Читать книгу Liberté am Blomenhof - Doris Distler - Страница 8

Оглавление

Heiraten oder a gschlamperts Verhältnis

Der schwarze Polo steuerte zielgerichtet zur Burg Morgenberg im fränkischen Land.

»Hoffentlich hom mia des bald überstanden,« stöhnte Kathi.

»Warum? Du hättest ja nicht mitgemusst,« erwiderte Friedrich trocken.

»Was?! Des sagst du etz???« Kathi riss ihre großen Augen noch ein Stück weiter auf und sah ihren Lebensgefährten irritiert an.

»Ich habe dir doch gesagt: Überlege dir, ob du Lust darauf hast.«

»Naa, des host du niat gsagt!« Kathi war erschüttert.

Konnten sie sich so missverstanden haben?

»Ja klar, hab ich dir das gesagt. Wenn du magst, bestellst du dir das Essen vor, habe ich gesagt.«

»Des hoaßt owa niat, dass i niat mitg´mäisst hätt! Und des Essen vorbestellen, woar ja klar, wenn i mitkumma sollt!«

»Aber ich habe damit gemeint, dass du nicht unbedingt mitkommen musst,« erwiderte Friedrich abschließend. »Du bist doch dein eigener Mensch und kannst tun und lassen, was dir gefällt.« Er nahm seine rechte Hand vom Lenkrad, griff nach der Hand von Kathi und drückte diese sanft. »Und ich weiß ja, dass du zu den beiden keinen Bezug hast.«

Da sie das marsianisch-venusische Kommunikationsproblem nicht mehr lösen würden und es jetzt, fünf Kilometer vor dem Ziel, eh keinen Sinn mehr hatte, darüber zu diskutieren, wechselte Kathi das Thema: »Wann willst´n du hoam? Um fünfe rum?«

Jetzt war es an Friedrich, ihr einen entsetzten Blick zuzuwerfen.

»Nein, erst nach dem Abendessen, so ab acht.«

Kathi seufzte hörbar, da bogen sie schon in die Ortschaft Morgenberg ein. Jetzt gab es wenigstens schönere Eindrücke als Autobahn-Baustellen und Sandwälle am Straßenrand. Die kleinen fränkischen Ortschaften sahen schon schnuckelig aus mit ihren Fachwerkhäusern. Das gab Kathi sogar innerlich zu, obwohl sie seit ihrer früheren Ehe mit einem Nürnberger einen heftigen Widerstand gegen Franken, vor allem aber gegen Eingeborene der mittelfränkischen Metropole entwickelt hatte. Wenn heute jemand sagte, dass er nach Nürnberg ziehen möchte, sah Kathi diesen Menschen immer skeptisch an und erklärte ihm dann, dass alle Vorurteile gegen Nürnberger, die man in der Oberpfalz hörte, meist berechtigte Aussagen seien.

Doch nun ließ sie sich von dem Örtchen verzaubern. Morgenberg war nicht Nürnberg und sie hatte die Erfahrung gemacht, dass Franken aus anderen Gegenden durchaus umgängliche Menschen sein konnten.

Kathi war bewusst, dass sie sich ab jetzt in Gelassenheit üben musste, wenn sie die nächsten Stunden unbeschadet überstehen wollte. Immerhin würde sie gleich unter lauter Sachsen, Vogtländern und Thüringern sein. Mit letzteren hatte Kathi ja gute Erfahrungen, weil ihre Nachbarin Astrid, eine Thüringerin mit ihren zwei Siamkatzen, eine gute Freundin geworden war.

Sogar einen Parkplatz fand Friedrich knapp unterhalb der Burg. So ersparten sie sich einen mühsamen Aufstieg in der Gluthitze des 17. Juli 2017, an dem offensichtlich etliche Paare heirateten, weil die Schnapszahl so schön war. Auch am Burgberg entdeckte Kathi noch eine Braut – eine andere als »ihre«.

Dabei ließen sich 50 Prozent der Paare solcher Schnapszahl-Hochzeiten wieder scheiden, wie Kathi wusste. Sie hätte sich ja auch ganz gerne von ihrem Friedrich heiraten lassen, als Zeichen von ihm, dass er zu ihr stand und dass sie zusammengehörten. Aber er weigerte sich hartnäckig. Bereits zweimal hatte Friedrich die Erfahrung des Heiratens hinter sich, Kathi nur einmal. Friedrich war der Meinung, er führe lieber eine gute Beziehung, die hält, als zu heiraten. Da war etwas dran, wenn sie es recht überlegte.

