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V. Elegie

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Die metrische Form der Elegie ist das Distichon aus Hexameter und Pentameter. Diese Versform ist schon früh in der griechischen Literatur entwickelt worden. Vom 7. Jahrhundert an nimmt sie die verschiedensten Inhalte auf: Ermahnungen zu kriegerischer Tüchtigkeit, Reflexionen über Lebensweisheiten, Widmungssprüche auf Votivgaben, Grabinschriften, aber auch Liebe und kleine mythische Erzählungen.

poeta amator

Die so genannte subjektive römische Liebeselegie der augusteischen Zeit stimmt in einigen eher äußerlichen Aspekten wie Metrik und Umfang mit griechischen Elegien überein; ihre wesentlichen Themen und Merkmale sind aber zumindest innerhalb der erhaltenen griechischen Literatur ohne Vorbild. Das Hauptkennzeichen der römischen Elegie ist das subjektive Element. Der Dichter gestaltet nicht in erster Linie ein mythisches Thema – der Mythos wird allenfalls als Medium subjektiver Mitteilung und als Spiegel eigener Erfahrungen eingebracht – sondern das Liebesglück und -leid eines ‚Ich‘, das sich als poeta amator (Dichter und Liebhaber) stilisiert, ohne allerdings mit dem Autor einfach gleichgesetzt werden zu dürfen; gegen den früheren Epochen ganz selbstverständlichen Biographismus, der aus den Werken das Leben der Autoren erschloss, wendet sich mit gutem Recht die neuere Literaturkritik.

Elegie und Gesellschaft

Das elegische Ich widersetzt sich demonstrativ dem Geschlechterbild und Wertekanon der römischen Gesellschaft: Das Spektrum der Beziehungen zwischen Mann und Frau – bisher in den beiden Polen einer familienpolitisch nützlichen Ehe und des auf sexuelle Befriedigung ausgerichteten Umgangs mit Hetären organisiert – wird jetzt erweitert um die partnerschaftliche Liebe zu der gebildeten Hetäre. Diese Liebe und in ihr das individuelle Glück rangiert vor den Ansprüchen von Staat und Gesellschaft.

servitium amoris

Das elegische Ich beschwört in demonstrativer Missachtung der gegebenen Verhältnisse die Bindung an die puella (das Mädchen) als foedus (Vertrag), erhebt sie – meist eine freigelassene Sklavin – zu seiner domina (Herrin) und stilisiert die Bindung als Sklavendienst (servitium) oder Kriegsdienst (militia) der Liebe. Der amator beklagt den unsittlichen Lebenswandel (nequitia) der Geliebten, der ihm doch überhaupt erst den Umgang mit ihr erlaubt. Der Status der Frau – weder Sklavin, die man erwerben, noch gesellschaftlich anerkannte Frau, die man heiraten kann – konstituiert ein inneres und äußeres Paradoxon, das in der wiederkehrenden Form des Werbegedichts Variationen erlaubt.

‚Pseudonyme‘

Der hohe Anspruch des Liebhabers an die Geliebte schlägt sich auch in den Namen der Mädchen nieder (der Horazkommentator Ps. Acro stellt zu Horaz, sat. 1,2, 64 fest, sie entsprächen den ‚historischen‘ Namen der jeweiligen Geliebten in der Silbenzahl): Diese Namen ordnen die Frau dem Bereich der Künste zu. Tibulls Delia verweist auf den delischen Apoll, ebenso Properz’ Cynthia, benannt nach dem Kynthos, Apollos Geburtsberg auf Delos mit einem Zeus- und einem Athene-Heiligtum. Ovids Corinna trägt den Namen einer böotischen Dichterin, deren Lebensdaten ungeklärt sind; vielleicht war sie eine Zeitgenossin Pindars.

Das Fehlen einer der römischen Liebeselegie entsprechenden Form innerhalb der griechischen Literatur hat in der Forschung eine rege Debatte über deren Ursprung angeregt. Die Vermutung, die römische Elegie erwachse aus griechischen Vorläufern, die aber nicht erhalten seien, lässt sich weder beweisen noch widerlegen. Die Gegenthese, es handele sich hier um eine gänzlich neue literarische Form, widerspricht nicht nur den Beobachtungen, die man für andere Gattungen der römischen Literatur machen kann, sondern auch den Aussagen der römischen Elegiker selbst, die griechische Vorbilder – Kallimachos, Philitas und Euphorion – benennen.

