Читать книгу Liberté am Blomenhof - Doris Distler - Страница 11
ОглавлениеMit der Angel auf Schatzsuche
Kathi stellte den Polo kurzerhand an einem Parkplatz gegenüber des Blomenhofs ab, dann ging sie um das Auto, öffnete die Beifahrertür und nahm sich ihr Schreibzeug und ihre Tasche heraus.
Immer wieder einmal war Kathi am Blomenhof-Grundstück vorbeigefahren und jetzt wollte sie endlich selbst das Gelände inspizieren. Sie lief über die Straße zu dem alten Gebäude und stromerte zwischen alten Steinen und Balken, Baumaterialien und Baumaschinen herum, während ihr Blick forschend über das Areal schweifte. Sie spazierte von der Einfahrt des Grundstücks rechts am Haus vorbei, um dann nach links abzubiegen und neugierig in das große Loch zu blicken, das gleich nach dem Hauseingang im Inneren des Gebäudes zu sehen war. Es wirkte wie eine riesige Schuttgrube. Vermutlich hatten die Archäologen dort das alte Gerümpel herausgezogen. Sicher hatten auch die zuletzt hier untergekrochenen Motorradklubs ihre Abfälle dort hinterlassen. Im Halbdunkel des Hauses konnte sie kaum etwas erkennen. Das Dach war mit einer großen Folie abgedeckt, die das Tageslicht dämpfte.
»Wos macha nao sie dao?!« hörte Kathi plötzlich eine Männerstimme. Sie sah sich nach dem Rufer um und entdeckte ihn im oberen Stockwerk.
»Ach, nix, i schau bloß. I schreib vielleicht wos für´n Boten über die Sanierung, dao wollt i mia des amal anschaua,« erwiderte sie schlagfertig. »San vielleicht die Bauherren selber aa dao?« fragte sie.
»Naa, heit niat. Morgen sans wieder auf da Baustell. Oder telefonierns mit eane. Und passens auf, wenn´s dao unten rumlaffa! Nachher wern Balken vom Dachstuhl abgrissn. Am besten, sie genga wieda raus!« kam als Antwort.
»Guat, i pass auf und geh glei wieda raus!« schrie Kathi zurück, »danke für die Warnung!«
Der Bauarbeiter tippte sich mit dem Finger grüßend an sein Käppi, zum Zeichen, dass er es ihr gesagt hatte und sie Bescheid wüsste.
Kathi setzte ihren Forschungsgang nach draußen fort und passierte ein altes kleines Bauwerk aus Ziegelsteinen. Was das wohl früher war? Hier war ja im Lauf der Jahrhunderte auch einmal eine Ziegelbrennerei gestanden. Sie untersuchte das verrußte dunkle niedrige Gemäuer etwas ausführlicher, das eine große rauchgeschwärzte Öffnung hatte. Das war wohl einmal ein Backofen gewesen. Sie ging etwas näher ans Mauerwerk und besah sich die Steine.
»Na, solche Schlamper früher!« entfuhr es Kathi, als sie eine Lücke zwischen dem halbrunden Ofen und dem umgebenden »Gehäuse« aus Steinen entdeckte. Sie wusste nicht, dass dies wegen der hohen Temperaturunterschiede beim Backen notwendig war.
Doch als sie genauer hinsah, entdeckte sie in der Spalte etwas Glattes, Flaches. Kathi sah sich um, ob sie irgendwo einen kleinen Ast oder ein Stück Draht entdeckte, doch schien diese Baustelle blitzsauber aufgeräumt zu sein. Nichts lag herum, außer bei einer kleinen Sitzgruppe mit Balkonstühlen ein paar Kronkorken von Bierflaschen.
Kathi wollte mit der Hand in die Kuhle greifen, doch ihre Hand war zu groß für den Schlitz.
Hektisch suchte sie in ihrer Tasche nach einem geeigneten Gegenstand und fand schließlich ihr Schweizer Messer und eine Nagelfeile.
Mit der Nagelfeile stocherte sie nun in die Spalte - und stieß tatsächlich auf einen weichen Widerstand. Es bog sich ein wenig unter ihrem forschenden Stochern. Ich muss des irgendwie raus angeln, überlegte sie. Da dachte sie an das neue Katzenspielzeug, das sie gestern nach dem Kaufen im Auto liegen gelassen hatte.
Schnell lief sie über die Baustelle, auf der es inzwischen kräftig staubte und lärmte, zu ihrem Auto. Im Kofferraum hatte sie die Katzenangel liegen, mit der sie sich gleich auf den Rückweg machte.
Dort entfernte sie erst einmal den golden schimmernden Draht um den Kunststoffstiel, der sogar ausziehbar war und um den eine Schnur gewickelt war, an deren Ende wiederum ein Fantasievogel mit knallbunten Federn hing. Die Katzen würden sich über das Spielzeug sehr freuen, war Kathi überzeugt.
