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X. Rhetorik

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Rhetorik in der Kaiserzeit

Dass die Kunst der Rede in Prinzipat und Kaiserzeit nachließ, wird von römischen Autoren regelmäßig beklagt. Das hat verschiedene Ursachen: Der Zeitgeschmack neigt zur Polarisierung zwischen reicher Ornamentalik (Asianismus) und strenger Schlichtheit (Attizismus), und die Rhetorenschule als Teil der allgemeinen Ausbildung gibt selbst dem Unbegabten die Illusion, die rhetorische Technik zu beherrschen. Aber eine wichtige Rolle kommt auch den gewandelten Verhältnissen zu: Politische Prozesse werden nur noch selten durch die Kraft der Rhetorik im Senat ausgefochten; Karrieren verdanken sich eher guten Beziehungen und einer loyalen Einstellung gegenüber Augustus als der Fähigkeit, im Senat, auf dem forum oder vor Gericht einen Standpunkt beredt vertreten zu können. Außerdem ist den Machthabern rhetorisches Schrifttum – wie auch die Geschichtsschreibung – verdächtiger als beispielsweise Dichtung; Opposition drückt sich eher und wirksamer in Reden oder in einer römische Geschichte deutenden Historiographie aus als in Lyrik oder Epik. So greift auch bei Rednern die Zensur härter zu.

Die declamatio

Obwohl die Rhetorik an konkreter Relevanz abnimmt, bleibt sie als wesentliches Element der Ausbildung erhalten. An zwei Redegattungen üben sich die Schüler: In der suasoria rät der Redner einer mythischen oder historischen Persönlichkeit in einer kritischen Situation zu einer bestimmten Entscheidung und Verhaltensweise. In der controversia, einem fiktiven Privatoder Strafrechtsfall, hält er auf der Basis vorgegebener Gesetze, die gleichfalls fiktiv bzw. zumindest dem römischen Recht nicht konform sind, ein Plädoyer, das nach allen Vorschriften der Redelehre strukturiert und konzipiert ist. Einen unschätzbaren Einblick in die Praxis dieser Deklamatorenschulen bietet uns der Vater des Philosophen und Tragödiendichters Seneca, Seneca pater (oder Seneca rhetor, circa 55 v.–40 n. Chr.). In hohem Alter hat er für seine Söhne seine Erinnerungen aus der eigenen Teilhabe an rhetorischen Schulübungen minutiös protokolliert. Sein Werk zeigt, dass die scholastische Deklamation nicht nur von Jugendlichen gepflegt wurde, sondern auch erwachsenen Römern eine Spielfläche des rhetorischen Wettkampfes bot. Die Teilhabe an solchen Übungen ist beispielsweise für Cicero, Augustus, Messalla Corvinus, Asinius Pollio und Tiberius bezeugt. Sie suchten hier mehr als nur die Möglichkeit, rhetorische Begabung und Erfindungsgabe in freundlichem Wettkampf vor einem interessierten Publikum zu demonstrieren; in den controversiae und suasoriae konnten auch politisch brisante Themen wie Tyrannenmord, Bürgerkrieg, Verbannung, Bücherverbrennungen und die gesetzgeberischen Einschränkungen des Freiraums von Individuum und Familie auf fiktive bzw. mythische Hintergründe transponiert und wie in einem Stellvertreterkampf debattiert werden.

Die Literatur in der Zeit des Augustus

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