Читать книгу DAS GEHEIMNIS DER 7 FEIGEN - ELIYA LOREN - Страница 8
ОглавлениеGINA
Ein Bild zu malen ist fast wie ein kleiner Urlaub. Eine Oase in der Wüste des Alltags. Leider bleiben in der Zeit, in der man malt, alle anderen alltäglichen Dinge liegen. Dann fällt es mir sogar schwer, zum Einkaufen zu gehen. Einen kreativen Prozess zu unterbrechen ist für mich schier unmöglich. Selbst das Essen vergesse ich in dieser Zeit. Es ist wie ein Balanceakt auf einem Hochseil. Ich kenne kaum einen Künstler, der sich mit Leichtigkeit zwischen diesen zwei unterschiedlichen Welten bewegen kann. Entweder leidet der Alltag oder es leidet die Kunst.
Mein Telefon klingelte. Es war Gina, eine Malerin mit einem eigenen Künstlerhaus. Ihre Galerie und das angeschlossene Art-Hotel hatten ein außergewöhnliches Flair. »Kann ich dich zu einer prominenten Hochzeit engagieren?« fragte sie mich. Ich blätterte in meinem Terminkalender. Die Auftritte und Atmosphäre in ihrer Galerie genoss ich immer besonders. Außerdem kochte ihr Lebensgefährte Alexander à la haute cuisine. Wenn ich dort auftrat, bemühten sich die beiden immer außerordentlich um mein „leibliches“ Wohlergehen. In dem sehr speziellen Ambiente des Künstlerhauses waren stets ungewöhnliche und phantasievolle Kunstobjekte von verschiedenen Künstlern ausgestellt. Und so manches Mal tauschte ich meine Gage gegen das ein oder andere Kunstobjekt ein, wenn ich es mir leisten konnte.
Gina, eine sehr quirlige Person mit schulterlangen schwarzen Haaren, hatte viel Temperament und war ein Organisationstalent. Außerdem hatte sie einen erlesenen Geschmack für Kunstgegenstände und wie man diese stilsicher platziert. Sie hatte dunkle, fast schwarze Augen, mit denen sie ihrem Gegenüber auf den Grund der Seele zu blicken schien. Ihre Augen blitzten verräterisch, wenn sie einen Song erkannte, und oft stellte sie sich dann zu mir an den Flügel, um mitzusingen. Man mochte sie auf Anhieb.
Da ich den Termin noch frei hatte, sagte ich ihr gleich zu.
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An diesem frühen Abend war das Fest schon gut besucht und wie immer super organisiert. Gina und Alexander achteten darauf, dass es mir auch diesmal an nichts fehlte, und so bekam ich gleich zur Begrüßung einen Apéritif. Ich schlenderte mit meinem Glas in der Hand durch die Räume und betrachtete die ausgestellten Kunstwerke. Sofort fielen mir die verschiedenen Postkarten auf, die überall »herumlagen«. Ich stutzte – eine Karte zog mich magisch an. Auf der Postkarte war ein Maler abgebildet, der ein Einhorn malte, und im Hintergrund stand eine junge Frau, die ein zartrotes Satinband in ihren Händen hielt. Welch eine Ähnlichkeit mit dem Einhorn, welches ich gerade gemalt hatte, stellte ich verwundert fest. Es war fast die gleiche Farbnuance wie das Einhorn, welches nun in meinem Eingang hing. Das Bild berührte mich eigentümlich. Ich nahm die Karte und suchte Gina. »Wer ist der Maler dieses Bildes?«, fragte ich sie neugierig. »Und schaut der „echte“ Maler auch so gut aus wie der auf der Postkarte?«
»Ein bisschen, aber es ist wohl eher eine Mischung aus seinem Sohn und ihm selbst«, vermutete Gina, »aber jetzt ist der Maler schon um einiges älter und nicht mehr ganz so attraktiv wie auf der Postkarte.«
Das Bild auf der Postkarte beeindruckte mich so stark, dass ich den dringenden Impuls verspürte, diesen Maler unbedingt kennenlernen zu müssen. Eigenartig. Für mich war das eher untypisch. Natürlich hatte ich schon immer eine Liebe zur Malerei, und Maler kannte ich wie Sand am Meer. Aber noch nie hatte ich das Bedürfnis verspürt, die Bekanntschaft eines Malers aufgrund seiner Postkarte machen zu wollen. Lag es an dem Einhorn, das ich selbst gemalt hatte? Oder an dem Traum, der so eine tiefgründige Lebendigkeit ausstrahlte?
Gedankenverloren nippte ich an meinem Apéritif. Er schmeckte süß und trocken zugleich. Im Hintergrund meinte ich, eine Note von Brombeeren und Granatapfel herauszuschmecken. Ich kenne viele Maler persönlich. Was war es, das mich so eigentümlich anzog? Das Gefühl war ziemlich stark.
»Du kannst ja zur Finissage am 15. Oktober kommen, wenn du Zeit und Lust hast,« lud Gina mich ein, und riss mich aus meinen Gedanken.
»Ja gerne, warum nicht …?«, antwortete ich höflich. Insgeheim wusste ich, dass mir dazu die Zeit fehlen würde. Gina hatte mich schon oft privat eingeladen. Außerdem ging ich privat nie gerne auf Veranstaltungen. Aus irgendeinem Grund merkte ich mir das Datum der Finissage trotzdem.
Nach dem gelungenen Auftritt mit einem begeisterten Publikum setzte ich mich zufrieden in mein Auto und fuhr nach Hause. Die Hochzeit der Tochter von Hugendubel war erfolgreich über die Bühne gegangen, die Gäste waren begeistert. Wie schön! Morgen konnte ich ausschlafen. Das Datum der Finissage, noch in weiter Ferne, schlich sich aus meinem Gedächtnis.
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Es warteten wieder meine täglichen unzähligen Aufgaben auf mich. Drei bis vier Tage in der Woche gab ich Privatstunden für Klavier und Gesang. Auf meine Schüler konnte ich stolz sein. Der größte Teil von ihnen war talentiert und äußerst motiviert. Einige waren Preisträger von Wettbewerben. Einige andere spielten sogar mit dem Gedanken, Musik zu studieren. Oft bedeutet das eine jahrelange disziplinierte Vorbereitungsphase, wenn man die Aufnameprüfung an einer Hochschule bestehen wollte. Aus diesem Grund musste ich ziemlich streng, beziehungsweise absolut konsequent sein. Ich liebte sie alle, meine Schüler, und sie liebten mich. Manche von ihnen hatten kleinere Ambitionen und wollten an ihrem Selbstwertgefühl feilen und ihr Selbstbewusstsein stärken. Egal, ob jung oder schon älter – für mich ist es ein Privileg, das Potential aus einem Menschen herauszulocken. Außerdem finde ich es wichtig, dass Künstler nicht nur auf der Bühne glänzen, sondern ihr Können auch weitergeben.