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III. Kulturpolitik und Herrscherlob

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Politische Freiräume der Literatur

Wer die politische Dimension augusteischer Dichtung historisch angemessen beurteilen will, muss sich von modernen Kriterien schriftstellerischer Freiheit und dem Ideal des gesellschafts- und politikkritischen Autors lösen. Die unverblümte Konfrontation des Schriftstellers mit den Mächtigen hätte in der augusteischen Zeit, wie in vielen Epochen der Antike, nicht nur zum Rückzug der Literatur in private Zirkel, sondern zu ihrem völligen Verstummen geführt: Eine Verbreitung über den engsten Freundeskreis hinaus war für konkret oppositionelle Literatur nicht denkbar; ein Publikum außerhalb des augusteischen Einflussbereichs existierte nicht. Es gab aber Freiräume: den Rückzug in eine weitgehend apolitische Dichtungsweise, die Ironie, das Abhandeln der nötigen Lippenbekenntnisse en passant, die Beschäftigung mit den Aspekten augusteischer Herrschaft, die guten Gewissens gepriesen werden konnten, wie die politische Stabilität, die Förderung der Künste, der Respekt vor alten römischen Werten, die Wahrung republikanischer Traditionen. Diese Freiräume nehmen die augusteischen Schriftsteller in unterschiedlicher Weise wahr:

Proaugusteische Literatur

Vergils, Horaz‘ und Livius‘ Werke stehen an keiner Stelle in explizitem Widerspruch zu Augustus‘ offizieller oder implizierter politischer Strategie; öfter verleihen sie seinen Anliegen eine Stimme. Dieses offene Bekenntnis zu Augustus ist ihnen in der Forschung häufig als Opportunismus angelastet worden; umgekehrt wurde ihnen konstruktive politische Opposition unterstellt, indem man in ihren Schriften verdeckte Elemente der Distanzierung von Augustus aufzudecken suchte. Beide Ansätze stehen in der Gefahr, die historische Konstellation der Epoche und die Mentalität der Schriftsteller zu verkennen. Die Autoren der augusteischen Zeit haben wenig Grund, der Republik mit ihren Turbulenzen und Bedrohungen nachzutrauern; auch haben sie, die keiner der großen römischen Familien angehörten, die Republik nie als ein Feld eigenen politischen Gestaltungsraums erfahren. Vielfachen Anlass haben sie dagegen, die Politik des princeps zu begrüßen, zumal sie ihnen die Konzentration auf ihr dichterisches Schaffen ermöglichte und großzügige Förderung, allgemeine gesellschaftliche Anerkennung und das Wohlwollen des Herrschers einschloss. So preisen sie ihn auch vor allem als Friedensstifter und als Garanten römischer Größe und Kultur.

Sie denken nicht in politischen, sondern in ethischen Kategorien: In den Frühwerken von Vergil, Horaz und Properz (Ecloge 1; Epode 16; Elegie 1, 21 und 22) schlägt sich beispielsweise Politik als Auseinandersetzung mit dem Bürgerkrieg nieder; die politische Krise wird aber nur unter zwei Aspekten dargestellt, in ihren Auswirkungen auf den Einzelnen und auf den Kosmos – als Leid und Verwirrung – und unter moralischen Kategorien – als Abkehr von den rechten Sitten. Analog gestaltet Livius seine Gesamtdarstellung römischer Geschichte nicht als Analyse von Interessenkonflikten und Machtkonstellationen, sondern unter dem Aspekt der Bewährung oder des Versagens einzelner Akteure.