Nun hatte sie ein längeres Werkzeug zum Stochern, das sie gleich suchend in die Steinspalte steckte. Dabei erfühlte sie, dass das weiche Teil zwischen den Steinen größer war, aber durchaus beweglich und irgendwie doch fester wurde. Kathi stieß mit dem Ende des Stabes dorthin, wo sie den unteren Rand des ominösen Gegenstandes vermutete und versuchte, es nach oben heraus und zu ihr hin zu hebeln, möglichst ohne die Angel abzubrechen. Dabei hüpfte ihr der bunte Fantasievogel mit seinen abstehenden Federn immer vor der Nase auf und ab.
Tatsächlich - da bewegte sich etwas zwischen den Steinen!
Nach zehn Minuten Stochern, Drücken und Ziehen, Abbrechen von drei Fingernägeln und mehrerer kleiner Schürfwunden und Risse an den Händen zog Kathi schließlich etwas heraus. Es war beige-bräunlich mit dunklen Flecken und fühlte sich an wie – Leder, in dem Papier eingeheftet war.
Vorsichtig nahm sie das alte Dokument in die Hände, sie hob den Lederdeckel ein wenig und las mühsam von der ersten Papierseite die Buchstaben in altem Deutsch ab:
Fomm Läben im Plumenhof
Darunter stand, wie eine Unterschrift oder ein Signet:
Peter Schwindel
Kathi wurde starr. Was hatte sie da nur gefunden? Ein Relikt aus ganz alten Zeiten? Das war ja eine unglaubliche Entdeckung!
Die in das Leder eingehefteten Papierseiten klebten zusammen. Ließen die sich öffnen?
Ganz vorsichtig versuchte sie es und schon war sie mitten in einer Art Tagebuch. Es stammte, wenn sie die Zahlen richtig las, aus dem Jahr 1852.
Die Archäologen hatten beim alten Backofen sicher nicht gesucht, warum auch? Die meisten Funde versprach schließlich immer der Boden, den sie auch aufgegraben hatten.
Die Journalistin lief wie auf rohen Eiern, als sie mit dem Fund und ihren Sachen den Rückweg zum Auto antrat. Ein wenig fühlte sie sich dabei wie eine Diebin.
Sie legte ihre Habe auf dem Beifahrersitz ab, dieses Mal auch ein altes Dokument, und dann schnappte sie sich gleich ihr Handy.
Habe sensationellen Fund gemacht☺
Wann kommst du heute heim?
schrieb sie an ihren Freund per WhatsApp.
Die Arbeitszeiten von Friedrich würden ihr wohl immer ein Rätsel bleiben. Als Mitarbeiter eines ambulanten Pflegedienstes gab es meist keinen regelmäßigen Einsatz. Mit der Kündigung im Krankenhaus war er zwar dem Nachtdienst und damit 30 Patienten auf einmal pro Schicht in Alleinverantwortung entkommen, aber es gab genügend andere Varianten, wie man Stress haben, sich den Schlafrhythmus verderben oder überhaupt auf ein Minuspensum an Erholung und Privatleben kommen konnte. Späteinsatz und dann am Morgen gleich Frühdienst zum Beispiel. Und danach gleich anschließend einen Spätdienst, weil wieder mal eine Kollegin krank war, oder weil man den Einsatz nicht auf dem Plan gesehen hatte oder was auch immer. Das brachte Kathi langsam auf die Palme.
Jetzt gleich ☺
antwortete Friedrich.
Oh. Aha. Schön! dachte Kathi erfreut, ließ das Auto an und gab Gas.
Als sie vor ihrer Garage in Litzldorf ankam, stand das Dienstauto von Friedrich bereits auf seinem Stellplatz.
Sie packte vorsichtig ihre Güter vom Sitz zusammen und lief damit ins Haus. Kathi sah Friedrich vor dem Bildschirm im Wohnzimmer sitzen, wo er einen Egoshooter spielte. Zur Entspannung, wie er immer betonte.
»Weg von der Glotze! Jetzt gibts an echten Knaller!« rief sie ihm zu und setzte sich mit ihrem Schatz an den großen Holztisch im Esszimmer.
»Was hast du denn Interessantes?« wollte Friedrich wissen und nachdem er noch schnell einen Verfolger abgeschüttelt hatte, kam er zu ihr.
Kathi legte das Dokument vor sich auf die Tischplatte.
»I hab was gfundn, des muss i no untersuchen.« Damit fing sie vorsichtig an zu blättern, aber zwei Papierschichten wollten sich nicht voneinander trennen. Kathi zog etwas fester, um sie voneinander zu lösen.
»Versuchs doch mal mit Dampf,« riet Friedrich.
»Der Erfindergeist des Ostens sei gepriesen!« jubelte Kathi.