Na dann auf zur Hochzeit des Jahres! motivierte Kathi sich innerlich selbst beim verbleibenden kurzen Anstieg zur Burg. Da kam ihnen auch schon »ihre« Braut entgegen: »Nu gucke do, wer do gommt! Nu da voorn glei links im Rosengaaden sin wia!« Und weg war sie wieder. Kurz zuvor hatte Mandy ihren Ronny auf der frängggischen Burg Dannberg geheiratet vor einem Standesbeamten, der jedes D und T als Doppel-T mit leicht spuckend-zischender Anmutung ausgesprochen hatte. Die Rede des frängggischen Standesbeamten war nullachtfünfzehn gewesen und Kathi hatte immer auf den Höhepunkt gewartet – der aber nicht kam. Dennoch war das Brautpaar immens ergriffen gewesen.

Wie verlogn des alles is! Und nur, um die Erwartungen von andern zu erfülln und des alte Bild von der Ehe aufrecht zu haltn, war Kathi während der Zeremonie durch den Kopf gegangen. Und vielleicht um drei Euro an Steuern zu sparn. Und des mit der Absicherung is ja inzwischen aa vom Staat verschlechtert wordn, also is Heiraten inzwischen a einzige Farce. Mit viel Selbstdarstellung vo Braut und Bräutigam, für die aber ihr »schönster Tag des Lebens« a Riesen-Anstrengung is und Unsummen an Geld verschlingt, hatte die Oberpfälzerin ihre Überlegungen abgeschlossen. Kathi hatte plötzlich das Gefühl, ganz klar zu sehen.

Dann war das Brautpaar beim Tauschen der Eheringe vor dem Standesbeamten gewesen. Die symbolträchtigen Schmuckstücke wollten in der Hitze nicht mehr passen. Beide hatten sich sehr abgemüht, bis sie endlich nach einem beringten Ehepaar ausgesehen hatten. Schließlich hatten der hypernervöse Bräutigam und die vor Tränen zerfließende Braut gegenseitige Liebeserklärungen vorgelesen, während der sich der Bräutigam in noch größere Nervosität hineinzitterte und die Braut in Tränen aufgeweicht mit zuckenden Schultern dastand. Auch die Mütter hatten sich solidarisch dem großen Weinen angeschlossen.

Danach hatte die polnische Fotografin die Hochzeitsgesellschaft herumgescheucht, damit »einmaligge Fottos« entstehen würden mit einmal links ums Brautpaar herum drapierten Menschen, einmal rechts herum, dann von einer Treppe herunterkommend und in kleinen Grüppchen.

Als die Gruppenbilder abgeschlossen waren, begann die Fotografin mit den Fotos des Brautpaares solo und alle mussten noch einmal warten. Die Lücke nützte Kathi, um aufs Klo im ehemaligen Verlies zu gehen. Es war einfach und alt, aber sauber dort. Sie sah zufrieden aus, als sie aus der Verlies-Tür zurücktrat in den Burghof. Beim Anblick der Hochzeitsgesellschaft wich die Zufriedenheit einer Beklemmung. Wie gerne wäre Kathi jetzt abgereist!

Friedrich hatte inzwischen eine frühere Arbeitskollegin getroffen, sie unterhielten sich gerade. Kathi steuerte beide an und hörte einen bösen Sprachfehler von der Kollegin, die sich als Jacqueline vorgestellt hatte. Das »S« klang in ihren Erzählungen wie ein »sch« und das »r« eher wie ein »w«. Kathi musste gerade an Pontius Pilatus und dessen berühmten Freund Schwanzus longus aus dem Film »Das Leben des Brian« denken: »Werpft den Purschen zu Poden!« war ihr eingefallen und sie hatte sich grinsend wegdrehen müssen, dann hörte sie die laute Anweisung: »Jetzt alle losfahren!«

