Читать книгу Liberté am Blomenhof - Doris Distler - Страница 13

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Einblicke in die Tiefen der Oberpfalz

Rund eine halbe Stunde saßen die zwei Oberpfälzer und der Franzose schon am Eichentisch. Das Ehepaar hatte Napoleon genau beobachtet, wie er die Kartoffeln, das Sauerkraut und die halbe Leberwurst mit größtem Appetit verschlungen und seine Mass Bier getrunken hatte. Als nur noch die ungeliebte Blutwurst und kleine Stückchen der Kartoffeln auf seinem Teller lagen, wollte er die Kartoffelstücke mit der noch übrigen Leberwurst verspeisen, dabei fiel ihm immer wieder Leberwurst von der Gabel. Annamirl konnte nicht mehr zusehen bei dem Trauerspiel. Beherzt griff sie ein und nahm Napoleon die Gabel aus der Hand.

»Schaug her, so gäit´s vü bessa,« erklärte sie ihrem Gast, während sie die Kartoffelstücke mit der Gabel zermatschte und dann mit dem Kartoffelgebilde unter die Leberwurst fuhr und sie auf die Gabel lud. Diese mundgerechte Version steuerte sie nun mit der Gabel zu Napoleons Mund, der ihn brav öffnete (Annamirl machte den Mund dabei auch auf), die Gabelfüllung schluckte und Annamirl fasziniert ansah.

Hatte sie immer noch keine Ahnung, wen sie vor sich hatte? Oder machte sie Annäherungsversuche? Napoleons Herzschlag beschleunigte sich und das Tuch auf seinem Schoß bewegte sich.

Napoleon ließ sich das Füttern gerne gefallen. Als Annamirl die Blutwurst auf eine Kartoffel schieben wollte, ergriff er ihren Arm und stoppte damit die Bewegung der Gabel in ihrer Hand.

»No« hauchte er und deutete auf seinen Bauch und zeichnete mit der Hand eine Wölbung nach.

Annamirl sah ihn verwirrt an.

Sie fand es schade, die Fütterung zu stoppen, bei der sie dem Oberguru der Franzosen zeigte, wie man mit Kartoffeln Saftiges aufsaugen konnte. Von irgendwem musste er das ja lernen! Und da sie seine Sprache nicht beherrschte, musste sie halt Hand anlegen. Bei diesem Gedanken wurde ihr ein wenig schummrig. Sie befürchtete, etwas Ungutes gegessen zu haben, weil es so in ihrem Inneren brodelte; wohl das Sauerkraut. (An Schmetterlinge, die auch in ihr nun langsam Platz nahmen, dachte die junge Frau nicht.)

Annamirl war schlau, schon als ihr Vater sie in Lesen und Schreiben unterrichtete, war sie beim Lesen gut gewesen. Sie ließ sich auch von den Händlern, die ihnen das Schaffleisch abkauften, kein X für ein U vormachen. Wieso sollte sie da das Projekt Napoleon nicht ebenso beherzt angehen wie andere Vorhaben? Er hatte ja deutlich gemacht, dass er 1. seine Ruhe und 2. Informationen über das Leben bei ihnen haben wollte. Das sollte er beides bekommen!

Napoleons Blick glitt von Annamirls entzückendem Anblick zur Wand hinter ihr und dort zu einem eingelassenem Sims, auf dem ein seltsames Etwas stand. Es war ihm bisher noch gar nicht aufgefallen: ein ausgestopfter Hase – doch nein, da stimmte etwas nicht. Der Hase hatte Entenfüße, einen buschigen Schwanz und Flügel. Das Wesen sah sehr grimmig aus.

»Qu´est-que-c`est? Eeh – was das?«

Napoleon deutete auf das verwirrende Ausstellungsstück.

Johannes und Annamirl Gailer sahen sich an, dann erklärte der Hausherr in verschwörerischem Ton, als würde er ein Geheimnis ausplaudern: »Des is a Antnschluderer. A Woipadinga. Kennst des?«

Nach dem verdutzten Blick des Besuchers zu urteilen, hatte der noch nie davon gehört.

»Des is a ganz gefährlichs Viech. Obacht, wenns´d des triffst!«

Noch immer sah Napoleon verwirrt aus seinen dunklen Augen vom Hannes zu dem kleinen Monster in Hasengröße und wieder zurück zu Hannes und Annamirl.

»Des is a Mischung aus Antn, Hos und Fuchs.«

»Entn, Has und Fuchs,« mischte sich Annamirl simultan dolmetschend ein, weil der Blick ihres Gastes immer fragender wurde.

»Wie geht das, so viel animal – Tiere in ein Tier?« brachte der heraus, als er sich wieder gefangen hatte.

»Des is speziell in Bayern a ganz eigne Rass´,« erläuterte Hannes Gailer und Annamirl übersetzte jeweils, kombiniert mit einer ausdrucksstarken Gebärdensprache, ähnlich dem pantomimischen Wörterraten.

»Bei dem Antnschluderer is,«

»Beim Entenschluderer is...«

»... wäi bei jeem Woipadinga, oa Boa kirzer,«

»... wäi bei alle Wolpertinger, oa Fuss kürzer.« Das zeigte sie an, indem sie ihren Rock bis über die Knie hochschlug und unterschiedliche Beinlängen andeutete.

»...so dass des Viech in mehr oder wenger graoße Kreis lafft,« ergänzte Hannes.

