Читать книгу Vicky - Erich Rast - Страница 14
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ОглавлениеKeinerlei schlechtes Gewissen plagte Vicky, und selbst, wenn sie gewusst hätte, was auf sie zukam, dann hätte sie sich im Nachhinein nicht anders entschieden. Nur vernünftiger gepackt hätte sie. Besser und mehr. Ihren großen Rucksack statt bloß den kleinen roten. Gute Vorbereitung, das war das A und O des interstellaren Reisens, musste sie später eingestehen, doch erst einmal ahnte sie nichts von dem Schicksal, das auf sie wartete. Sie stopfte nur ein paar Snacks für die Wartezeit und einen Pulli ein, sowie das wertvolle Notizbuch und die übrigen Kleinigkeiten, die sie mit sich trug, wenn sie die Züge dokumentierte.
Anhand von M’xors Erklärungen wählte sie eine Stelle, die weit abseits ihrer üblichen lag, dafür aber möglichst nah bei Brenners Haus, und außerdem wie gewünscht in einer langen Kurve. Mithilfe einer Karte auf dem Telefon ließ sich der passende Ort leicht identifizieren. Allerdings musste sie schon kurz nach dem Abendessen aufbrechen, sie hatten sich auf zehn Uhr abends verabredet, und darin bestand die Gefahr. Vater kam spät von den Feldern, vor acht aßen sie nicht. Bis neun musste sie sich loseisen, sonst schaffte sie es nicht rechtzeitig und die Nachtzüge kannte sie von allen am schlechtesten. Es wäre klüger gewesen, bis zum folgenden Morgen zu warten, die Zeiten tagsüber waren zuverlässiger, denn sie hatte selten Gelegenheit gehabt, mitten in der Nacht auf Züge zu warten. Aber ihr außerirdischer Freund hatte die Dringlichkeit seiner Abreise mehr als einmal betont.
Vicky entschloss sich zum absoluten Notfallplan, den sie in weiser Voraussicht mit Sammy und Tanxia einmal verabredet hatte. Sie hoffte nur, dass sich die beiden an ihre Versprechen erinnerten. Auf dem Telefon textete sie an beide: »L-Alarm, L-Alarm! Wir treffen uns heute Abend, zehn Uhr bei Tanxia zum Holoschauen!«
Das ›L‹ stand albernerweise für ›Liebe‹, was in diesem Fall nicht ganz zutraf, und die leicht irritierten Nachrichten ließen nicht lange auf sich warten.
»Ich dachte, du bist krank????«, las sie von Tanxia.
»LOL, ich wusste gleich, dass ›was anderes‹ dahintersteckt!«, meldete sich Sammy.
Egal, sie würde ihnen später alles erklären. Entscheidend war, das die beiden sich erinnerten, was die peinliche Phrase signalisierte, die sie vor zwei Jahren abgesprochen hatten, als sie noch schrecklich unreif gewesen waren. Die Nachricht bedeutete, dass die beiden für sie ein Alibi erzeugten, das notfalls die ganze Nacht über gültig blieb. Sie würden schwören, dass sie zusammen mit ihr bei Tanxia ein harmloses Holo guckten, und lügen, dass sich die Balken bogen, falls irgendjemand auf die Idee kam, mit ihr persönlich sprechen zu wollen.
Folgerichtig erklärte sie ihren Eltern beim Abendessen, dass sie sich mit ihren besten Freundinnen zu einem Holoabend verabredet hatte, und einen Augenblick lang fürchtete sie, der Plan sei schiefgelaufen, als ihr Vater sie mit strenger Mine daran erinnerte, dass sie technisch gesehen noch unter Hausarrest stand.
»Wir haben Ferien ...«, erklärte sie vorwurfsvoll und setzte ihren besten Jammerblick auf. Der hatte zumindest bei ihrem Vater schon immer geholfen, denn zum einen wollte er jedem möglichen Konflikt aus dem Weg gehen und zum anderen stand er in traditionellen Erziehungsfragen sowieso meistens auf ihrer Seite.
»Was wollt ihr euch anschauen?«
Mit der Frage hatte sie nicht gerechnet. »Morgul’Tak, der Sternenkrieger«, stotterte sie, weil ihr auf die Schnelle nichts Besseres einfiel. Der Schrott ließ sich immer aus dem Netz fischen, andere Holos mochten einer Überprüfung nicht so leicht standhalten.
Er runzelte die Stirn. »Du und Action-Filme? Und noch dazu einen ›edukativ wertvollen‹ mit einem Vongul in der Hauptrolle?«
Sie zog eine Grimasse. »Ich hab’s ihnen versprochen ... wegen Brandor Tsar ...«
Er verstand nur Bahnhof und wandte sich mit fragendem Blick an Aldena. »Das kapier ich nicht. Wozu gebt ihr euch solche Versprechen? Für eine Holo? Ihr seid doch sonst nicht so! Und wer oder was ist ›Brandor Tsar‹?«
Mutter lächelte und gab ihm einen Klaps auf die Hand. »Jetzt lass sie schon gehen. Das verstehst du nicht ...«
Sie glaubte irrtümlicherweise, Bescheid zu wissen. Brandor war neu in der Serie und hatte ihr unter den weiblichen Fans in Vickys Alter zu erneuter Popularität verholfen. Angeblich.
Bevor sie sich auf den Weg machte, textete sie noch schnell eine Nachricht an Tanxia und Sammy und erhielt als Antwort »Ich hasse dich! ;-)« sowie einen großen, im Licht der untergehenden Sonne rotierenden Scheißhaufen. Niemand sah sich Morgul’Tak an, und schon gar nicht wegen Brandor Tsar. Sie hatte ihnen eine Menge zu erklären, das stand fest.