Also hatte sich die Hochzeitsgesellschaft zu den Autos in Bewegung gesetzt. Friedrich war nach seinem ganz eigenen Plan im Kopf losgefahren und hatte irgendwann die Autos der Hochzeitsgesellschaft mit 120 Stundenkilometern auf der Autobahn überholt. Die Gäste hatten sich alle brav hinter dem Brautauto eingereiht und waren mit 80 über die Autobahnen gezuckelt. Später sollte der Bräutigam die Geschwindigkeit von Friedrich als »Rasen in einem Höllentempo« bezeichnen, aber da hatte Kathi schon abgeschaltet und sich nicht mehr weiter über Aussagen des Bräutigams gewundert, der sich auch zu später Stunde noch nicht beruhigen konnte.

Nun ging es also in den Rosengarten. Rosenblüten konnte Kathi nicht entdecken in dem kleinen grünen Areal, aber da standen Tische und Bänke, die eingedeckt waren, das musste es also sein.

Sie suchte sich einen Platz am Rand eines Pavillons, der zwar vor der brutalen Sonne abschirmte, unter dessen Dach sich aber die Hitze staute. Dennoch ließ sie sich stöhnend auf die Sitzbank fallen. Die Freundin eines – natürlich ebenfalls – früheren Arbeitskollegen von Friedrich setzte sich neben sie. Die junge Frau war Kathi sehr sympathisch. Sie wirkte für sie wie ein Lichtblick in der Gesellschaft, in der sie bis auf das Brautpaar niemanden kannte, und wo es noch dazu ringsum sächsisch, vogtländisch und thüringisch klang, dazwischen ein paar fränkische Brocken. Kathi schüttelte sich, als sie das Sprachengemisch hörte. Worauf hatte sie sich da nur eingelassen?

Die Hochzeitsgäste standen alle verteilt im Rosengarten und plauderten und dachten gar nicht daran, sich zu setzen. Dabei sollte es doch jetzt wohl etwas zu essen geben.

Kathis Bauch rumorte schon, sie hatte einen Bärenhunger. Inzwischen hatten sich vier Kaminkehrer, allesamt Kollegen und Mitarbeiter des Brautvaters, mit Bier eingedeckt und ein Gast trug fröhlich eine sächsische Rede auf das Brautpaar vor. Dann tauchte der Kellner samt seiner Kollegin auf und beide stellten Teller mit belegten Brötchenhälften auf einen Tisch.

»Greift zo!« rief die Braut und alle stürzten sich auf die Teller.

Kathi hatte gleich nach vorne schlüpfen können und kam nun stolz mit einer halben Lachssemmel zurück, die sie gierig verschlang.

»Nimm dir noch zu essen,« raunte Friedrich ihr zu, der kurz an ihr vorbei streifte.

»Ich denk, es gibt des bestellte Mittagessen?« fragte ihn Kathi leise zurück.

Friedrich wiegte den Kopf hin und her. »Ich glaube, das gibt es erst abends.«

Kathi verließ sich auf ihn und ging erneut zum Mini-Buffet, wo sie sich eine Brötchenhälfte mit Camembert schnappte. Das stillte zumindest den ersten Hunger.

Mittlerweile hatte Kathi entdeckt, dass in den Kühlbehältern auf den Tischen Wasserflaschen standen. Als sie das ersehnte Nass hinunterstürzte, hatte sie das Gefühl, das Wasser verdunste auf dem Weg nach unten. Tatsächlich musste sie in den folgenden Stunden nach drei Flaschen Wasser nur einmal zur Toilette. Bis dahin wies die Fotografin wieder alle an, wie sie in der Sonne stehen sollten, für das Gruppenbild. Die Kaminkehrer knieten in ihrer schwarzen dicken Kluft am Boden, der Schweiß lief ihnen über die Gesichter, aber sie hielten tapfer aus. Auch die Kinder fanden alles noch erstaunlich spannend.

Nach weiteren quälenden zwei Stunden, in denen sich Friedrich mit seinem früheren Arbeitskollegen blendend über Steuermodelle und Motorräder unterhielt und Kathi mit dessen sympathischer Freundin Ingrid ein paar Worte tauschte, war plötzlich wieder Rummel am Buffet-Tisch: Die Hochzeitstorte wurde gebracht. Braut und Bräutigam postierten sich fotofreundlich und schnitten je ein Stück von zwei verschiedenfarbigen flachen Torten ab. Die Aktion mit Fotografieren und jeweiligem Küssen nach jedem Handgriff dauerte fünfzehn Minuten.