»Deshalb laufen Wolpertinger in Kreisen.« Annamirl hinkte und humpelte im Kreis herum, indem sie ein Bein nachzog.

»Drum hoaßen Woipadinga aa Kreisel.«

» und deshalb sagt ma zum Wolpertinger aa Kreisel.«

»Und wemman im Huiz trifft,...«

»Wenn man ihm im Holz...ää... Wald begegnet,…« Auch dies führte Annamirl vor, die wie Rotkäppchen durch die Stube, also den Wald spazierte, ruckartig stehen blieb und mit großen Augen und starrem Blick den ausgestopften Wolpertinger fixierte. Ihr Gesicht zeigte deutlich einen entsetzten Ausdruck. Selbst Napoleon, der schweigend zusah, stockte der Atem vor Schreck.

Hannes Gailer vollendete die Tiervorstellung: »...sagt ma Kreis, Kreisel kreis, mach äitz bloß koan Scheiß!«

Annamirl tat so, als hätte sie beim Anstarren des Familien-Ausstellungsstücks einen Geistesblitz und sagte: »Kreise, Kreisel, kreise, macht jetzt keine Scheiße.«

Napoleon war fasziniert und leicht amüsiert der Vorstellung gefolgt und warf die Zwischenfrage ein: »No merde? Keine Sseiße?«

Annamirl nickte heftig, über das ganze Gesicht strahlend, dass ihre Übersetzung so verständlich angekommen war.

Nun arbeitete es in Napoleon, als er halbwegs verstand, welch gefährliche Bestien sich in den finsteren Wäldern dieses Teils von Bayern herumtrieben. Wenn er diese Monster einsetzen würde bei seiner Kriegsführung, wäre er in einem deutlichen Vorteil.

»Kann man diese Tiere jagen? Eh, fangen?« fragte er den Hausherrn.

»Um Gotts Willn, bloß niad!« entfuhr es dem Gailer Hannes sehr heftig. Sein Gesichtsausdruck spiegelte blankes Entsetzen. »Däi san saug´fährlich.« Dabei fuhr sich Hannes Gailer mit der Hand quer über den Hals.

»Warum? Was passiert?« wollte der künftige Franzosenkaiser vom Oberpfälzer wissen.

»Däi springa di oo und verbeißen sich in dia, gern in die Wadl, bei die Weiberleit im Vorbau und bei de Manner aa.« Annamirl illustrierte die Aussage wieder pantomimisch: Sie duckte sich wie eine Raubkatze, um danach den Hannes anzuspringen. Zunächst biss sie ihn in die Wade, dass er laut aufschrie, danach war Hannes dran: er deutete auf ihren Busen, aber Annamirl zeigte es gleich selbst: sie biss Hannes in die Brust, was er kommentierte: »Bist narrisch Weib?!« und schließlich setzte Annamirl an, ihn in seinen Hosenlatz zu beißen. Hier konnte ihr Ehemann sie gerade noch abhalten.

»Du wolltst doch, dass i übersetz!« trotzte sie ihn an.

»Ja, schou. Owa niad gor so wüd!« entgegnete Hannes. »Gäi läiwa in d´Kammer und zäich dir amoi dei Dirndl oo, damit er a Charivari sicht.«

Annamirl tat wie geheißen und kam nach wenigen Minuten in einem Dirndl zurück, das ihre Oberweite perfekt zum Ausdruck brachte.

»Kumm amoi her dao!« sagte Hannes Gailer zu seinem Eheweib, das sich neben ihn stellte. Hannes deutete auf Annamirls Busen, zeigte mit den Fingern eine zuschnappende Schnauze an und wies dann auf das Charivari, die Schmuckkette am Dekolleté.

»Des hom die Weiwer als Schutz vorm Woipadinga. Des is a Charivari.«

»Ah – francais!« warf Napoleon kurz ein, der sich an ein ähnliches Wort in seiner Heimatsprache erinnerte. Er machte aber dann eine wegwerfende Bewegung, um den Fortgang des Spektakels nicht zu stören.

Zu Napoleon gewandt fuhr Hannes fort: »Des is owa nu niad ois. Wenn du in die Näh vom Woipadinga kummst, spritzt er di mit am Sekret oo, des stinkt schlimmer ois a Odlgroum. Und du stinkst siem Joahr lang.« Nun zeigte Hannes pantomimisch ein Spritzen mit den Händen auf, deutete auf Napoleons ganzen Körper, vom Kopf bis zu den Füßen und hielt sich die Nase zu. Mit der anderen Hand hielt er fünf Finger und dann zwei hoch und sagte langsam »Siem Joahr, Jahre, Scheiße-Geruch«.

»Odeur merde?« hakte Napoleon nach, hielt sich seinerseits die Nase zu und verzog das Gesicht zu einer angewiderten Grimasse.

»Genau, so is des!« pflichtete ihm Annamirl bei, dabei geriet ihr Busen in Wallung, dass man meinen konnte, er würde über die Wolpertinger-Sicherheitskette hinaus hüpfen. Bei dem Anblick erinnerte ein Kribbeln in der Lendengegend Napoleon daran, dass er sich eben schon in den Anblick Annamirls verguckt hatte und er gerne alleine mit ihr wäre. Also schwenkte er thematisch um und erinnerte an sein bedürftiges Pferd.

»Aben Wasser? Ick brauke fur Ferd.«

Annamirl nickte heftig und deutete in Richtung Haustür.

»Kumm mit,« lud sie ihn ein und war schon unterwegs zum Hof.

Liberté am Blomenhof

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