffe staatlicherseits würde die ideologisierte Ausrichtung von Forschung und Lehre gleich welcher Couleur vermutlich eher noch verstärken als verringern. Ein Blick in die Geschichte der Psychologie oder der Physik zeigt, dass selbst wissenschaftliche Disziplinen mit Objektivitätsanspruch nicht prinzipiell immun gegen eine politische Instrumentalisierung sind. Daher sind Forderungen nach staatlicher Steuerung der inhaltlichen Ausrichtung des Universitätsbetriebs mit höchster Vorsicht zu genießen.