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B. Die Literatur der augusteischen Zeit I. Die Entwicklung der römischen Literatur bis zur Epoche
des Augustus

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Wir hätten keine Kenntnis davon, wann und auf welche Weise die Römer den Weg zur Literatur gefunden haben, wenn sie nicht durch die Eroberung Süditaliens (Magna Graecia) und später dann des griechischen Kernlandes selbst in engen Kontakt zur griechischen Kultur getreten wären. Ansätze einer autochthonen Literatur hat es gegeben: Kultlieder, Spottlieder, Sammlungen historischer Daten in chronologischer Folge (Annales), Familienchroniken. Nach dem (allerdings in seiner Glaubwürdigkeit nicht unumstrittenen) Zeugnis römischer Historiker (Livius, Ab urbe condita 7,2; Valerius Maximus, Facta et dicta memorabilia 2,4,4) gab es auch einfache Bühnenspiele, in denen eine italisch-griechische Tradition des Stegreifspiels und der Typenkomödie dem römischen Publikumsgeschmack angepasst wurde. Aus den von den Priestern und Beamten aufgezeichneten Chroniken hätte literarisch anspruchsvolle Geschichtsschreibung entstehen können. Und die in Familienarchiven erhaltenen Reden und Lebensläufe wichtiger Persönlichkeitenhätten vielleicht auch ohne den Einfluss griechischer Literatur irgendwann weitere Ausformung und Verbreitung gefunden.

Der Einfluss der griechischen Literatur

Die Chance, eine eigenständig römische Literatur zu entwickeln, haben die Römer aber nicht gehabt. Was immer an autochthon Römischem in vollendeter Form oder als entwicklungsfähiger Samen existiert haben mag – als in der Mitte des 3. Jahrhunderts v. Chr. die griechische Literatur planmäßig in Rom heimisch gemacht wurde, ging es zugrunde oder wurde in die neue griechisch-römische Literatur in einer Weise integriert, die eine analytische Trennung unmöglich macht.

Seit ihren Anfängen orientiert sich die römische Literatur an der griechischen. Im Lauf der Zeit ändert sich aber die Art, wie die von der griechischen Literatur ausgehenden Impulse in römischen Werken umgesetzt werden. Anfangs geht es um die mehr oder weniger freie Übersetzung (interpretatio) eines Textes oder die adäquate Übertragung einer Gattung; aber schon bald finden die Autoren der römischen Literatur zu dem Selbstbewusstsein, die griechischen Texte und Formen zu variieren, römischem Denken anzupassen, mit subjektiven Aussagen zu bereichern. Die römische Literatur gewinnt dadurch an Eigenständigkeit; ihr Verhältnis zur griechischen Literatur ist nicht allein durch Nachahmung (imitatio), sondern auch durch Wettstreit (aemulatio) gekennzeichnet.

Herkunft und Stand der Autoren

Die Protagonisten römischer Dichtung entstammen dem griechischsprachigen Raum Süditaliens; einige von ihnen kommen als Sklaven oder Kriegsgefangene nach Rom. Auch in den folgenden Jahrhunderten sind nur sehr wenige Autoren Stadtrömer; manche stammen ursprünglich aus weit entfernten Regionen, viele aus den italischen Provinzen und Städten mit römischem Bürgerrecht (municipia). Die meisten verbringen aber einen Großteil ihres Lebens in Rom oder Roms näherer Umgebung; sie verfassen ihre Werke in lateinischer Sprache und für ein hauptstädtisch kultiviertes Publikum.

Probleme des Literaturtransfers

Die Autoren, die die griechische Literatur in die lateinische Sprache übertragen, sind keineswegs frei von eigenständigem künstlerischem Anspruch. Und die Aufgabe, die sie sich gestellt haben, ist schwierig genug: Eine bereits jahrhundertealte, in zahlreiche Gattungen diversifizierte und technisch höchst verfeinerte Dichtung soll in eine dafür in vieler Hinsicht eher untaugliche Sprache und in eine in ihrer Mentalität und ihrem Bildungshintergrund andersartige Gesellschaft übertragen werden. Um dieser Aufgabe gerecht zu werden, müssen die Schriftsteller sprachbildend wirken; sie müssen die Gesetze griechischer Metrik den Gegebenheiten lateinischer Sprache anpassen und die lateinische Sprache für die in der griechischen Literatur ausgebildeten Formen tauglich machen. Sie müssen zahlreiche den Römern noch unbekannte Namen, Mythen, Fakten erläutern oder umwandeln und griechische Formen der Kulturpräsentation und -funktionalisierung im öffentlichen Leben in Rom einbürgern und dem Publikum vertraut machen.