Dann kam Bewegung in die Gesellschaft: Endlich setzten sich alle Gäste auf die mit weißen Tüchern eingespannten Volksfestbänke ohne Lehne, weil Kaffee aufgetragen wurde.

Kathi hatte inzwischen schon gelernt und stürmte gleich zum Kuchenbuffet. Sie ließ sich von jeder Farbe ein Stück abschneiden und genoss den hellen Quark-Mandarinen-Kuchen und die dunkelschokoladig verzierte Erdbeer-Sahne-Torte mit einer Tasse Kaffee. Ihr Hunger zwar gestillt, dafür war ihr jetzt von der dunklen Kuvertüre schlecht geworden. Inzwischen war es 16 Uhr.

Erneut hielt einer der Gäste eine Rede auf das Brautpaar, danach bekam Kathi mit, wie die achtjährige Tochter der Frischvermählten ihre heiratswütigen Eltern anquengelte, dass es ihr zu warm sei und sie jetzt heim wolle.

Sie spricht mir aus der Seele, dachte Kathi.

Da ertönte auch schon der Ruf von den frischvermählten Eltern: »Wir gähen jetzt, aber ab 16.30 Uhr gibt es hier eine Borgführung.« Während sich Braut, hektischer Bräutigam und jetzt eheliches Kind in kühlere Gefilde in der Burg zurückzogen, lösten sich die Sitzgrüppchen auf und Kathi schöpfte Hoffnung, dass sie nun auch gehen könne – wenn sogar die Hauptpersonen weg waren. Aber erneut belehrte Friedrich sie eines Besseren: »Jetzt kommt die Burgführung und dann gibt es Essen. Also warte.« Das tat Kathi mumpfelnd und grummelnd, während sie sich mit ihrem mitgebrachten Fächer Luft zuwedelte. Noch immer schien es nicht abkühlen zu wollen und mittlerweile schmerzte ihr Rücken von der lehnenlosen Bank, auf der sie saß.

Pünktlich um 16.30 Uhr stand eine kleine Fränkin aus Morgenberg von etwa 45 Jahren im Rosengarten und scharte alle Gäste um sich. Im Schatten eines Kornelkirschenbaumes hatten sich auch Kathi und Friedrich hingestellt, Friedrich hinter seiner Freundin. Alle lauschten den Ausführungen der Vergangenheits-Fachfrau – bis Friedrich in Kathis Ohr flüsterte: »Dein Rucksack sitzt so weit unten. Soll ich den höher stellen?« – »Nein,« flüsterte Kathi zurück, als sie beinahe gleichzeitig mit ihrer Antwort einen Schmerz am Oberarm spürte und laut aufschrie. Friedrich hatte den Träger verstellt und dabei ihre Haut in die Trägerverstellung gezwickt. Mit dem Schrei war die Führerin verstummt und alle Hochzeitsgäste blickten tadelnd auf Kathi. Diese wusste nicht, worüber sie sich zuerst ärgern sollte: über Friedrich, der ihr Nein nicht respektierte oder die doofen Gäste, die jetzt so tadelnd schauten, aber ihre eigenen Gören schreiend und tobend und quengelnd andere Gäste nerven ließen. Denn das taten sie inzwischen.

Kathi seufzte. Wann würde das Trauerspiel hier endlich vorbei sein? Am zweiten Baumschattenplatz, an dem die Burgführungsgruppe stehen blieb, fuhr ein alter Ford Mustang in giftgrün vorbei auf den daneben liegenden Parkplatz. Als die Gruppe weiter ging, lösten sich natürlich alle Männer aus der Gemeinschaft und gingen zum Auto, um es gebührend zu begutachten. Währenddessen erklärte die Führerin munter weiter: »Die Fensteröffnung da oben, was denken Sie, was das war?« Und schon hob sie eine ihrer Mappen aufgeschlagen hoch und hielt sie den Gästen vor die Augen. Kathi erkannte ein auf einer Toilette sitzendes Männchen.

