Читать книгу Vicky - Erich Rast - Страница 19
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ОглавлениеIrgendwie ins Zentrum zu kommen, stellte sich als ausgesprochen schweißtreibend heraus. M’xors Vorschlag beschränkte sich darauf, den staubigen Straßen in die Richtung zu folgen, die in seiner Meinung nach der Gegend näherbrachte, die er vor langer Zeit einmal besucht hatte. Das Problem bestand nur leider darin, dass diese Straßen nicht enden wollten. Die Stadt war in einem pragmatischen, quadratischen Raster angelegt, wobei jeder Block von zwei weiteren, kleineren Straßen durchzogen wurde, und sie begegneten in der Mittagshitze fast niemandem.
Nach zwanzig Minuten monotonem Fußmarsch hatte Vicky die Nase gestrichen voll. Sie hielt an und stampfte mit den Füßen auf den Boden. Nichts als Staub und Hitze gab es in dieser öden Stadt, selbst die flachen Bürogebäude ringsum kamen ihr vollkommen verlassen vor.
»M’xor, ich brauche Wasser!«
»Ich verstehe«, erklärte dieser und sah sich hilflos, die Fühler geknickt nach allen Seiten um. Die Scham packte sie. Mit sechzehn Jahren sollte sie sich nicht mehr wie ein kleines Kind benehmen, sie musste sich zusammenreißen. Schließlich konnte auch er kein Wasser herbeizaubern, wenn sie Durst hatte, musste sie sich selbst darum kümmern.
»Wir könnten in einem dieser Häuser um Wasser bitten?«, schlug er zaghaft vor.
»Lass uns das probieren!«
Auf gut Glück wählten sie eins der Gebäude aus, die fast alle die Namen und Logos von Firmen trugen, von denen Vicky noch nie in ihrem Leben gehört hatte. Auf dem Haus ihrer Wahl prangte ein blaues Logo aus Sternen und einem Kometenschweif, dazu die Aufschrift ›ChromaStar Printing Ltd.‹. Irgendwas mit Drucken bot die Firma wohl an.
Sie klingelten an der Tür, deren Vorderfront aus Glas bestand, und ein etwa zwei Meter großes Geschöpf mit grauer Haut und einer Art Elefantenrüssel im Gesicht öffnete die Tür. Seine Augen waren klein, knopfartig, wie Schweinsäuglein, und saßen seitlich an dem überdimensionierten Kopf. Ständig blinzelten sie und bewegten sich nervös hin und her.
»Ja bitte?«
Sein Standard-Intergal hatte einen heftigen Akzent, dachte sich Vicky, bis ihr einfiel, dass womöglich das ihre den Akzent hatte. Der Gedanke brachte sie aus dem Konzept, sie stammelte und krächzte etwas, was ihr Intergal-Lehrer niemals hätte durchgehen lassen, und merkte selbst, wie ungrammatisch ihr Satz war. Die kleinen Augen blinzelten sie an und das Wesen gab ein Grunzen von sich, das sie als Verwunderung deutete. Glücklicherweise sprang M’xor für sie ein, dessen Standard-Intergal so viel besser als das ihre klang.
»Ach bitte, ihr guter Frotschok, wir hatten eine Autopanne und uns ist das Wasser ausgegangen. Meine Men-Shuk Freundin ist am Verdursten. Sie haben nicht zufällig H2O, das für Men-Shuk trinkbar ist?«
Der Frotschok musterte Vicky von oben bis unten und gab ein lang gezogenes Grunzen von sich, das sie korrekterweise als Seufzen interpretierte.
»Men-Shuk, Men-Shuk. Kein Wasser.«
»Kein Wasser?«, hakte M’xor enttäuscht nach.
»Aber wir haben ›Achtzehner‹ da. Wenn’s denn sein muss. Kommen sie rein.«
Auch wenn sie seinem Akzent folgen konnte, verstand sie erst einmal nur Bahnhof. Sie traten ein und fanden sich in einer angenehmen Rezeption wieder, ein kleines Wartezimmer mit Couchmöbeln und einer Topfpflanze, sowie diversen Hochglanzprospekten auf einem Rauchglastischchen. An der Wand hingen Poster von Druckmustern und Druckmaschinen, und dazu noch ein Sonnenaufgang auf einer Welt, auf der alles die falschen Farben zu haben schien – der Himmel war Türkis, der Strand helles Lila, das Wasser rötlich. Alles sah wie auf Terra aus, nur die Couch kam ihr größer und klobiger als eine irdische vor und in einem von einer Glaswand abgetrennten Großraumbüro nebenan arbeiteten acht weitere Vertreter der ›Elefantengesichter‹ an diversen Computern und Holoterminals.
