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Der Fragebogen

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Nachdem ich mir Tee eingeschenkt hatte, den man durch Drehen eines Zapfhahns aus einem großen Blechsamowar in Kantinengläser fließen ließ, setzte ich mich vor den Fragebogen. Vier beidseitig bedruckte Seiten. Bei den ersten brauchte ich nicht lange nachzudenken: Familienstand, bei Unfall zu benachrichtigende Personen, gesundheitliche Probleme, laufende Behandlungen. Ich schrieb, ich sei gesund, hätte aber immer wieder an Depressionen gelitten. Danach sollte man 1. angeben, wie man von Vipassana erfahren habe, 2. welche Erfahrung man mit Meditation habe, 3. in was für einem Moment im Leben man sich befinde, und 4. was man sich von diesem Aufenthalt erwarte. Die für die Antworten freigehaltenen Zeilen umfassten höchstens ein Drittel der Seite und ich dachte, wenn ich auch nur auf die zweite Frage halbwegs ernsthaft antworten wollte, müsste ich ein ganzes Buch schreiben – und um dieses Buch zu schreiben, war ich ja auch gekommen, aber das wollte ich nicht verraten. Also beschränkte ich mich vorsichtigerweise auf den Hinweis, dass ich seit etwa zwanzig Jahren meditierte und Meditation für mich lange mit dem Praktizieren von Tai-Chi-Chuan verbunden gewesen sei und inzwischen von Yoga (in Klammern schrieb ich »Kleiner Kreislauf«, um klarzumachen, dass ich kein blutiger Anfänger war). Allerdings meditierte ich nicht regelmäßig, weshalb ich hoffte, einen festeren Rhythmus dafür in meinen Alltag zu finden, was auch der Grund sei, warum ich mich für diesen Intensivkurs angemeldet hätte. Was den »Moment im Leben« anging, in dem ich mich befand, war es tatsächlich ein guter: eine positive Phase, die schon fast zehn Jahre andauerte. Nach vielen Jahren, in denen ich auf diese Frage umstandslos geantwortet hätte, es ginge mir schlecht oder sogar sehr schlecht und der Moment im Leben, in dem ich mich gerade befand, sei ganz besonders katastrophal, war es sogar erstaunlich, dass ich ohne zu lügen antworten konnte und dabei mein Glück sogar untertrieb, es ginge mir wirklich gut, ich hätte in letzter Zeit keine depressiven Phasen mehr gehabt, hätte weder Beziehungsnoch Familienprobleme und auch keine beruflichen oder finanziellen, und mein einziges echtes Problem – das sicher eines ist, aber doch ein Luxusproblem – sei ein anstrengendes, despotisches Ego, dessen Einfluss ich eindämmen wolle, und genau dafür sei Meditation ja auch da.

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