»Aah, interessant!« rief Kathi. »A Plumpsklo! Bietet sich ja an bei der Höhe, da fallt alles richtig tief...«

Die Führerin rollte tadelnd mit den Augen und fuhr kommentarlos fort: »Das war kalt im Winter,« während sie zum Ritterturnier-Platz vorausging. Noch bis zur letzten Station, dem Innenhof folgte ihr die Gesellschaft, dann war die Führung beendet. Kathi atmete auf.

Gerne folgte sie dem noch immer hektischen Bräutigam, der schon auf die Gesellschaft wartete, in den Gewölbekeller, wo es nun Essen geben sollte. In U-Form waren Tische am Rand des Gewölbekellers entlang aufgestellt und Namensschilder deuteten auf eine durchdachte Sitzverteilung hin. Kathi fand ihren Platz am Ende des linken U-Tisches. »Das ist doch ganz nett hier,« flüsterte Friedrich ihr zu, der seinen Stuhl neben ihrem Platz entdeckt hatte. »Mal abwarten,« knurrte Kathi zurück. Zwei Plätze weiter stand die Brautmutter, die nun irritiert zu Kathi und Friedrich sah und sich schließlich setzte. Kathi war sich nicht sicher, ob sie ihren Kommentar gehört hatte.

Schnaufend ließ sich Kathi auf ihren Stuhlsitz fallen, als sie auch schon mit schmerzverzerrtem Gesicht zusammenzuckte. Die Stühle waren extrem unbequem und hart, aus Holz, ohne Kissen oder Polsterung. Kissen gab es nur für die Braut und die Kinder, wie sie bemerkte. Die Lehne war kerzengerade aufrecht. Das zwang zu einer unnatürlichen Haltung – oder zur raschen Flucht. Sie konnte es nicht mehr erwarten, bis endlich aufgetragen wurde. Doch zuvor hielt noch einer der Gäste eine sächsische Rede und ein Paar spielte einen Sketch mit einer etwas mageren Pointe.

Der Gewölbekeller wirkte im ersten Moment kühl, so dass Kathi zumindest in der Hinsicht etwas aufatmete.

»Ich hole jetzt die Jacken, das wird kalt im Lauf der Zeit,« flüsterte Friedrich ihr zu. Doch als er draußen war, nahm Kathi wahr, wie viel Feuchtigkeit in diesem alten Gemäuer steckte – und wie schnell eine Menschengruppe so einen Raum aufheizen konnte.

Nach kurzer Zeit kehrte Friedrich zurück. Er war in der Hitze draußen vom Auto zum Burgberg hoch gejoggt, was ihm nun den Schweiß auf die Stirn trieb. Er setzte sich auf seinen Stuhl und in dem Moment verzog auch er schmerzlich sein Gesicht.

Kathi hatte ihren Stuhl ein wenig vom Tisch weggerückt, damit sie einigermaßen bequem sitzen oder eher lümmeln konnte. Bereits die lehnenlosen Volksfestbänke im Rosengarten hatten ihre Spuren hinterlassen und der Rücken schmerzte Kathi inzwischen heftig. Schon schoben sich Gäste und Bedienungspersonal, einer nach dem anderen, zwischen der Gewölbewand und ihrem Rücken vorbei, so dass sie schnaubend doch wieder ganz nach vorne an den Tisch rückte. »Bei uns war so was früher der Eselstisch,« flüsterte sie zu Friedrich, der ihre Verrück-Aktionen bemerkt hatte. Auf seinen fragenden Blick raunte sie: »Im Kindergarten.«

Und wieder kündigte sich ein Gäste-Event an, doch dieses Mal verschob die Braut den Termin.

Endlich konnte das Burgpersonal die Hochzeitssuppe auftragen mit einem mikroskopisch kleinen Leberknödel, drei Pfannkuchenstückchen und einem Mini-Grießnockerl. Das Ganze in einer Suppentasse, die nicht besonders tief war. In wenigen Minuten hatte Kathi die Suppe gegessen. Vorsichtshalber hatte sie sich noch eine Scheibe Baguette geschnappt. Man konnte ja nicht wissen, in welchen Größenverhältnissen die Hauptspeise aufgetragen werden würde. Friedrich entdeckte ein Tellerchen mit einem Klecks Butter und etwas Salz. Der Hunger hatte ihn inzwischen auch übermannt, weil er seine höfliche Zurückhaltung sausen ließ, sich den Teller schnappte und Baguettescheiben damit beschmierte. Er bot Kathi etwas an, die aber auf den nächsten Gang hoffte, immer im Hinblick auf eine baldige Flucht.