Ein grundlegendes Problem bei der Erschaffung einer an den genera und metra der griechischen Literatur ausgerichteten römischen Dichtung und Kunstprosa ist die relative Armut der lateinischen Sprache: Nicht selten ist ein Begriff oder Sachverhalt nicht zu übertragen, oder aber es stehen dafür keine Möglichkeiten einer stilistischen Variation zur Verfügung. Die Pioniere der römischen Literatur lösen diese Aufgabe auf verschiedene Weise: durch die Aufnahme von Lehn- und Fremdwörtern aus den Sprachen, mit denen man in Berührung kommt: Etruskisch, Oskisch, Umbrisch und natürlich auch und vor allem Griechisch; durch die Einbeziehung verschiedener Sprachschichten in das Spektrum des gehobenen Stils der Schriftsprache; öfter auch durch die Neubildung von zusammengesetzten Worten (Komposita) oder durch die Neuerfindung von Begriffen. Alle genannten Kunstgriffe tragen dazu bei, die Kunstsprache von der Umgangssprache abzuheben; auf die Dauer eignet sich die Dichtung einen Wortschatz an, der eine Art Eigenexistenz neben der Umgangssprache führt, aber auch von der Kunstprosa abgehoben ist: Denn die Dichtungssprache wählt ihre Worte auch unter dem Aspekt ihrer metrischen Brauchbarkeit, die Kunstprosa hingegen gemäß ihrer dignitas (Würde); beide bewahren ihre spezifische Terminologie auch dort, wo die Umgangssprache schon andere, moderne’ Worte gefunden hat.

Die Formung der römischen Sprache für die Zwecke der Literatur ist ein Prozess, der sich über zwei Jahrhunderte hinzieht, von der Mitte des 3. bis zur Mitte des 1. Jahrhunderts v. Chr. Noch Lukrez (um 97–55 v. Chr.), der Autor des epikureischen Lehrgedichts De rerum natura, klagt beredt über die Mängel der lateinischen Sprache, und der große Vermittler griechischer Philosophie Cicero (106–43 v. Chr.) muss sich oft mit Gräzismen (aus dem Griechischen übernommenen Ausdrücken) oder mit umständlichen Definitionen behelfen, um die philosophischen Sachverhalte darstellen zu können, die er bei den Griechen vorfindet.

Motive des Literaturtransfers

Das große Projekt der Übertragung der griechischen Literatur nach Rom und ins Lateinische hätte scheitern müssen, wenn es nicht von den führenden Familien Roms angestoßen und gefördert worden wäre. Ihnen ging es, auch wenn man ihnen sicher ein genuines Bildungsinteresse unterstellen darf, nicht in erster Linie darum, in Rom einen anspruchsvollen Kulturbetrieb zu etablieren; auch die im griechischen Raum maßgebliche kultische Funktion des Theaters reicht nicht aus, das Ausmaß dieses Literaturtransfers zu erklären. Vielmehr spielen hier politische Motive mit: Die Römer erkannten, dass die Teilhabe an einem gemeinsamen Bildungskanon ihnen im Umgang mit den Völkern des Südens und Ostens Kontakte ‚auf gleicher Augenhöhe‘ ermöglichte, dass sie diplomatische Beziehungen ebenso wie die Verwaltungstätigkeit erleichterte und zudem ein Forum der Selbstdarstellung und (politischen) Rechtfertigung bot.

Die griechische Literatur führte aber auch vor Augen, dass Kultur der nationalen Selbstvergewisserung dienen kann, eine Chance, derer sich die Römer ausgiebig bedienten. Viele Werke ihrer Literatur dienen nicht zuletzt der Beschwörung der kriegerischen Ideale und Leistungen Roms, der Verherrlichung der bürgerlichen Tugenden, der Darstellung vorbildhaft patriotischer Persönlichkeiten. Unter diesen Vorzeichen stehen die beiden großen Epen der vorklassischen Zeit, das Bellum Poenicum des Naevius (um 265 – um 200 v. Chr.) und die Annales des Ennius (239–169 v. Chr.). Geprägt von prorömischer Propaganda ist aber auch das erste Werk eines Autors mit römischem Bürgerrecht: Der Optimat Q. Fabius Pictor (3. Jahrhundert v. Chr.) verfasste in griechischer Sprache eine Prosaschrift über die römische Geschichte mit einem Schwerpunkt in den punischen Kriegen; seine Darstellung warb um Anerkennung der römischen Expansionspolitik.

Römische Literatur des2. und 1. Jahrhunderts v. Chr.

Im 2. Jahrhundert v. Chr. ergreift das Interesse an der Literatur größere Teile der römischen Oberschicht. Die Zeugnisse über die literarischen Zirkel dieser Zeit mögen durch die verklärende Rückschau späterer römischer Schriftsteller und die Projektion eigener Erfahrungen in die Vergangenheit verfälscht sein; immerhin besitzen wir aber sichere Testimonien über die tiefere Verankerung einer literarisch geprägten Kultur im römischen Leben: Mit Lucilius (um 180–103 v. Chr.) tritt ein vornehmer Stadtrömer als Verfasser von teils gesellschaftskritischen, teils autobiographisch geprägten Kleintexten hervor; Männer, die hauptberuflich‘ als Politiker und Feldherren agieren, dichten Epigramme und beschäftigen sich mit griechischer Dichtung, Historiographie und Philosophie; römische Tragödiendichter werden populär.

