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II. Kleinepos (Epyllion)

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Ciris und Culex

Das Kleinepos oder Epyllion (antike Literaturkritik hatte keinen eigenen Gattungsbegriff dafür) ist innerhalb der griechischen Literatur durch die fälschlich Hesiod zugeschriebene Aspis, durch Kallimachos’ nur fragmentarisch erhaltene Hekale, Moschos’ Europa und kleine Mythenerzählungen bei Theokrit vertreten. Die Kleinform kann weniger als hundert oder mehr als tausend Verse haben, hebt sich aber im Umfang deutlich vom Epos ab; auch erzählt sie einen Mythos, der abseits der großen heroischen Mythenstränge angesiedelt ist oder zumindest eine aparte Perspektive auf sie bietet. Öfter bringen eine Binnenerzählung oder die Beschreibung bildlicher Motive (Ekphrasis) einen weiteren Mythos ein, der in raffinierter Korrespondenz zum Rahmenstoff steht. Diese kunstvoll stilisierte Komposition entspricht der Dichtungsprogrammatik der Kallimacheer ebenso wie die Wahl des weniger abgenutzten‘ Stoffes aus eher unheroischer, oft weiblicher Perspektive. Die Neoteriker führten das Epyllion in die römische Literatur der späten Republik ein. Von den für sie durch Titel oder Fragmente bezeugten Epyllia ist aber nur Catull 64 vollständig erhalten, eine raffinierte Komposition aus Rahmenhandlung (die Hochzeit von Peleus und Thetis) und Binnengeschehen (die Klage der von Theseus auf Naxos verlassenen Ariadna). Aus augusteischer Zeit sind Kleinepen als isolierte Form nicht sicher belegt. In Sprache und Metrik eher vorklassisch (die Forschung ist hier uneins) ist die unter Vergils Namen überlieferte Ciris, vielleicht ein Frühwerk des Cornelius Gallus. Mit den Versen, Motiven und Themen der vergilischen Dichtung treibt der ebenfalls im Corpus Vergilianum überlieferte, aber wahrscheinlich weit jüngere Culex („Die Mücke“) ein amüsantes Spiel. Ob Vergils 6. Ekloge mit ihrem umfänglichen Katalog mythischer Stoffe nur mögliche Themen nennt oder, wie in der Forschung öfter vermutet wurde, auf konkret verwirklichte Dichtungen verweist, ist nicht sicher zu klären.

Orpheus-Epyllion

Alle Kriterien eines Kleinepos erfüllt allerdings die den Abschluss der vergilischen Georgica bildende Mythenerzählung von Aristaeus und Orpheus. Dasselbe gilt für zahlreiche Episoden der ovidischen Metamorphosen. In dieser Integration der Kleinform in größere Kontexte zeigt sich, wie die kallimacheische Poetik bei den Augusteern nachwirkt und zugleich in ihren ehrgeizigeren dichterischen Projekten überwunden wird.

Die Literatur in der Zeit des Augustus

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