Politische Zurückhaltung

Tibull, Properz und Ovid haben die großen Kontrahenten der ausgehenden Republik, Cicero und Caesar, kaum noch als Zeitgenossen wahrgenommen; Ovid wird in Ciceros Todesjahr geboren. Die politischen Verhältnisse der Republik sind diesen Autoren nur aus zweiter Hand bekannt. Auch wurden sie vermutlich nie vor die Notwendigkeit gestellt, im Bürgerkrieg Partei zu ergreifen; ebenso wenig waren sie selbst durch Heeresdienst oder Vermögensverluste betroffen – wenngleich Properz‘ Elegie 1, 22 den Tod eines Verwandten im Bürgerkrieg beklagt. Die Vorteile eines Lebens im Frieden, in einer kultivierten Gesellschaft, die die Kunst zu schätzen weiß, erfahren sie, ohne die Bedrohung dieses Freiraums durch die Politik erlebt zu haben. Ihr proaugusteischer Enthusiasmus ist entsprechend schwächer ausgeprägt; sie stehen aber nicht in offener Opposition zu Augustus, sondern entziehen sich allenfalls mehr oder weniger deutlich den Ansprüchen, denen Augustus die Kunst und das individuelle Leben unterstellt. Tibulls Dichtungen verharren in einer apolitisch-individualistischen Grundhaltung; Augustus nennt er nicht einmal beim Namen. Am Werte- und Italiendiskurs der Augusteer wirken seine Elegien aber mit. Properz nähert sich im chronologischen Verlauf seines Schrifttums kontinuierlich der augusteischen Ideologie an – bis hin zu deutlich politisch-panegyrischen Passagen. Vielschichtiger ist Ovid: Er arbeitet die großen Themen augusteischer Programmatik ab, aber die Passagen wirken wie – mitunter mit Ironie gewürzte – Kunstübungen, nicht wie politische Bekenntnisse; zahlreiche Textstellen verraten große innere Distanz zur augusteischen Politik.

recusatio und kallimacheisches Programm

Augustus wollte seine Leistungen in einem Epos verherrlicht sehen, das belegt allein schon die Tatsache, dass Vergil, Horaz, Properz und Ovid in ganz ähnlicher Argumentationsmethodik dieses Ansinnen zurückwiesen. Ein Argument dafür spielte ihnen eine poetologische Debatte in die Hand, die schon seit einigen Jahrzehnten in Rom geführt wurde: Den Kern dieser Debatte bildet die Frage, ob dichterische Qualität mit der literarischen Großform zu vereinbaren sei. Die Dichterelite um Catull hatte dies verneint und sich auf den Protagonisten hellenistischer Wissenschaft und Dichtung berufen, auf den alexandrinischen Gelehrten und Schriftsteller Kallimachos (zwischen 320 und 303 – nach 245 v. Chr.): Am Schluss seines Apollon-Hymnos gestaltet Kallimachos eine fast burleske Szene, in der der personifizierte Neid (phthonós) gegenüber dem Gott Apoll den Sänger kritisiert, der nicht so gewaltig wie ein Meer singt. Apoll aber befördert den Neid mit einem Fußtritt fort und verkündet dann seine eigene Auffassung von rechter Dichtung, wobei er die vom Neid gewählte Bildlichkeit übernimmt: Der große Fluss führt viel Schlamm mit sich, der Göttin Deo (Demeter) aber bringen die Bienen nur Tropfen von der kleinen und reinen Quelle.

Das Postulat der kleinen und reinen Form hat Kallimachos in verschiedenen metaphorischen Spiegelungen aufgestellt. In den Aitia führt er mit den Telchinen, zauberischen Fabelwesen missgünstiger Natur, die Kritiker ein, die sein Werk tadeln (Aitia, 3. Buch, fr. 75, 64ff. Pfeiffer). Sie werfen ihm vor, dass er nicht ein durchgängig komponiertes, einheitliches Gedicht schreibe, nicht von Königen und Helden erzähle und nicht in vielen tausend Versen sein Gedicht entfalte. Die den Telchinen in den Mund gelegten Vorwürfe enthalten e contrario das Programm der Aitia. Dabei sind die Punkte der Kritik nicht vereinzelt, sondern als Gesamtheit zu sehen, denn Kallimachos dichtet durchaus in einigen tausend Versen – in den nur fragmentarisch überlieferten Aitia waren es wahrscheinlich circa 6000 – und er schreibt dabei auch von Helden und Königen; der Stoff ist aber nicht in einem gewaltigen Erzählbogen, sondern durch das kunstvolle Arrangement kleiner Episoden entfaltet, und die Auswahl aus dem Mythos sucht nicht die in der Stofftradition immer wieder repräsentierte heroische Tat und Persönlichkeit, sondern den privateren Stoff und den noch nicht abgenützten Blickwinkel.