Cornelius Gallus

Außerdem stellen die römischen Elegiker in ‚gattungsgenealogischen‘ Aufzählungen Cornelius Gallus an den Anfang, einen Mann aus dem gallischen oder italischen Raum, der als Augustus’ Vertrauter und Freund erster Präfekt von Ägypten und Alexandrien war. Das hohe Amt hat er mit Erfolg, aber auch mit hohem Selbstbewusstsein ausgefüllt. Als Augustus ihm seine Gunst entzog und ihm den Zugang zu seinem Haus und den kaiserlichen Provinzen untersagte, strengte der Senat ein Verfahren gegen ihn an. Den Folgen entzog sich Gallus durch Selbstmord.

Erhalten sind von ihm, neben einem Pentameter, den ihm der spätantike Grammatiker Vibius Sequester zuschreibt, neun weitere Verse im Metrum des elegischen Distichons, die 1978 bei Ausgrabungen im ägyptischen Primis auf einem Papyrus gefunden wurden; der Papyrus gibt keinen Hinweis auf den Autor, ist aber an Lycoris gerichtet, die (nach übereinstimmender Auskunft der römischen Elegiker) puella seiner Elegien, benannt nach Apollo Lycoreus. Die neun Verse enthalten zentrale Motive der römischen Liebeselegie (Auffassung der Geliebten als Herrin, Klage über ihre Untreue), überraschen aber durch die dominante Caesar-Panegyrik.

Vorformen der subjektiven Liebeselegie

Die Forschungsdebatte um den Ursprung der subjektiven Elegie leidet an einer Überbetonung des Neuartigen, das doch leicht als naheliegende Weiterentwicklung vorgegebener Elemente zu fassen ist: Die subjektive Sprechhaltung bestimmt auch schon die politisch oder moralisch belehrende griechische Elegie (zum Beispiel Theognis, 6./5. Jahrhundert); die unglückliche Liebe mythischer Gestalten ist das zentrale Thema der hellenistischen Elegie; der Dichter in der Rolle eines amator ist eine Standardsituation in der griechischen Liebeslyrik wie auch bei Catull; die in der griechischen Lyrik und Epigrammatik häufig thematisierte Päderastie (Knabenliebe) mit ihrem komplizierten Verhaltenscodex, der dem Knaben eine schamhaft spröde Zurückhaltung seiner Hingabe an den erwachsenen Liebhaber abverlangt, steht dem spannungsreichen Paradoxon der Beziehung zwischen elegischem Liebhaber und puella recht nahe; und bereits bei Catull 68 ist der Mythos nur noch als Illustration oder Stimmungshintergrund eigner Erfahrung präsentiert. Aus diesen verschiedenen Anregungen und Vorformen haben die römischen Elegiker eine neue Variante entwickelt. Quintilians Wort: elegia quoque Graecos provocamus („Auch mit unserer Elegie fordern wir die Griechen heraus“, inst. 10, 1, 93) ist insofern im Sinne eines Wettkampfes, nicht aber einer gänzlichen Innovation aufzufassen.

Ovids elegische Dichtung

Tibull und Properz hatten die hellenistische mythische Elegie in die subjektive Liebeselegie umgewandelt; Ovids Heroides geben der Elegie den mythischen Stoff zurück, und zwar aus der jeweils weiblichen Perspektive, verfahren aber mit dem Mythos nach dem Kodex der subjektiven Liebeselegie. Gegen die (mythische) Wirklichkeit fordern die Heldinnen in Briefform von ihren Geliebten Liebe und Rettung; das sich entblößende subjektive Ich – hier das Ich der mythischen Heldin – setzt seine Gefühle und Werte absolut gegen die (dem Leser bekannte) Realität des mythischen Stoffes. In dem im Bewusstsein des Lesers immer präsenten Scheitern der Liebe an der Verbindlichkeit des Mythos liegt zugleich ein elegiekritisches Element. Die Rückwendung der Elegie zum Mythos reduziert allerdings auch die gesellschaftliche Provokation; allenfalls in der ovidischen Technik, die mythischen Gestalten in ihren Denk- und Redeweisen der eigenen Zeit und Gesellschaft nahe zu rücken, liegt noch ein gesellschaftskritisches Element.

Die Fasti und – am Ende seines Lebens – die Briefelegien Tristia und Epistulae ex Ponto runden das elegische Werk Ovids ab: Von der römischen Tradition der subjektiven Liebeselegie bewegt er sich zunächst zur mythischen Elegie (zurück), dann zur aitiologischen Elegie, die dieselben Stoffe wie das Epos aufgreift, aber in der Hervorhebung des Stimmungshaften, im weicheren Ton und in der gelehrten Aitiologie einen anderen Akzent setzt. Am Ende kehrt er mit den Tristia und Epistulae ex Ponto zur subjektiven Elegie zurück, die aber nun nicht mehr der Liebe eines mehr oder weniger fiktiven amator gewidmet ist, sondern dem eigenen Leid in der Romferne.

Die Literatur in der Zeit des Augustus

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