»Eher die alten Stasi-Methoden...« brummelte Friedrich. Kathi folgte ihm in die Küche nebenan und während sie zusah, wie er den Wasserkocher in Gang setzte, dachte sie an ein Erlebnis vor wenigen Wochen: Sie war neben ihrem Zeitungsjob noch als Dozentin im Berufs-Aufbau-Werk, kurz BAW, tätig, wo ein Bekannter von ihr arbeitete. Anton war mittlerweile zum Leiter der Einrichtung aufgestiegen. Vor einer Unterrichtsstunde hatte sie sich zu ihm ins Büro gesetzt, um ein wenig zu plaudern. Sie wollte ihm endlich von Friedrich erzählen.
»I hob an neia Freind,« hatte sie zögernd begonnen.
Mit einem »Aha!« hatte Anton von seinen Unterlagen aufgesehen.
»Wer is nacha des? Und wouher kummt er?« wollte Anton wissen.
Kathi hatte etwas gezögert, es zu gestehen.
»Naja, es is koa Hiesiger,« hatte sie vorsichtig begonnen.
»Wouher kummt er nao?« hatte Anton neugierig insistiert.
Kathi hatte herumgedruckst. »Es is a Ossi,« hatte sie schließlich gehaucht.
Antons sichtliche Anspannung war in sich zusammengefallen.
»Naja, hätt´schlimma kumma kinna. Hätt´ a Preiß sei kinna,« war seine Antwort gewesen. Als Kathi ihrem Ossi später das Gespräch geschildert hatte, froh, dass Anton den Ossi offensichtlich akzeptierte, hatte Friedrich eingeworfen: »Oh. Ich bin ein Ossi und ein Preiß`! Ich bin zwar in Karl-Marx-Stadt aufgewachsen, aber geboren bin ich in Brandenburg an der Havel. Preußischer geht es ja gar nicht.« Als Kathis Kinnlade nach unten gefallen war, hatte Friedrich laut aufgelacht. »Ich dachte, dir ist das klar!?« hatte er sie gefragt.
Eigentlich hätt´ ichs an seiner Aussprach´ merka müssen, hatte das Oberpfälzer Gewächs überlegt. Nach einer kurzen Pause hatte Kathi geantwortet: »Es hätt noch schlimmer komma kinna: Du hättst a Nürnberger sei kinna.«
Durch den Gedanken an Nürnberger dachte sie wieder an den Vorsitzenden der Wolfsteinfreunde mit diesem etwas fränkisch gefärbten Slang.
Die Blätter lösten sich durch den Dampf voneinander.
Als Kathi und Friedrich mit dem freigelegten Manuskript wieder am Esstisch zurück waren, begann Kathi, Friedrich ihre ganzen Erkenntnisse und Entdeckungen von heute zu erzählen.
»Von 1852 ist das, sagst du? Das wäre ja wirklich ein Knaller, wenn das echt ist.« Friedrich, der abwägende Skeptiker, konnte und wollte nicht an solch glückliche Fügungen glauben. Kathi dagegen schon.
»Warum soll des unecht sei?«
»Naja, das hätten die Archäologen doch gefunden,« gab er zu bedenken.
»Wenn die sich alle so anstellen wie die Archäologen in Rengschburg?« Kathi schüttelte den Kopf.
»Des ´zeig ich unserm Stadtarchivar. Der solls prüfen.«
Was der Hüter des Neumarkter Stadtarchivs, Dr. Franz Edel, am nächsten Tag zu lesen bekam, ließ ihn beinahe andächtig verstummen. Es waren die Aufzeichnungen des ehemaligen Neumarkter Stadtschreibers Peter Schwindel, der die Lebensgeschichte von Annamirl Gailer vom Blomenhof im Jahr 1852 aufgeschrieben hatte. Dieser Peter Schwindel solle, so Dr. Edel, persönlich sehr engagiert gewesen sein und zum Beispiel eine Baumpflanzaktion schon zu damaliger Zeit durchgeführt haben: Er habe dafür gesorgt, dass Alleebäume entlang der stadtauswärts führenden Landstraßen stehen. »Und er hat«, so Dr. Edel, »wohl mit Annamirl Gailer persönlichen Kontakt gehabt und ihr geraten, ihren Lebenslauf festzuhalten.«
Dr. Edel wirkte aufgeregt ob dieses sensationellen Fundes. »Wenn sie das gelesen haben, bringen sie es aber bitte zu uns, damit wir es im Stadtarchiv verwahren können, nicht wahr?« teilte er Kathi mit. Diese nickte und mit einem schnellen »Aber kloar!« war sie draußen, samt des Manuskriptes. Kathis Neugier war geweckt und sie wollte wissen, was es mit dem Blomenhof und seinen Bewohnern, den Ereignissen in den alten Mauern auf sich hatte.
Als sie wieder zu Hause war, ließ sie sich gemütlich auf dem Wohnzimmer-Sofa nieder. Das Manuskript ließ sich jetzt gut blättern und Kathi konnte die Schrift lesen, wenn auch manchmal etwas mühsam, aber ihre Wissbegierde trieb sie an und während sie die Schrift Wort für Wort mühsam entzifferte, zog es sie immer tiefer in das Gelesene, bis sie schließlich tief darin eintauchte und mit ihr in Art eines Kopfkinos verschmolz.