In Kallimachos‘ Hinweis auf die nicht besungenen Könige mag bereits die Zurückweisung eines panegyrischen Gedichts, also des Herrscherpreises, vorliegen, wenngleich Kallimachos etwa in der Locke der Berenike durchaus panegyrische Tendenzen zeigt. Der poetologische Aspekt, das Ideal gelehrter und sorgfältig ausgefeilter Dichtung, steht aber im Vordergrund. Kallimachos und natürlich die Neoteriker, die sich schon programmatisch an ihm orientiert hatten, boten also Argumente, mit denen Augustus‘ Anspruch auf eine Verherrlichung seiner Taten ‚streng poetologisch‘ abgewiesen werden konnte. Verstärken ließ sich die Apologetik noch durch den Hinweis auf die Grenzen der eigenen Begabung: Nur ein Homer wäre imstande, Augustus‘ Taten angemessen zu verewigen; der späte Nachfahr aber müsste mit seinem inadäquaten Werk dem Herrscher zur Schande werden.

Herrscherlob

Gänzlich entziehen sich die Autoren der augusteischen Zeit dem Wunsch des Herrschers nicht. Die Bedeutung des princeps, ja sogar seine Unsterblichkeit, rühmen sie mit deutlichen Worten, aber meist in der Rückbindung an die patria, deren Wohl er sich als erster Bürger unterordnet. Zur Technik einer eher verhüllten Panegyrik gehört auch die exemplarische Darstellung bedeutender Römer der Vergangenheit, der Preis altitalischer Lebensweise und Tugenden und nicht zuletzt die Interpretation von Romulus und vor allem Aeneas als Wegbereiter augusteischer Herrschaft. Mit dieser indirekten Form von Panegyrik im Kontext einer teleologischen Deutung augusteischer Herrschaft (teleologisch: an einem Ziel, télos, orientiert, das sich im Ablauf der Geschichte folgerichtig und ethisch gerechtfertigt entfaltet) muss sich Augustus zufrieden geben. Immerhin erfährt er die Genugtuung, dass Properz‘ spätere Gedichte (Buch IV der Elegien) auch nationalpolitische Themen aufgreifen und dass Horaz in zwei Gedichten, die er selbst bei ihm in Auftrag gibt, dem Chorlied für die Säkularfeier des Jahres 17 (Carmen saeculare) und dem carmen 4, 14, die augusteische Ideologie und den Ruhm zweier bedeutender Angehöriger des iulisch-claudischen Hauses, Tiberius und Drusus, in expliziter Preisung vorträgt.

Augustus-Epik

Seinen Wunsch, die eigene Person in einem Epos gepriesen zu sehen, haben ihm andere Autoren erfüllt: Cornelius Severus mit dem Bellum Siculum, Rabirius (oder auch Cornelius Severus; die Autorschaft ist umstritten) mit dem nur in Fragmenten erhaltenen Epos über den Krieg zwischen Octavianus und Marcus Antonius beziehungsweise Kleopatra mit dem Titel De bello Actiaco oder De bello Aegyptiaco; die erhaltenen Fragmente schildern Octavians Ägyptenfeldzug nach der Schlacht von Actium und Kleopatras Vorbereitungen zum Selbstmord.

Ovid hat dem Ansinnen, nationalpolitische Themen im Dienste augusteischer Politik zu gestalten, lange widerstanden; dass ihm eine solche Themenwahl nahegelegt wurde, belegen die wiederholten Zurückweisungen panegyrischer Dichtung. Immerhin ließ auch er sein Epos Metamorphosen in einem umfassenden, wenngleich etwas ambivalenten Lob des Kaisers münden; und auch die Fasti leisten ihren Beitrag zur Verherrlichung des princeps und seiner Familie.

Die Literatur in der Zeit des Augustus

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