Читать книгу Der rosa Wolkenbruch - Dorothea Böhmer - Страница 16

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Sophie erschrak. „Wie siehst du denn aus!“ Julies Gesicht war aufgedunsen, ihre Augen stumpf und erloschen, die Haare strähnig. Sie nahm ihre Freundin in den Arm. Julie hing schlaff wie eine Puppe an ihr.

„Sind Markus und die Kinder da?“ fragte Julie, während Sophie sie streichelte.

„Nein, ich habe ihm gesagt, wir wollen unter uns sein und ihn zum Billard spielen geschickt. Timmy und Viola sind im Bett.“

Sophie nahm Julie die dunkle Jacke ab. Julie trug eine schwarze Hose und einen schwarzen Pulli. Gewöhnlich steht ihr Schwarz gut, dachte Sophie, heute erdrückt sie das düstere Zeug.

Das Wohnzimmer war mit teuren Möbeln bestückt und mit schweren Teppichen ausgelegt. Sophie und ihr Mann legten Wert auf ein luxuriöses Ambiente, was nicht zu übersehen war.

„Was willst du trinken?“

„Egal, such du aus.“

„Ich nehme Rotwein, du kannst auch Weißwein oder Bier haben.“

„Nein, Rotwein.“

Sophie stellte Kristallgläser auf den Tisch und holte eine Flasche schweren Bordeaux aus der Küche. „Ich habe ihn vor zwei Stunden entkorkt.“ Vorsichtig goss sie ein.

„Auf dich und Christian!“ Sie versuchte Julie, die nur ein gequältes Lächeln zustande brachte, aufzumuntern. „Jetzt erzähle. Was ist passiert?“

„Kannst du dich daran erinnern, wie ich dir vor ein paar Jahren einmal angedeutet habe, dass Christian homosexuelle Neigungen hat?“

„Ja. Ich habe es damals nicht ernstgenommen und tue es auch heute nicht.“

Unbeirrt sprach Julie weiter. „Als wir ungefähr zwei Jahre verheiratet waren, hat Christian angefangen, Biografien schwuler Männer zu lesen und Bücher über Coming Out. Abends im Bett hat er mir manchmal Stellen vorgelesen.“

„Wieso hat er dir das vorgelesen?“ Sophie sah sie ungläubig an.

„Wir lesen immer vor dem Einschlafen. Passagen, die uns beschäftigen, beunruhigen oder gefallen, lesen wir uns vor; besser gesagt, haben wir uns vorgelesen. Manchmal sogar ganze Bücher.“

Julie nahm einen großen Schluck und schenkte sich nach, obwohl ihr Glas nicht leer war.

„Die meisten der Bücher, die er gekauft hat, haben mich ebenfalls interessiert. Spätestens nach der Lektüre eines Sammelbandes über das Coming Out schwuler Männer war mir klar, dass Christian irgendwann zu seiner Homosexualität stehen muss. Das Ende unserer Ehe war für mich nur eine Frage der Zeit. Irgendwann würde der Durchbruch kommen, der Zeitpunkt, zu dem er mutig genug oder das Verlangen so groß sein würde, homosexuell zu leben. In den Büchern hat sich ein klares Muster abgezeichnet. Viele Männer sind beim Coming Out um die 40, verheiratet und haben zwei Kinder.

„Aber Christian ist erst 30 und ihr habt keine Kinder.“

Julie ignorierte Sophies Einwurf. „Ich habe ihn damals darauf angesprochen. Für mich war der Gedanke unerträglich, dass er mit mir ins Bett geht, dabei aber vielleicht an einen Mann denkt. Ich habe ihm meine Befürchtung gesagt, dass irgendwann die Trennung auf uns zukommen wird. Er wollte es nicht wahrhaben. Zuerst hat er sich geweigert, darüber zu sprechen. Er hat gemeint, wir seien glücklich und er hätte keine Sehnsucht nach Männern.“

Sophie saß weit nach vorne gebeugt. Jetzt richtete sie sich auf.

„Na also, du siehst Gespenster.“ Erleichtert nahm sie sich Wein.

„Christian musste mir etwas versprechen. Ich habe ihn gebeten … was heißt gebeten, ich habe ihn gedrängt, mir sein Wort zu geben, dass er es mir sagt, wenn es soweit ist. Erst hat er mich nicht verstanden und gefragt, was ich damit meine. Ich habe gesagt, dass ich es wissen will, bevor es soweit ist, bevor er sich auf einen Mann einlässt.“

Sie nahm wieder einen kräftigen Schluck. „Gestern war der Moment da. Christian hat gemeint, er hält es nicht mehr aus und will Erfahrungen mit Männern machen. Heute habe ich die Zimmer getrennt.“

Sophie schüttelte den Kopf. „Tut mir leid, mir geht das zu schnell. Christian kann doch nicht von heute auf morgen beschließen, dass er schwul ist.“

„Das habe ich gerade versucht, dir begreiflich zu machen. Es war nicht von heute auf morgen, sondern zieht sich seit Jahren hin! Er hat immer gesagt, dass ich die einzige Frau bin, die ihm gefällt.“

„Ist doch super.“ Sophie klatschte in die Hände.

