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4 Freud und die Folgen 4.1 Ödipus- und Kastrationskomplex

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Aus historischen Gründen sei die Theorie Sigmund Freuds an erster Stelle behandelt, wobei wir uns darauf beschränken wollen, seine Überlegungen soweit zu skizzieren, wie es erforderlich ist, um seinen Einfluss auf die anderen zu erörternden Ansätze verständlich zu machen. Ein weiterer Grund, warum Freud nicht unerwähnt bleiben darf, ist seine unverkennbar abwertende Haltung dem weiblichen Geschlecht gegenüber. Diskriminierende Argumente bei den nachfolgenden Generationen haben nicht selten bei ihm ihren Ursprung.

Freud hat sich in erster Linie mit der männlichen Entwicklung befasst, während er sich zur weiblichen wohl nur auf Drängen von Mitarbeiterinnen gegen Ende seines Lebens mehr anekdotisch äußerte. Zwar betont er, dass diese Äußerungen nur vorläufigen Charakter haben; da man aber in seiner Anhängerschaft dazu neigt, seine Worte prinzipiell für verbindlich zu halten, haben diese Bemerkungen gleichwohl ihren – zum Teil eben wenig erfreulichen – Einfluss ausgeübt (Freud, 1925).

Freud misst – bei Jungen und Mädchen gleichermaßen – zwei Ereignissen im Alter zwischen drei und fünf Jahren besondere Bedeutung für die Ausbildung des Geschlechtsrollenverständnisses zu. Einmal handelt es sich darum, dass Kinder die anatomischen Unterschiede entdecken, wobei die Feststellung, dass Mädchen keinen Penis haben, für beide Geschlechter gravierende Folgen haben soll. Den zweiten wichtigen Vorgang in diesem Altersabschnitt sieht Freud darin, dass »die Libido die Genitalregion besetzt«, dass also die Genitalien erstmals zum Zentrum lustvoller Erregung werden.

Bekanntlich nimmt Freud eine allgemeine Triebenergie an, die er »Libido« nennt. Am Beginn des Lebens sei diese zunächst auf den oralen Bereich fixiert, weil Nahrungsaufnahme so ziemlich das Einzige ist, wobei ein Säugling schon eigene Aktivität entwickelt. Darin ist ein elementarer Symmetriebruch grundgelegt: Für Jungen ebenso wie für Mädchen wird die Mutter als Vermittlerin der Nahrung zum ersten Beziehungsobjekt. Es folgt dann die anale Phase, in der die Ausscheidungsorgane in den Fokus des Erlebens rücken, und schließlich die sogenannte phallische oder genitale Phase, in der die Triebenergie erstmals eine sexuelle Orientierung im eigentlichen Sinn erhält. Der gegengeschlechtliche Elternteil erscheint jetzt als begehrenswert. Dadurch gerät nun aber die Beziehung zu den Eltern in eine Krise.

Bei Söhnen verläuft der Prozess der Geschlechtsrollenübernahme so, dass sie mit dem Übertritt in die phallische Phase anfangen, ihr primäres Bindungsobjekt, die Mutter, auch sexuell zu begehren (Freud, 1900, 1923). Der Vater ist dabei im Weg und wird somit unvermeidlich zum Rivalen. Der kleine Junge beginnt, ihn zu hassen und ihm den Tod zu wünschen. Diese Konstellation bezeichnet Freud als den Ödipuskomplex, nach dem griechischen Sagenhelden, der seinen Vater totschlug und die Mutter heiratete. Während der wirkliche Ödipus Letzteres aber erst tat, nachdem der Vater ausgeschaltet war und noch bevor er von der Verwandtschaft erfuhr, liegen die Verhältnisse beim Fünfjährigen komplizierter. Der mächtige Vater ist immer noch präsent und lässt sich die Unbotmäßigkeit natürlich nicht gefallen. Er droht vielmehr, sich zu rächen und den Sohn zu bestrafen, was diesen in beträchtliche Angst versetzt. Der Junge malt sich nun aus, was der Vater ihm Schlimmes antun könnte. Diese Ängste fallen in den gleichen Zeitraum, in dem er auch den »defekten« Zustand der Genitalien bei Mädchen bemerkt. Sie haben offensichtlich irgendwann einmal ihren Penis verloren. Einen Penis zu haben ist also keine Selbstverständlichkeit, er kann einem abhandenkommen. Was liegt näher, als sich vorzustellen, dass der Vater dem Jungen dieses Lustobjekt nehmen wird, um ihn für sein unbotmäßiges Begehren zu strafen. Der Junge entwickelt in der Folge einen Kastrationskomplex, und dieser hilft ihm dann auch, den Ödipuskomplex zu überwinden. Die Angst vor der Kastration lässt sich nämlich bewältigen, wenn man die auf die Mutter gerichteten Triebwünsche aufgibt und sich mit dem Vater identifiziert, ihn also zum Leitbild macht, seine Forderungen übernimmt und sich selbst bestraft, indem man auf die Mutter verzichtet.

Anna Freud (Freud, 1936) hat diesen Vorgang später unter Verwendung eines ursprünglich auf Ferenczi (Ferenczi, 1929) zurückgehenden Konzepts als Identifizierung mit dem Angreifer präzisiert. Wenn man als kleiner Junge die Aggression selbst gegen sich richtet, die man eigentlich vom Vater befürchten muss, dann braucht dieser gar nicht erst feindselige Affekte zu entwickeln, und seine positive Zuneigung bleibt einem erhalten. Gleichzeitig kommt man, indem man sich mit ihm identifiziert, auf Umwegen doch noch, jetzt aber legitimerweise, in den Besitz der Mutter.

Die Identifikation mit dem Vater hat zwei wesentliche Konsequenzen. Sie führt einerseits dazu, dass sich ein »Über-Ich« ausbildet, das die Aufgabe einer verinnerlichten Strafinstanz übernimmt. Damit ist nach Freud die Basis für moralisches Verhalten gelegt. Zweitens eignet sich der Junge, indem er sich mit dem Vater identifiziert, die männliche Geschlechtsrolle an.

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