Der Frotschok verschwand in einem Nebenraum, und kam mit zwei halbdurchsichtigen Kanistern zurück, die jeweils zwei Liter fassten, für ein Exemplar seiner Spezies jedoch vermutlich dazu gedacht waren, wie eine Getränkedose zur Erfrischung aus der Hand getrunken zu werden. Auf den vergilbten Etiketten stand auf Intergal die Wortzusammensetzung ›Achtzehner‹. Er hielt einen von ihnen in die Höhe und wies mit seinem dicken Finger auf eine Liste von Spezies, die unter dem Titel gedruckt waren. Sie hatte exakt achtzehn Einträge, was wohl den Namen erklärte, und die Nummer 15 besagte: »Men-Shuk, Terranier: sehr gut für Mänschehait (Sol 3 ISC #276)«
»Ich weiß nicht«, gab Vicky auf Europisch zu bedenken. Sie ahnte ja nicht, wie unhöflich es war, auf einem Multispezies-Planeten in der örtlichen Sprache vor anderen Spezies zu sprechen, damit sie nicht mithören konnten.
»Sieh doch! Men-Shuk ist die offizielle Bezeichnung.«
»Schon. Dafür heißen wir aber Terraner, nicht Terranier, und unser Wort ›Menschheit‹ haben sie total falsch geschrieben!«
M’xor winkte mit seinem gackernden Lachen ab, stets unter den wachsamen, wenn nicht etwas nervös wirkenden Blicken ihres Gastgebers. »Ach, Vicky! Klar schreiben die das nicht ganz korrekt. Du wirst doch nicht glauben, dass sich hier jemand um eure terranische Rechtschreibung kümmert?«
Er bedankte sich vielmals für die Hilfe, verneigte sich selbst im Hinausgehen vor ihrem Helfer, und sie machten sich wieder auf den Weg. Erst, nachdem sie einen halben Block entfernt waren, schlug M’xor vor, das Getränk auszuprobieren. Grundsätzlich, erklärte er ihr, sei es keine gute Idee, unnötig lange in der Nähe einer Spezies zu verweilen, deren Brauchtümer und Gepflogenheiten man nicht allzu gut kenne, und er gab offen zu, bisher nur wenig mit Frotschok zu tun gehabt zu haben. »Man weiß nie, was für ungeschriebene Regeln es in ihrer Kultur gibt, und will ja niemanden versehentlich beleidigen.«
Der Punkt war nicht von der Hand zu weisen, zumal der Frotschok ihnen sofort geholfen hatte. Ihrer Meinung nach hatte er sie besser behandelt, als es vermutlich ihm ergangen wäre, wenn er in einer vergleichbaren Lage auf Terra an eine beliebige Haustür geklopft hätte. Sie öffnete den Verschluss und schnüffelte am Inhalt des Getränks. Es roch chemisch, nach Gummibärchen und einem irdischen Gewürz, das sie nicht identifizieren konnte, aber nicht giftig oder in irgendeiner Weise abstoßend. Beherzt, und vom Durst getrieben, kostete sie einen Schluck, wobei ihr die Hälfte übers Gesicht lief, weil der Verschluss so groß war. Das Getränk schmeckte klebrig süß und sie erkannte das Gewürz wieder.
»Waldmeisterlimonade«, stellte sie fest.
»Ist das gut oder schlecht?«
Sie seufzte. »Ich werde nicht davon sterben.«
In großen Zügen kippte sie die Limonade herunter. Sie war warm, beinahe heiß, und viel zu süß, aber das war immer noch besser, als in der Mittagshitze in einem unbedeutenden Industriegebiet auf einem Planeten Lichtjahre von zuhause entfernt zu verdursten. Nachdem sie den halben Kanister geleert hatte, setzte sie ab und gab einen lauten Rülpser von sich. »Das war gut. Sie studierte Aufschrift ein zweites Mal und stellte fest, dass X’ur nicht aufgelistet waren.«
»X’ur sind nicht verzeichnet.«
»Egal«, erwiderte M’xor. »Ich habe ebenfalls Durst, und wir X’ur sind anpassungsfähig und genügsam.«
Er nahm den Container in Empfang und trank in einem Zug den Rest. Die getane Arbeit quittierte er mit einem lauten, langen Rülpser, der sehr stark an das Blöken eines Schafs erinnerte. Vicky kringelte sich vor Lachen, und er legte den Kopf schief. »Das gehört nicht zu den terranischen Sitten?«
»Doch, doch«, log sie.
Erleichtert atmete er auf. »Gut. Ich dachte schon, meine terranischen Freunde hätten mich in der Vergangenheit falsch informiert, oder mir gar unsittliches Verhalten vorgeführt.«
Sie wurde wieder ernst. Einen Augenblick lang hatte sie vergessen, dass ihr Begleiter weit weniger über sie und ihre Spezies wusste, als sie ursprünglich angenommen hatte, und sie selbst über ihn und seine Kultur gerade einmal zwei Seiten aus einem veralteten Almanach gelesen hatte. »Vielleicht haben sie das. Ich erkläre dir das später mal.«
»Das würde mir sehr gefallen. Lass uns weiter in die Stadt wandern, liebe Vicky! Ich habe große Pläne für die Zukunft!«