Literatur der ausgehenden Republik; die Neoteriker

Die politischen und gesellschaftlichen Krisen des ausgehenden 2. und des 1. Jahrhunderts beeinflussen auch die Entwicklung der Literatur. In den Bürgerkriegen zwischen Marius und Sulla wächst in Rom eine Generation heran, die auf die Krise des Staates in unterschiedlicher Weise reagiert: Auf der einen Seite stehen Männer wie Caesar, Cicero, Sallust. Sie verbinden kulturell-literarisches Interesse mit politischer Aktivität. Ihre schriftstellerische Tätigkeit ist die Frucht der Jahre zwischen oder nach der Wahrnehmung politischer Ämter und Tätigkeiten. Die Alternative zu einem solchen Ausgleich zwischen politischer und schriftstellerischer Tätigkeit liegt im Rückzug aus der Politik, hin zu einer dem Geistigen oder Ästhetischen gewidmeten Existenz: Lukrez, Catull (87 oder 84–54 v. Chr.) und der engere Dichterkreis um Catull, die so genannten Neoteriker (neöteroi: die Neueren, ein Name, den Zeitgenossen wie Cicero diesem Dichterkreis verliehen, weil er sich programmatisch von der älteren römischen Dichtung abgrenzte), wählen diesen Weg.

Die Entdeckung, dass Literatur auch für den römischen Bürger mehr sein kann als Ausschmückung der Freizeit des Gutsbesitzers, Feldherren oder Politikers, dass sie einen eigenen und erfüllenden Lebensraum bilden kann, wird prägend für diese und für die folgende Generation römischer Autoren. Ihre persönliche Heimat finden diese Schriftsteller nicht mehr in politischen Parteien oder Interessengruppen, sondern in der Freundschaft mit Gleichgesinnten. In solchen Kreisen blüht auch ein freieres Mäzenatentum auf: Wo zuvor Feldherren und Politiker vor allem Epiker oder Historiker unterstützten, damit sie ihre Leistungen gebührend würdigten, da finden jetzt auch Fachschriftstellerei und dichterische Gattungen wie zum Beispiel Lyrik ihre Sponsoren. Ganz selbstlos ist auch solche Förderung nicht, aber der Preis des Förderers liegt hier bereits darin, namentlich als Freund des Schriftstellers und kompetenter Richter seines Werkes erwähnt zu werden.

Kallimachos

In der 1. Hälfte des 1. Jahrhunderts v. Chr. setzt sich im Kreis der Neoteriker um Catull das von Kallimachos zwei Jahrhunderte zuvor geprägte alexandrinische Stilprogramm durch, das neue ästhetische Postulate erhebt: An die Stelle des vielfach ungeschlachten Großwerks soll die elegante ausgefeilte Kleinform treten, an die Stelle des allseits bekannten und abgegriffenen‘ Mythos der entlegene Stoff. Dabei verlagern sich auch die Akzente, weg vom Pathos der heroischen Stoffe hin zu psychologisierender Charakterdarstellung und Stimmungsbildern aus dem privaten Bereich. Zugleich wandelt sich die Auffassung vom Dichter: Die Vorstellung seiner göttlichen Inspiration, die ihn unwissentlich im enthusiastischen Taumel (gr. éntheos: des Gottes voll) das Große und Wahre singen lässt, tritt zurück hinter dem Bild des gelehrten ‚Technikers‘, der mit Wissen und Mühe sein Werk zur Perfektion führt.

Ihre literarische Kompetenz dokumentieren diese Dichter in der teilweise sehr engen Orientierung an einer griechischen Vorlage. Die griechische Literatur wird als normgebend anerkannt; die Übertragung dieser Normen in den römischen Bereich gilt aber als hohe Leistung. So prägt sich recht bald das Selbstbewusstsein heraus, dass die Römer bei Befolgung der Standards griechischer Literatur ebenso Gutes, wenn nicht Besseres erreichen können.

Subjektive Dichtung

Ein individuelles Aussageanliegen war schon in Terenz‘ Prologen der Komödien (circa 185 – circa 160 v. Chr.) zu erkennen; bei Catull wird es in der reichen Liebes- und Freundschaftslyrik und in den literaturkritischen Gedichten deutlich. Der enge Anschluss an griechische Formen bleibt gewahrt, auch Catulls subjektive Lyrik ist traditionsgebunden und durch den Filter der Kunst gegangen.

Die Literatur in der Zeit des Augustus

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