Doch auf einmal leerte sich der Saal und nur noch einzelne Personen saßen herum. Friedrich hatte wahrscheinlich, ebenso wie Kathi, eine Aufforderung nicht mitbekommen. Doch jetzt wollte Kathi ausharren. Nach einer halben Stunde sorgte die Kellnerin für Wein-Nachschub und weitere fünfzehn Minuten später kam der Hauptgang. Der bestellte Fisch stand gleich bei Kathi, dafür war ihr Esels-Ecktisch günstig gelegen. Nur Friedrich musste sich gedulden. Er hatte vergessen, ob er Fisch oder Fleisch bestellt hatte. »Das, was übrig ist, nehme ich,« sagte Friedrich zu seinem Kellner. Es war Fleisch, was er auch erhofft hatte. Der Fisch hatte ja gut ausgesehen und gerochen, aber die Gurkengemüse-Beilage mit diesen vier kleinen Zentimeter-Stücken war ebenso dürftig wie die Kartoffeln, und mit dem Fleisch hoffte er satt zu werden. Nach dem Hauptgang entwickelte sich eine ähnliche Leerungstendenz im Raum wie zuvor. Dieses Mal packten Kathi und Friedrich ihre Zigaretten und das Feuer, um eine kurze Rauchpause zu machen, ihre Gliedmaßen zu bewegen und wieder frische Luft abzubekommen. Die Gruft roch inzwischen auch wie eine Gruft.

Als die Beiden oben auf dem Vorplatz auftauchten, saßen alle männlichen Gäste auf der Terrasse beisammen und rauchten. Sie boten Kathi und Friedrich zwei Stühle an.

Endlich konnte sich Kathi in einen bequemen Plastik-Gartenstuhl mit Rückenlehne fallen lassen und noch dazu genüsslich rauchen. Sie grunzte zufrieden, als ihr Rücken Entlastung erfuhr. Fast paradiesisch. Die Temperatur war inzwischen angenehm außen, die Stimmung bei der Gruppe fröhlich. So wäre Kathi gerne weiter sitzen geblieben. Sogar der Bräutigam, inzwischen nervlich völlig am Ende, nass geschwitzt und sichtlich abgearbeitet, stellte sich dazu und stopfte eine Pfeife mit zitternden Händen. »Ich habe meine Zigaretten daheim vergessen,« erklärte er den ungewohnten Anblick. Da kam auch die Braut, die sich völlig entnervt auf die Zigarettenschachtel eines Bekannten stürzte und sich einen Glimmstängel mit zitternden Händen nahm und anzündete. Während sie in ihrem teuren langen Brautkleid mit Schleppe stehend rauchte, entspannte sich zumindest Kathi zunehmend, die Braut offensichtlich nicht.

Dann wurde zur letzten Schlacht geblasen: Der Bräutigam ermahnte alle zu etwas Disziplin und lotste sie erneut nach unten in den Keller zum Dessert. Vorher wurden Kathi und Friedrich gestoppt, weil noch eine Bilder-Show das Leben des Brautpaares zeigte. Es begann im Wickelalter. Alle Bilder waren mit roter Schrift beschrieben, die Kathi aber nicht entziffern konnte, jedenfalls nicht in der Geschwindigkeit, in der die Bilder wechselten. Danach ging es erneut in Richtung Eselstisch.

Als Kathi sich an ihren Platz setzte, erkannte sie im letzten übrig gebliebenen Sitzenden den Großvater der Braut.

»Un du willsch wirklisch ned?« fragte er gerade anklagend zur Braut. »Nein, auf ga kaan Fall!« schrie diese zurück und stürmte aus dem Keller.

»Was will´s denn net?« wollte Kathi neugierig von dem Mann wissen.

»Den Brautstrauß werfe,« antwortete dieser betrübt.

»Jeder, wie er will,« gab Kathi nur zurück und zog für sich den Schluss daraus, dass sie den Brautstrauß also auf gar keinen Fall fangen würde. Worüber sie zuvor, wenn sie ehrlich war, schon hin und wieder nachgedacht hatte.

