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Hans im Glück

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»Geduldig ein Leben lang auf einen Zustand der Gelassenheit und des Staunens hinzuwirken«: Es fühlt sich wirklich gut an, sein Leben unter diesem Motto anzugehen. Solche Gedanken sind angenehm, ja, es sind dankbare, harmonische, gute Gedanken. Gleichzeitig, ich kenne mich, weiß ich genau, wo sie mich hinführen und welche selbstgefälligen Bilder sie früher oder später in mir aufrufen. Mit knapp sechzig stelle ich mir diese bessere Version meiner selbst vor, dieses Emmanuel-Upgrade: einen gleichmütigen, wohlwollenden Mann, der einen Ruhepunkt in sich gefunden hat, aus dem eine Stimme und Worte quellen, die wirklich Gewicht haben – und nicht dieser »hohle Ton«, von dem Nietzsche spricht, den »geblähte Eingeweide« erzeugen. Ein Mann, der seinen Frieden geschlossen hat mit seinem kleinen, ängstlichen, narzisstischen Ich, der immer glasklarere, universellere Bücher schreibt und von einem ebenso universellen Ruhm umstrahlt wird, der seine Freunde unterm Weinlaub vor seinem einfachen, schönen Haus in Patmos empfängt und ohne mit der Wimper zu zucken in diesem berühmten Zustand der Gelassenheit und des Staunens, auf den er sein ganzes Leben lang hingewirkt hat, dem Tod entgegengeht. Kurz gesagt: Lachen sie ruhig. Ich jedenfalls versuche, nicht zu sehr in diesen Bildern zu schwelgen, allerdings stoße ich sie auch nicht von mir wie ein Anachoret in der Wüste die Versuchungen des Fleisches. Früher, als ich Christ war und von Schuldgefühlen durchsetzt, hätte ich das wahrscheinlich getan. Heute sage ich mir: Ja, klar sind das nichts als narzisstische Träumereien und Ego-Marotten, aber ist das so schlimm? Diese Art von Träumerei ist doch ziemlich harmlos und dieses Selbstideal gar nicht so verwerflich. Und vor allem: Auch wenn es ein bisschen blöd ist, darin zu schwelgen, ist es noch blöder, es zu zensieren. Denn darin besteht die Revolution oder eine der Revolutionen der Meditation: Statt Gedanken, auf die man nicht besonders stolz ist, anzufeinden und auszurotten zu versuchen, begnügt man sich damit, sie zu beobachten, ohne ein Drama daraus zu machen. Einfach weil es sie gibt, weil sie da sind. Weil sie weder wahr noch falsch sind, weder gut noch schlecht, sondern psychische Mikroereignisse, Blasen an der Oberfläche des Bewusstseins. Wenn man sie so betrachtet, und selbst das muss man nicht einmal bewusst tun, verlieren sie ihre Macht und ihr Zerstörungspotenzial. Die eigenen Gedanken nicht zu bewerten und ebenso wenig unsere Nächsten, sie als das zu nehmen, was sie sind, sie so zu sehen, wie sie sind, ja, das ist eine dritte und vielleicht die treffendste Definition von Meditation: Die Gedanken sehen, wie sie sind. Die Dinge sehen, wie sie sind.

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