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C. Die Gattungen der augusteischen Literatur I. Das Epos

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Dem griechischen Begriff Epos (Wort, Erzählung) entspricht die lateinische Gattungsbezeichnung carmen heroicum (Heldenlied); so wird auch der Vers des Epos, der Hexameter, versus heroicus (Heldenvers) genannt. Von archetypischem Wert innerhalb epischer Dichtung sind die homerischen Epen Ilias und Odyssee. Sie setzen eine Fülle formaler und inhaltlicher Kriterien in Kraft, die für die Gattung verbindlich werden:

Das Epos erzählt einen bedeutenden mythischen oder – weit seltener – historischen, in jedem Fall heroischen Stoff. Dem Wirken der Menschen auf der Erde korrespondiert ein göttlicher Konflikt oder göttliches Handeln als Hinderung oder Förderung. In den Taten und Urteilen der im Epos handelnden Personen wird ein Wertekosmos manifest, in dem sich äußere Schönheit, Geburtsadel und innerer Wert zusammenfinden.

Erzähltechnik

Der auktoriale Erzähler gestaltet den Stoff mit ‚epischer‘ Objektivität; nur an seltenen Stellen (in Widmungen, Musenanrufungen, Vor- oder Rückverweisen, kleinen Kommentaren) tritt er als Ich-Erzähler hervor; er kann aber seine Erzählfunktion an Binnengestalten (personale Erzähler) delegieren. Monologe und Dialoge der Personen beleben die Erzählung durch dramatische Elemente. Ein Netz von Gleichnissen und Beschreibungen durchzieht den Text und verleiht ihm Welthaltigkeit und eine ‚Tiefendimension‘, die das Verständnis prägt.

Das Epos ist in stichischen, das heißt ausschließlich gereihten und nicht in Strophen geordneten Hexametern verfasst. Es ist Großform, innerhalb derer sich einzelne Teile (Episoden) abzeichnen, die als ‚Bücher‘ isoliert werden (für Ilias und Odyssee tat das erst die Philologie; für alle späteren Epen ist es Standard). Prologe und Epiloge und weitere strukturelle Elemente wie die Ekphrasis (Beschreibung), wörtliche Rede oder gliedernde Formeln lassen eine kunstvolle Binnengliederung der Bücher und ein raffiniertes Netz von Bezügen innerhalb der Großstruktur entstehen. Vermutlich als Erbe einer ursprünglich mündlichen Überlieferung epischer ‚Episoden‘ bilden sich erinnerungsträchtige formelhafte Wendungen wie Epitheta ornantia (schmückende Beiwörter) und die Einleitungen wiederkehrender Handlungselemente. Solche Formeln umfassen Versteile, Verse und manchmal auch Versgruppen.

Römische Epik: Livius Andronicus

Von der größeren Zahl griechischer Epen nach Homer ist bis zur Kaiserzeit nur noch eines erhalten, die Argonautica des Apollonius Rhodius (3. Jahrhundert v. Chr.). Römische Epik setzt ein mit der Übersetzung der homerischen Odyssee ins Lateinische (Odusia) durch einen Kriegsgefangenen aus der Magna Graecia: Livius Andronicus. Er wählt für seine Übertragung nicht den für das griechische Epos verpflichtenden nach Silbenquantitäten organisierten Hexameter, sondern einen Vers, der in Rom unter anderem für Kultlieder benutzt wurde, den versus Saturnius. Die Analyse der überlieferten Saturnier – auch von der Odusia sind nur wenige Fragmente erhalten – bereitet der Forschung einige Schwierigkeiten; immerhin ist klar, dass es sich um einen Langvers mit einer deutlichen Mittelzäsur handelt, in dem die Akzente noch eine größere Rolle spielen. Alliterationen binden – nach Art des indogermanischen Stabreims – die beiden Versteile zusammen.

Naevius und Ennius

Den Saturnier wählt auch Naevius für sein Bellum Poenicum über den ersten Punischen Krieg. Auch Ennius’ Annales sind in erster Linie römischer Geschichte gewidmet, nämlich dem zweiten Punischen Krieg. Ennius verwendet aber bereits den Hexameter, eine gewaltige Leistung, auch wenn man vermuten darf, dass die römische Sprache in seiner Zeit geschmeidiger geworden ist. Die Annales sind das römische ‚Nationalepos‘, bis sie durch Vergils Aeneis verdrängt werden.

