Читать книгу Von Natur aus anders - Doris Bischof-Köhler - Страница 33
3.2 »Veranlagte Verhaltensweisen sind nicht veränderbar«
ОглавлениеWir wollen diesen sechs Thesen genauer auf den Grund gehen. Dabei erweist sich die erste als besonders zentral und hartnäckig; sie wird uns eine Weile beschäftigen.
Es geht dabei um die sogenannte Anlage-Umwelt-Kontroverse, die Frage also, wie der genetische Code und äußere Einflüsse miteinander bei der Gestaltung des Organismus und seiner Verhaltensprogramme interagieren. Zuweilen kann man lesen, dieses Thema sei inzwischen ausdiskutiert; das stimmt aber nicht: Die Gemüter erhitzen sich nach wie vor daran. Dabei wird man nun eben regelmäßig mit dem erstgenannten Argument konfrontiert, demzufolge Anlagen sich unabhängig von Umwelteinflüssen entfalten und erbbedingte Verhaltensweisen folglich nicht veränderbar sein sollen.
Eine Aussage von Jeanne Block (Block, 1983) kennzeichnet diese Überzeugung recht treffend. In einem Review-Artikel zur geschlechtsdifferenzierenden Sozialisation diskutiert sie im einleitenden Abschnitt auch die Möglichkeit biologischer Einflüsse und kommt sinngemäß zu folgendem, etwas resignativ klingendem Schluss: Wo die Biologie eine Differenzierung von Verhaltensbereitschaften vorsehe, dort könne man ohnehin nichts mehr ändern. Sozialisation habe nur dort eine Chance, wo sie an einem biologisch neutralen Ausgangsmaterial ansetze. Bevor man daher die Wirkung biologischer Faktoren überhaupt nur erwäge, müsse man ganz sicher gehen, dass man den Einfluss der Sozialisation gänzlich ausgelotet habe.
Nun argumentiert Block noch vergleichsweise differenziert. Andere gehen mit der Biologie weniger behutsam um. Einfachste Grundkenntnisse in dem ungeliebten Fach sind nicht eben verbreitet; und wo Wissen fehlt, stellen sich leicht Zerrbilder ein, die sich dann unschwer ins Lächerliche ziehen lassen.
Repräsentativ hierfür sind beispielsweise die Ausführungen der Soziologin Carol Hagemann-White (Hagemann-White, 1984). In ihrem Buch über geschlechtsdifferenzierende Sozialisation widmet sie der Biologie immerhin ein ganzes Kapitel. Darin finden sich insbesondere zwei Thesen, die auch anderswo, wenn auch vielleicht nicht in so zugespitzter Form, vertreten werden (Hagemann-White, 1984, S. 30, kursiv von der Autorin).
Verhaltensunterschiede müssen, um sich als »biologisch« zu qualifizieren, regelmäßig, deutlich und zuverlässig bei allen Kulturen auftreten.
Das ist ungefähr so sinnvoll, wie wenn man behaupten würde, die Farbenpracht einer empfindlichen Zierpflanze sei nur dann genetisch angelegt, wenn jeder Tölpel sie in seinem Blumentopf verlässlich zum Blühen bringen kann. Bei einem richtigen Verständnis biologischer Wirkweise kann der Gedanke gar nicht aufkommen, anlagebedingte Dispositionen würden starr ein ganz bestimmtes Verhalten determinieren. Es versteht sich vielmehr von selbst, dass sie sich je nach Maßgabe kultureller Einflüsse in verschiedener Form manifestieren können.
In Kulturen mit Ackerbau legen die Menschen größten Wert darauf, Eigentum zu mehren und zu wahren. Bei Jägern und Sammlern, die alles, was ihnen gehört, auf dem Leib mit sich tragen müssen, stellt Besitz dagegen einen niedrigen Wert dar. Heißt das nun, dass das Verlangen nach persönlichem Eigentum nicht zur natürlichen Grundausstattung des Menschen gehört? Werden Jäger und Sammler später doch noch sesshaft, ist es mit der Genügsamkeit jedenfalls bald vorbei. Allenfalls können sich Übergangsrituale bilden, die die Spannung für eine Weile kanalisieren. So wird etwa bei manchen nordamerikanischen Indianern von besonders reich gewordenen Stammesangehörigen erwartet, dass sie anlässlich eines Festes ihren gesamten Besitz wieder verschenken. Der Brauch ist nicht weit verbreitet, er scheint kulturgeschichtlich nicht sehr stabil zu sein. Das Beispiel zeigt aber, wie mannigfaltig die Formen sind, in denen die Kultur das Kräftespiel menschlicher Grundmotive »inszenieren« kann, ohne dass dies im Geringsten die natürliche Angelegtheit dieser Motive widerlegt.
Wenn also gewisse Geschlechtsunterschiede in verschiedenen kulturellen Kontexten nicht gleich auffallend ausgeprägt sind und vielleicht in Einzelfällen sogar einmal in ihr Gegenteil verkehrt erscheinen, dann reicht dies noch längst nicht aus, um die Relevanz biologischer Faktoren in Frage zu stellen.