Julie merkte, dass ihre Freundin überhaupt nichts verstand.

„Natürlich fühlte ich mich im ersten Moment geschmeichelt. Aber überleg doch, schaust du dir nicht Männer an?“

Sophie zog die Stirn in Falten: „Ja, ständig. Weil ich mit Markus in einer Krise stecke. Seit er seine Firma gegründet hat, kümmert er sich um überhaupt keine Frau mehr, und schon gar nicht um seine eigene. Es geht ihm nur darum, jährlich mehr Umsatz zu machen, um seinem Vater zu beweisen, wie gut er ist.“

„Also ich sehe mir gerne Männer mit sympathischer Ausstrahlung an. Frauen auch. Deshalb habe ich Christian manchmal gefragt, welche Männer er attraktiv findet. Es waren dieselben Männer, die mir gefallen und irgendwie auch Christian ähneln: längere Haare, gutaussehend, gepflegt, sensibel und verträumt.“ Julie lehnte sich zurück. „Also unser Männergeschmack deckt sich. Ich habe ihn gefragt, ob er es sich, seit wir zusammen sind, schon einmal vorgestellt hat, mit einem Mann zusammen zu sein. Zuerst hat er gesagt, nein, dann hat er aber zugegeben einmal. Ich habe ihn an sein Versprechen erinnert, es mir zu sagen, wenn er lieber mit einem Mann als mit mir ins Bett gehen möchte.“

Julie nippte gedankenverloren an ihrem Wein.

„Er war bedrückt, hat es mir aber erneut versprochen, weil ich nicht locker gelassen habe.“

Sie sah Sophie an. „Ab diesem Zeitpunkt fiel mir zunehmend die Präsenz von Homosexuellen in den Kinofilmen auf, die wir uns ansahen. Ich weiß nicht, ob ich Schwule vorher nicht wahrgenommen habe oder ob wir uns unbewusst zunehmend Kinofilme ausgesucht haben, die in irgendeiner Form mit dem Thema Männerliebe zu tun hatten.“ Julie kaute auf ihrer Unterlippe. „Wenn ich es genau überlege, hat Christian die Filme meistens ausgesucht.“

„Warum ist dir das nicht aufgefallen“.

„In manchen Filmen waren Schwule nur Randfiguren, aber dann waren auch Filme dabei wie Maurice, in denen es deutlich um Männerbeziehungen ging. Ich glaube, spätestens da habe ich kapiert, wie sehr das Thema Christian beschäftigt. Wir haben über die Filme gesprochen, aber nicht in Hinblick auf uns, sondern allgemein über die Intoleranz der Gesellschaft Schwulen gegenüber.“

„Wann ging es wirklich los, was war der Auslöser, warum hat er sich zunehmend für Männer interessiert?“

„Hm, schwer zu sagen. Latent hat er sich schon immer für Männer interessiert. Aber wann das Interesse zugenommen hat? Ich denke, es gab viele Kleinigkeiten, es war ein schleichender Wandel. Ich weiß es nicht.“

Sophie schüttelte ihren Kopf missbilligend. „Ich glaube das Ganze trotzdem nicht. Ihr habt immer eine glückliche Beziehung gehabt, das konnte jeder sehen. Euer gesamter Freundeskreis war oft neidisch.“

Julie sagte nichts.

„Wenn er schwul ist, wieso hast du das nicht eher gemerkt? Wie war es denn im Bett, wann habt ihr das letzte Mal miteinander geschlafen?“

Julie hob den Kopf: „Vor drei Tagen.“

„Und wie oft habt ihr miteinander geschlafen?“

„Spätestens alle zwei Tage.“

„Siehst du“, triumphierend schlug Sophie mit der flachen Hand auf den Tisch. „Dann ist doch klar, dass der Wunsch homosexuell zu leben eine andere Ursache hat oder einfach ein Symbol für eine Krise zwischen euch ist.“

Julie wünschte nichts sehnlicher, als dass Sophie Recht hatte. „Was meinst du damit?“

„Hat sich seit eurer Heirat irgendetwas zwischen euch verändert.“

„Sicher hat sich in den Jahren manches verändert, ich muss nachdenken.“

„Lass dir Zeit, ich mache uns eine Suppe.“

Sophie legte Musik auf, bevor sie Richtung Küche verschwand.

Julie starrte in ihr Weinglas, im Hintergrund hörte sie Sophie in der Küche werkeln.

Der rosa Wolkenbruch

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