Читать книгу Glücksspieler - Elfi Hartenstein - Страница 11
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ОглавлениеDr. Westphal suchte in ihrem Schrank nach einem Hemd, das irgendein Besucher mal bei ihr vergessen hatte, und warf es Manu zu. „Zieh das an.“
Sie trat hinaus auf den Balkon und schaute hinunter auf die Straße. Sie war vorsichtig geworden, seit die Bullen ihr mit dem Entzug der Approbation gedroht hatten. Als sie Lou Feldmann vor dem Haus auftauchen sah, ging sie zur Wohnungstür und drückte auf den Türöffner. Sie wartete, bis Feldmann aus dem Fahrstuhl kam, und ließ ihn vor sich eintreten. „Gut, dass du so schnell gekommen bist. Und jetzt haut bitte ab, bevor die Bullen bei mir anklopfen.“
Im Wohnzimmer knöpfte Manu gerade das Hemd über dem Verband zu. Seinem Ziehvater sah er mit gemischten Gefühlen entgegen. Zwei Jahre hatten sie einander nicht gesehen, nichts voneinander gehört. Er hatte ein schlechtes Gewissen, wich aber Lous Blick nicht aus. „Tut mir leid, Lou“, sagte er anstelle einer Begrüßung, „wenn ich dich schon wieder in Schwierigkeiten bringe.“
Lou Feldmann schwieg. Es war lange her, dass er Manu Vorträge gehalten und ihm Belehrungen mit auf den Weg gegeben hatte. Irgendwann hatte er es aufgegeben. Es half nichts. Manu konnte sich noch so anstrengen, immer wieder provozierte er Situationen, in denen der Lauf der Dinge ihn überrollte und zu Boden warf. Er hatte das Talent, das Falsche im falschen Moment zu tun.
Sylvie Westphal stopfte das blutige Verbandszeug zusammen mit dem zerrissenen Hemd in eine Plastiktüte, die sie Manu in die Hand drückte. „Wirf das unterwegs weg. Ich will nicht, dass die Polizei es bei mir findet.“ Dann holte sie eine zweite Plastiktüte, in die sie frisches Verbandszeug packte. „Du wirst den Verband wechseln müssen. Ich habe Wundsalbe dazugelegt. Und für den Fall, dass es sich entzünden sollte, stecke ich dir auch Antibiotika dazu. Nur wenn es sich entzündet, hörst du. Und du musst die Tabletten wirklich sieben Tage hintereinander nehmen.“
Sie öffnete die Tür, vergewisserte sich, dass niemand im Flur war, forderte die beiden mit einer Kopfbewegung zum Gehen auf. Feldmann und Manu stiegen wortlos nebeneinander die Treppe hinunter und verließen das Haus.
Als sie aus der Stadt herausfuhren, wollte keiner damit anfangen, darüber zu reden, worüber so dringend geredet werden musste.
„Schicker Wagen“, sagte Manu. „Hast du ihn schon lange?“
„Er gehört mir nicht.“
Sie schwiegen wieder.
„Wo fahren wir hin?“, fragte Manu nach einer Weile.
„Das wirst du gleich sehen“, antwortete Feldmann. Weil er so gereizt klang, stellte Manu jeden weiteren Smalltalkversuch ein.
In Schmöckwitz bog Feldmann auf ein Grundstück ein. Eine renovierungsbedürftige kleine Villa aus der Vorkriegszeit, ein neuerer Garagenanbau, noch unverputzt, mit direktem Zugang zum Haus. Er öffnete das Tor mit der Fernbedienung, die im Handschuhfach lag, und parkte den Wagen in der Garage. Sie stiegen aus. Lou ließ das Garagentor von innen herunter, legte die Fernbedienung zurück ins Handschuhfach, verschloss den Wagen, hängte den Autoschlüssel an ein Schlüsselbrett, nahm von dort die Hausschlüssel und schloss die Tür zum Haus auf. „Der Wagen bleibt hier stehen“, erklärte er. „Ich fahre mit der Straßenbahn zurück.“
Schweigend gingen sie durch den Flur in den Salon. Manu registrierte die gut bürgerliche, zum Teil aus Antiquitäten bestehende Einrichtung. „Setz dich“, sagte Feldmann.
Manu setzte sich in einen Sessel, sein Onkel nahm ihm gegenüber Platz. „Das Haus gehört einer Bekannten, die für eine Weile im Gefängnis ist. Ich habe ihr versprochen, darauf aufzupassen. Wasser und Strom funktionieren, das Telefon ist abgestellt. Irgendwann werden die Bullen auf diese Adresse kommen, denn sie werden alle meine Kontakte überprüfen. Aber zumindest für die nächsten Tage dürftest du hier sicher sein. Lebensmittel sind im Keller. Es gibt auch einen Brotbackautomaten. Du brauchst das Haus also nicht zu verlassen. Und jetzt will ich von dir was hören.“
Manu sah ihn an, holte tief Luft, es fiel ihm schwer, den Einstieg zu finden. Schließlich begann er: „Ich habe Hanna nicht umgebracht.“ Mehr brachte er nicht hervor.
„Weiter“, sagte Feldmann. „Ich habe außer einem Neffen auch noch einen Job. Und fang bitte von vorne an.“
„Hanna und ich, wir waren … es war Liebe. Ja, Liebe. Es hatte mich voll erwischt.“
„Hanna war mit einem Polizisten verheiratet …“
„Sie wollte sich scheiden lassen. Nur Schneider wollte das nicht.“
„Weiter“, sagte Lou.