Das mythologische Epos: Vergil und Ovid

Wie Naevius und Ennius greift Vergil den Mythos von den troianischen Wurzeln Roms auf. Im Unterschied zu seinen Vorgängern macht er den Troianer Aeneas und seinen Weg nach Italien zum eigentlichen Thema seines Epos. Die spätere Geschichte Roms und vor allem Person und Verdienst des princeps lässt der auktoriale Erzähler in Prophezeiungen und vorausweisenden Beschreibungen und in der teleologischen Grundauslegung einfließen: Das mythische Geschehen ist in der Konzeption der Aeneis dem einen Zweck unterworfen, Rom und Augustus hervorzubringen; Aeneas präfiguriert Augustus. Dieser Kunstgriff ermöglicht es Vergil, die stoffliche Konzentration und im Vergleich zur Annalistik ungleich kunstvollere Komposition der Mythenerzählung mit dem konkreten Gegenwarts- und Rom-Bezug zu verknüpfen. Der angestrebte Kompromiss zwischen Homer-Nachfolge, kallimacheischer Poetik und politisch opportuner Panegyrik ist nicht in allen Teilen gleich gut gelungen, verleiht dem Epos aber doch einen sehr eigenen und poetisch reizvollen Charakter.

Ovid

Ovids Metamorphosen stehen Naevius’ und Ennius’ Epen weit ferner als die Aeneis, wenngleich sie vordergründig das annalistische Prinzip auf kosmische und vor allem mythische Dimensionen übertragen: Ovid setzt ein mit dem Beginn der Welt und endet mit der eigenen Gegenwart. Aber die spielerische Willkür, mit der die über 240 einzelnen Episoden einer chronologischen Ordnung unterworfen werden, und mehr noch die kunstvoll verflochtene Textur mit stets wechselnder Akzentuierung und Erzählhaltung entspringt einem weit anspruchsvolleren künstlerischen Prinzip. Dem Diktat des Zeitgeistes unterwirft sich Ovid, indem er die Metamorphosen im geographischen Raum Italiens und Roms ansiedelt und in der Preisung Caesars und seines Adoptivsohnes Augustus münden lässt. Der Leitgedanke des Werkes, dass alles dem Wandel unterworfen und nur die Dichtung von Bestand ist, relativiert freilich auch die Panegyrik.

Als Schöpfer eines Epos über den Thebenstoff (Thebais) nennt Properz seinen Freund Ponticus, dem er die Elegien 1,7 und 1,9 widmet; auch Ovid stand ihm nahe (Trist. 4,10,47). Eine Phaeacis, vermutlich ein Epos über Odysseus’ Aufenthalt auf der Insel der Phäaken bzw. seine Begegnung mit Nausikaa, verfasste ein weiterer Adressat ovidischer Briefdichtung, Tuticanus (Ov., Ex Ponto 4,12,27).

Das historische Epos

In augusteischer Zeit existiert auch das historische Epos weiter. Die Zeitgeschichte bringt es mit sich, dass römische Bürgerkriege wiederholt thematisiert werden: Bezeugt ist ein Epos des Cornelius Severus zum Bellum Siculum, dem Bürgerkrieg zwischen Octavian und Pompeius’ Sohn Sextus. Von Albinovanus Pedo ist bekannt, dass er neben frühen mythologischen Dichtungen auch die eigene Gegenwart zur Vorlage epischer Dichtung machte; ein Fragment über den Feldzug des Germanicus gegen die Germanen ist erhalten (Morel FPL 115f.). Rabirius oder Cornelius Severus werden die 52 Hexameter über Octavians’ Feldzug gegen Kleopatra zugeschrieben, die in Herculaneum entdeckt wurden (De bello Actiaco oder De bello Aegyptico). Erhalten sind von alledem nur Titel oder Fragmente. Der schlechte Überlieferungsstand legt die Vermutung nahe, dass diese Dichtungen beim Publikum längerfristig den Konkurrenzkampf mit den beiden großen Epen klassischer Zeit nicht bestehen konnten. Die Aeneis und Metamorphosen setzten die Maßstäbe für alle spätere Epik, bis weit in die Neuzeit hinein.

Die Literatur in der Zeit des Augustus

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