Читать книгу Der rosa Wolkenbruch - Dorothea Böhmer - Страница 24
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In der Einhorn-Apotheke reihte sich Julie in die Warteschlange ein. Wieder trug sie schwarz. Andere Farben vermittelten Leichtigkeit, Energie und Leben, drei Zustände, die sie nicht mehr in sich spürte, an die sie im Moment auch nicht erinnert werden wollte. Nur die Farbe der Trauer zog sie an, die Farbe der Nacht, der Unendlichkeit, des Todes. Darin fühlte sie sich geschützt. Wie in einer Grube. Außerdem hielt Schwarz Menschen auf Abstand. Deshalb hatte Julie vor wenigen Tagen einen ganzen Schwung weißer und bunter Blusen, T-Shirts und Rollis in die Waschmaschine geworfen und tiefschwarz eingefärbt.
Der Apotheker wendete sich ihr zu.
„Ich hätte gerne eine Packung Schlaftabletten.“ Julie biss sich auf die Zunge. Sie hatte Beruhigungsmittel sagen wollen und das falsche Wort benutzt.
Prompt stutzte der Apotheker und musterte sie. Sie konnte spüren, wie sein Röntgenblick ihre eingefallenen Wangen, die Augenringe, die stumpfen Augen und die düstere Kleidung registrierte. Und dass sie in den letzte Wochen abgemagert war, sah man ihr ebenfalls am Gesicht an. Es war nicht schwer, die Gedanken des Apothekers zu lesen. Er schob ihr ein Pflanzenpräparat über den Tisch.
„Ich bin sicher, Sie haben noch nicht oft Beruhigungsmittel genommen. Ich gebe Ihnen ein leichtes, gut verträgliches homöopathischen Mittel, das Ihnen helfen wird.“ Sie zahlte, verließ die Apotheke, warf das Medikament in den nächsten Mülleimer und ging geradewegs nach Hause, um sich umzuziehen.
In Jeans, einem leuchtend-orangen Leinenhemd von Christian, einer Kette aus bunten Glaskugeln und gut geschminkt betrat sie wenig später die Bahnhofs-Apotheke. Julie grüßte betont fröhlich und freundlich. „Ich bräuchte für meine Mutter irgendetwas zum Einschlafen. Sie hat gesagt kein Baldrianprodukt und kein anderes pflanzliches Mittel, die wären zu schwach. Ich soll ihr etwas möglichst Starkes besorgen.
Die Apothekerin schob Julie ein blaues Päckchen über die Theke. „Es ist das stärkste Mittel, das wir ohne Rezept herausgeben dürfen, es wirkt sehr gut. Ihre Mutter soll es mit einer halben Tablette pro Tag probieren. Diese Dosis ist in den allermeisten Fällen ausreichend, sie kann in schweren Fällen auf eine ganze Tablette erhöht werden.“
Kaum war Julie außer Sichtweite der Apothekerin, riss sie den Beipackzettel aus der Schachtel und überflog den Abschnitt mit den Inhaltsstoffen. Unter anderem Barbiturate, sie hatte Glück. Außerdem wurde mehrfach gewarnt, die angegebene Dosis von maximal einer Tablette pro Tag zu überschreiten. Die Schachtel enthielt zehn Tabletten. Ob das reichen würde? Kronen- und Linden-Apotheke waren ganz in der Nähe.
***
Zu Hause legte Julie drei Metallröhrchen auf den Küchentisch, goss sich ein großes Glas Weißwein ein und studierte einen der Beipackzettel. Auf keinen Fall in Verbindung mit Alkohol einnehmen, weil er die Wirkung verstärkt. Bestens, sie würde alle dreißig Tabletten in einem Glas Weißwein auflösen, da sie den ganzen Tag nichts gegessen hatte, würden die genügen. Ein bisschen Gewissensbisse hatte sie. Wollte sie sich an Christian rächen? Sollte er sie doch finden und sehen wie alles endete. Mit jedem Schluck gefiel ihr der Gedanke besser: Julie, die Heldin, an der großen Liebe zerbrochen. Sie stürzte noch ein Glas Wein hinunter. Nun war nicht mehr genug in der Flasche, um alle Tabletten aufzulösen. Ob sie Eigengeschmack besaßen? Julie warf eine in die Weinflasche und schüttelte das Ganze. Dann setzte sie die Flasche an den Mund und trank sie aus. Schmeckte neutral, nur nach Frascati. Beim Versuch, die zweite Flasche zu entkorken, rutschte ihr der Flaschenöffner aus der Hand und fiel zu Boden, der nächste Versuch saß. Sie schenkte ihr Glas voll und trank es in großen Zügen aus, dann füllte sie das Glas erneut und warf die 29 restlichen Tabletten ein, eine nach der anderen. Sie war so müde.