„Wir dachten, wir gehen nach Patagonien. Weit weg. Und fangen neu an.“
„Verstehe“, sagte Feldmann trocken. „Und da ihr kein Geld hattet, habt ihr eine Pokerrunde bei Dimitri überfallen und ausgeraubt. Sehr clever, weil ihr sicher sein konntet, dass keiner der Geschädigten zur Polizei laufen würde.“
„Hanna hatte von Schneider erfahren, dass eigentlich eine Razzia geplant war, die aus irgendeinem Grund abgesagt wurde. Und dass da viel Geld im Spiel war.“ „Zweihundertfünfzigtausend, sagt Dimitri.“
„Es waren nicht ganz zweihundertdreißig“, erwiderte Manu trotzig. „Als wir wieder im Auto waren und wegfahren wollten, haben wir unsere Sturmhauben abgenommen. Ausgerechnet da bog Dimitri mit seinem Hund um die Ecke. Er war mit ihm Gassi gegangen, bevor wir ins Haus sind. Ich glaube, er hat uns erkannt.“
„Das mit dem Überfall, war das deine Idee oder ihre?“
Manu biss sich auf die Lippen.
„Vergiss es“, sagte Lou. „Ich kannte Hanna ein bisschen. Von dir kam diese Idee nicht. Erzähl weiter.“
„Wir haben die Hauben und die Schreckschusspistolen in der Spree versenkt, dann hat Hanna mich am Bahnhof abgesetzt. Ich habe das Geld in ein Schließfach gepackt. Hanna hat den Wagen bei sich zu Hause abgestellt und dann in meiner Wohnung auf mich gewartet. Wir sind davon ausgegangen, dass niemand weiß, wo ich wohne. Wir wollten am nächsten Tag mit dem Zug nach Paris, von da mit dem Flugzeug nach Santiago und von dort weiter nach Patagonien.“
Manu unterbrach sich. Er wollte nicht sagen, was jetzt noch zu sagen war.
Feldmanns Finger trommelten ungeduldig auf die Armlehne seines Sessels.
„Am Morgen bin ich zum Bäcker. Und zur Lottoannahmestelle. Ich hatte gewonnen. Drei Richtige. Ich wollte das Geld nicht verfallen lassen.“
„Wie viel hast du gewonnen?“
„Drei Euro“, gestand Manu kleinlaut. „Und als ich wieder hoch in meine Wohnung kam, stand die Tür offen und Hanna lag auf dem Boden. Tot. Ein Schuss in die Stirn … Ich habe Panik gekriegt und bloß noch meine Reisetasche genommen und bin abgehauen. Bevor ich in den Zug eingestiegen bin, habe ich noch Remy angerufen und ihr gesagt, dass du den Zweitschlüssel zu meiner Wohnung hast und …“
„Die drei Euro haben dir das Leben gerettet“, sagte Lou kopfschüttelnd. „Was mir nur nicht klar ist, ist, wie du überhaupt ins Ausland gekommen bist. Die Fahndung nach dir ist doch sofort angelaufen.“
„Ich hatte einen falschen Pass. Hanna hatte Pässe für uns beide besorgt.“
Feldmann nickte. „Aber dann verstehe ich immer noch nicht, warum die dich nicht auch erschossen haben und, vor allem, warum sie dich nicht gekrallt und dir das Geld abgenommen haben.“
Manu wischte sich mit der Hand über die Augen. „Das frage ich mich jetzt seit zwei Jahren.“ Es klang verzweifelt. Und nun brach es aus ihm heraus, wie schlimm die Flucht ohne Hanna gewesen war, und dass er sie jede Nacht vermisste in seiner einsamen Hütte, die er sich irgendwo da unten in Patagonien gemietet hatte. Und dass er allmählich begonnen hatte zu halluzinieren. Hanna erschien ihm jede Nacht, bis er es nicht mehr aushielt. Er musste einfach zurück, um ihren Mörder zu finden. Und dass sie ihm bei seiner Ankunft am Flughafen in Berlin aufgelauert hatten und er nicht wusste, wer auf ihn geschossen hatte. Es wusste doch niemand, dass er kam.
Lou Feldmann sah seinen Neffen lange an, schüttelte dann resigniert den Kopf und schwieg.
„Glaubst du mir, dass ich sie nicht umgebracht habe?“, fragte Manu vorsichtig.
„Ich schon. Aber die Polizei nicht. Du hast verdammt schlechte Karten. Dazu kommen Dimitri, der dich am liebsten fressen möchte, weil er von der Pokerrunde Druck bekommen hat, und Schneider, der nicht verwinden kann, dass ihn seine Frau verlassen wollte. Er hat Zwanzigtausend auf deinen Kopf ausgesetzt.“
„Vielleicht war es ja einer von den beiden.“
Feldmann schüttelte den Kopf. „Dimitri bestimmt nicht. Der hätte erst das Geld verlangt und euch anschließend die Knochen brechen lassen.“
„Was soll ich denn jetzt machen? Du arbeitest ja auch nicht mehr bei der Polizei.“
„Zuerst einmal geht es jetzt darum, dich aus der Schusslinie zu bringen. Und du musst zusehen, dass die Wunde heilt.“
Manu nickte. Er war seinem Onkel dankbar, dass er ihn hierhergebracht hatte, wo man ihn so schnell nicht aufspüren würde. Und er versprach ihm hoch und heilig, das Haus nicht zu verlassen, sich nicht im Freien sehen zu lassen und mit niemandem Kontakt aufzunehmen.