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Tai-Chi auf Dem Berg

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Wie ich in meinem Fragebogen notiert hatte, habe ich zu meditieren begonnen, als ich noch Tai-Chi praktizierte. Kennen Sie Tai-Chi? Diese sehr langsamen Bewegungen, die oft ältere Leute in chinesischen Jacken in Parks machen? Ist es ein Tanz? Gymnastik? Eine Kampfkunst? Ursprünglich war es eine Kampfkunst, doch oft wird es leider losgelöst von dieser Dimension unterrichtet. Ich kann dem Zufall nicht dankbar genug sein, dass ich aus purer nachbarschaftlicher Nähe im Dojo de la Montagne in der Rue de la Montagne-Sainte-Geneviève gelandet bin und nicht in einer dieser New-Age-Gruppen, die damals gerade aus dem Boden zu schießen begannen und in denen man ermuntert wurde, bei brennenden Räucherstäbchen seine Chakren zu öffnen. Räucherstäbchen waren nicht die Sache vom La Montagne, der ältesten Karateschule von Paris, die in den Fünfzigerjahren von einem Pionier namens Henry Plée gegründet und, als ich dazustieß, von seinem Sohn Pascal geleitet wurde. Pascal hatte zu seinem dritten Geburtstag einen weißen Gürtel geschenkt bekommen und später eine ganze Generation von Karateka ausgebildet, doch als er im Laufe der Zeit feststellen musste, dass das intensive Training ihm Rücken, Knie und Gelenke ruinierte, hatte er begonnen, nach sanfteren, weniger ruckartigen Techniken zu suchen, die eher mit Beweglichkeit als mit Kraft arbeiteten. So war er dabei gelandet, unter Anleitung eines chinesischen Meisters namens Yang Jin-Ming Tai-Chi zu lernen – Doktor Yang Jin-Ming, denn dieser war nicht nur ein Praktiker, sondern auch ein hochangesehener Forscher auf dem quasi unendlichen Gebiet der sogenannten inneren Kampfkünste. Ich habe noch ein halbes Dutzend Bücher von ihm, die ich damals gierig verschlungen habe. Denn nach einigen Monaten im La Montagne war ich in seinem Bann und blieb es für fast zehn Jahre. Fast zehn Jahre lang verbrachte ich drei oder vier Trainingseinheiten pro Woche – ohne Doktor Yangs jährlichen Intensivworkshop mitzurechnen – in dieser eigenartigen Gesellschaft, die eine Kampfkunstschule ist. Statt Abendessen oder Partys mochte ich immer schon lieber die Art von Zusammenkünften, bei denen man sich nicht nur trifft, um zu reden und sich zu sehen, wie man so sagt, sondern bei denen man etwas miteinander macht. Es ist fast egal was, ob Bergwandern, Fußball oder Motorradfahren; mein persönliches Ideal wäre gewesen, mit ein paar Freunden Kammermusik zu machen. In einem Amateurstreichquartett zum Beispiel Bratsche zu spielen: sich bei dem einen oder anderen zu treffen, der Form halber ein paar Worte zu wechseln, schnell die Pulte aufzuklappen, die Noten aufzuschlagen und beim sechzehnten Takt des Andante con moto dort weiterzumachen, wo man das letzte Mal aufgehört hatte. Ich beneide meinen Kollegen Pascal Quignard darum, solche Freuden zu kosten, doch leider muss ich Musik lieben, ohne sie spielen oder lesen zu können. Das Praktizieren von Tai-Chi hat allerdings, glaube ich, viele Ähnlichkeiten mit dem Spielen eines Instruments oder dem Singen. Es erfordert dieselbe Ausdauer und dieselbe Mischung aus Beharrlichkeit und Loslassen, und ich denke voller freundschaftlicher Gefühle an all die verschieden gearteten Leute aus so unterschiedlichen Milieus, mit denen ich so viele Stunden damit verbracht habe, unendlich langsame Bewegungen zu wiederholen und zu verfeinern, so wie ein Pianist das wiederholt und verfeinert, was auf dem Klavier dieser unendlichen Langsamkeit entspricht: ein Pianissimo. Fast hätte ich behauptet, wir alle seien aus demselben Grund dagewesen und hätten dasselbe Ziel verfolgt, aber das stimmt nicht ganz. Im La Montagne gab es zwei Familien unterschiedlicher Herkunft. Zum einen die Alteingesessenen rund um Pascal, robuste Karateka, die in erster Linie da waren, um ihre Mitmenschen treten zu lernen, und zum anderen die, die ich wegen ihres Unterschieds zu den Tretern die Spiritualisten nennen würde: keine esoterischen Plapperer, die wurden vom hohen Anspruch des Dojo schnell vertrieben, sondern Leute, die sich in irgendeiner Weise für Zen, Tao und Meditation interessierten. Und das Schöne war: Unter dem doppelten Patronat von Pascal und Doktor Yang gelang es diesen beiden Familien, nicht nur friedlich zu koexistieren, sondern sich in ihren Interessen sogar zu bereichern. Auf ganz natürliche Weise und obwohl man die einen wie die anderen schockiert hätte, wenn man ihnen eine solche Entwicklung vorausgesagt hätte, fanden sich die Spiritualisten dabei wieder, so wie ich neben Tai-Chi auch noch Karate zu praktizieren, um den Kampfcharakter des Tai-Chi auszuloten, und umgekehrt die Treter, unbewegt auf kleinen Kissen ihre Atmung zu beobachten.

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