Es klapperte ringsum und die Burgmitarbeiter trugen Teller mit kleinen Häufchen herein, die sie vor den Sitzplätzen verteilten.

Kathi war gespannt, was dieses Nobel-Restaurant an Desserts gezaubert hatte. Da waren drei Eis-Kügelchen mit einem Esslöffel ausgestochen, in rosa, braun und gelblich. Links daneben lagen eine halbe Erdbeere, eine Rispe rote Johannisbeeren und drei Heidelbeeren, rechts drei rote Fruchtmus-Kleckse. Mangels eines kleinen Löffels nahm Kathi den bereit gelegten Esslöffel - oder war das der Dessertlöffel? – und probierte die drei Eissorten. Es erinnerte sie an ihre Kindheit, als es noch die Becher mit dem Fürst-Pückler-Eis gegeben hatte. Nicht nur optisch, sondern auch im Geschmack stimmte es überein. Kathi löffelte noch ein wenig Eis und aß dazu Erdbeere und Heidelbeeren. Die Johannisbeeren mochte sie nicht und überließ sie Friedrich, der sie gerne annahm. Unter den Beeren tauchte ein rosafarbenes gegittertes Etwas auf.

»Ist das jetzt Deko oder kann man das essen?« fragte Kathis Sitznachbarin. Kathi probierte ein Stück. »Schmeckt nach Pappe,« erklärte sie und schob den Rest an den Tellerrand. Die Nachbarin aß ihr rosa Pappe-Teil dennoch auf.

»In der Küche werden sie lachen,« meldete sich Friedrich zu Wort. »Entweder über diejenigen, die diese Spezialität nicht gegessen haben, weil es etwas ganz Besonderes ist, oder über diejenigen, die es verspeist haben und eigentlich war es Pappe.« Feixend schob auch Friedrich sein rosa Design-Pappestück zur Seite, während Kathi ihr restliches Eis liegen ließ. Sie war abgefüllt, aber nicht satt.

Nach dem Abräumen der Teller packten Friedrich und Kathi ihre Sachen zusammen, um sich nun tatsächlich auf den Heimweg zu machen. »Wir schreiben noch schnell in das Gästebuch, dann sind wir endlich weg,« sagte Friedrich. Sie gingen in den Vorraum des Gewölbekellers, um mit dem Gästebuch gleich danach die Treppe nach oben zu nehmen – als sie von Kindern gestoppt wurden.

»Da könnt ihr jetzt nicht reinschreiben, wir warten auf jemand anderen, der sich hier noch vorher eintragen muss.«

Langsam war Kathis Geduld am Ende. Bevor sie mit einer pampigen Antwort herausplatzte, redete Friedrich mit Engelszungen auf das Mädchen ein, dass es jetzt gleich ein Bild von ihnen beiden machen solle und sie eine Lücke für die anderen im Gästebuch lassen würden.

Die Kleine rückte das Gästebuch trotzdem nicht heraus.

Ganz ruhig, Kathi! dachten Friedrich und Kathi fast gleichzeitig und Friedrich begann erneut eine Verhandlung. Nun wurden sie fotografiert, erhielten ein Polaroid-Bild, durften das Gästebuch mitnehmen und endlich den Eintrag machen, während sie ihre Körpertemperaturen in den bequemen Plastikstühlen draußen sitzend wieder an die normale Außentemperatur anglichen.

Schnell brachten sie das Buch samt Polaroid-Bild nach unten und machten gleich wieder kehrt in Richtung Treppe, bevor sie noch jemand aufhalten konnte. Beim Hinausgehen trafen sie das Brautpaar und verabschiedeten sich schleunigst. Als sie endlich im Auto saßen und tief durchschnauften, murmelte Kathi: »Ich kann dich etz verstehn, dass du nemma heiraten willst.« Friedrich sagte nichts dazu, aber sein Grinsen blieb auf seinem Gesicht, bis sie nach einer Stunde zu Hause ankamen. Er stieg aus, lief um das Auto und umarmte Kathi.

»Da ist unser gschlamperts Verhältnis schon besser, oder?«

Liberté am Blomenhof

Подняться наверх