Читать книгу Der rosa Wolkenbruch - Dorothea Böhmer - Страница 12
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Die Bahn verdiente prächtig an ihnen. An einem Wochenende trafen sie sich bei Christian, am nächsten bei Julie. Sie besuchten Kunstausstellungen, gingen ins Kino, in die Oper, unternahmen lange Spaziergänge, kochten gemeinsam und trafen Freundinnen und Freunde. „Die Sonne geht auf“ wurde zum geflügelten Wort im Freundeskreis, wenn beide den Raum betraten.
***
Julie war nur nach Hause gefahren, weil ihr Vater einen runden Geburtstag hatte. Ihre Familie nahm Christian mit offenen Armen auf, was nichts Besonderes war, weil Julies Mutter nette, gut erzogene Männer generell mit offenen Armen aufnahm.
„Biete doch Christian ein Brot an.“
„Christian kann sich selbst ein Brot aus dem Korb nehmen, er wird wissen, ob er Hunger hat.“ Julie war wütend. Später zog ihre Mutter sie beiseite: „Christian ist so ein guter Mensch, und du bist so egoistisch. Du verdienst ihn gar nicht und musst noch viel lernen. Ihr jungen Frauen wisst nicht, wie man einen Mann glücklich macht.“
„Mir ist es wichtiger, mich glücklich zu machen. Nur dann hat Christian etwas von mir.“
„Du wirst dir die Hörner noch abstoßen.“
Christians Mutter war dagegen der Studentin aus der Großstadt gegenüber äußerst misstrauisch. Julie würde ihren Sohn vom Lernen abhalten. Ihrer Meinung nach sollte er sein Studium beenden, sich einen Job suchen und viel verdienen. Nur das zählte.
Und Christians Vater? Er war als Bauingenieur oft im Ausland tätig gewesen und betonte bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit, eine Beziehung könne nur funktionieren, wenn genug Geld da sei.
Eines Abends bei Christians Eltern konnte sich Julie nicht zurückhalten: „Ja, Sie haben gut verdient und Ihre Familie ernährt, aber um welchen Preis? Sie haben Ihre Frau und Christian nur am Wochenende gesehen, und wenn Sie im Ausland waren nur zweimal im Jahr. In einem Jahr sind Sie sogar Weihnachten nicht nach Hause gekommen.“
„Was hätte ich machen sollen? Das Haus musste abbezahlt, der Sohn ernährt werden.“
Christian fand die Reihenfolge bemerkenswert, sagte jedoch nichts.
Wie gut kannte Julie das aus ihrer Familie. Materiell war für sie und ihre Geschwister bestens gesorgt worden. Essen war das Wichtigste. Nur während der Mahlzeiten war es erlaubt, nicht zu arbeiten. Für die seelischen Bedürfnisse der Kinder gab es dagegen weder Zeit noch Verständnis. Vielleicht lag es an der Hilflosigkeit oder Unfähigkeit ihrer Eltern, Gefühle anzusprechen. Konflikte wurden in Julies Familie auf einfachste Weise gelöst: Sie wurden ignoriert.
Soweit Julie auch zurück dachte, immer hatte sie das Gefühl gehabt, im Weg zu stehen, Zeit zu kosten, abgefertigt zu werden. Ja, die Mutter hätte für sie Zeit, wenn sie aus dem Büro käme, sie hatte das gesamte Personalwesen und die Buchhaltung der Firma in der Hand. Nein, doch keine Zeit, sie hatte sich Arbeit mit in die Wohnung genommen. Wenn sie damit fertig wäre, dann hätte sie Zeit für Julie. Auch nicht. Nach dem Abendessen. Meist schlief ihre Mutter am Tisch vor Erschöpfung ein.
Christians Mutter hatte die Angewohnheit, seine Briefe zu öffnen, mit der Begründung, es könnte etwas Wichtiges sein. Er war zu schüchtern, um sich zu wehren. Schon früh hatte er sich in sich zurückgezogen und ging Streitereien aus dem Weg.
Die ganze Zuneigung, Zärtlichkeit und Aufmerksamkeit, die Christian und Julie in der Kindheit vermisst hatten, suchten sie jetzt beieinander. Sie konnten nicht oft genug und nicht eng genug zusammen sein.