Читать книгу Vicky - Erich Rast - Страница 20
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ОглавлениеEine halbe Stunde später kamen sie in eine bevölkerte Gegend mit höheren, vier- bis fünfstöckigen Häusern. Der Verkehr wurde dichter, man musste kleine Fußgängerbrücken benutzen, um die Straßen zu überqueren, und sie begegneten anderen Fußgängern, die größtenteils in Gruppen unterwegs waren. Der ersten Gruppe von Artgenossen winkte Vicky zu, so wie man vielleicht jemandem in Terville einen Wink gegeben hätte, wenn man mit dem Auto zur Seite fuhr, um den entgegenkommenden Wagen auf einem schmalen Feldweg vorbeizulassen. Nichts Besonderes dachte sie sich dabei. Die Menschen, eine Gruppe von etwa dreißig bis vierzig Jahre alten Männern mit Vollbärten und rauer Funktionskleidung, die ebenso staubig wie die Straßen aussahen, unterhielten sich und beachteten sie erst einmal gar nicht. Zwei Nachzüglern fiel die Geste auf, und einer pfiff ihr hinterher.
»Hey Kleine, warte doch!«, rief der andere, und die Gruppe hielt an.
»Hoppla«, murmelte sie und beschleunigte ihre Schritte. M’xor folgte ihr nicht weniger hastig und flüsterte, ohne die Lippen zu bewegen. »Vicky, ich hätte dich warnen sollen, dass die Sitten auf Pentax 3 eher rauer Natur sind.«
»Hey, Mädchen! Vergiss doch das Froschgesicht«, hörte sie hinter sich, und wieder einer pfiff. Ein Blick über die Schulter verriet ihr, dass die Männer stehengeblieben waren. Einige von ihnen witzelten herum, ein anderer machte mit den Händen eine obszöne Geste.
»Komm mit uns mit! Wir zeigen dir, wo der Hammer hängt!«
»Ich habe keine Waffe zuhanden«, erklärte M’xor. »Wir sollten unsere Schritte beschleunigen.«
Gemeinsam rannten sie los, Vicky wandte sich dabei um und wäre beinahe gestolpert. Die beiden Nachzügler schienen unschlüssig. Sie legte einen schnellen Sprint ein, einen richtigen hundert Meterlauf, und M’xor hielt trotz seiner Hüftverletzung und des Rollkoffers tapfer mit, bis sie um die nächste Ecke gebogen waren. Bevor sie um die Häuserzeile verschwanden, warf sie noch einen Blick zurück und stellte zu ihrer Erleichterung fest, dass die Gruppe weitergelaufen war. Man hatte sie nicht als ausreichend lohnenswertes Ziel angesehen.
Sie setzten die Flucht ein wenig langsamer bis zur nächsten Ecke fort. Erst dann hielt sie keuchend inne. »Oh Mann, ich hätte wohl nicht winken sollen.«
»Pentax 3 ist eine Art Knotenpunkt, sowohl für Maglev-Züge als auch für Raumschiffe, die größtenteils im Orbit parken. Hier wird viel gehandelt und geschachert, das zieht eine Menge zwielichtige Geschöpfe an.«
»Ich werde in Zukunft niemandem mehr zuwinken«, versprach sie.
»Lag die Reaktion vielleicht daran, dass dich das männliche Geschlecht deiner Spezies als attraktive Partnerin ansieht?«
Sie dachte an die Jungs in der Schule, die sie sicher nicht als hässlich eingestuft hatten, ihr aber auch nicht besonders hinterhergerannt waren. Jedenfalls nicht im Vergleich zu Tanxia und Sammy. Den meisten war sie zu burschikos, zu mager und hatte zu kleine Brüste, und außerdem trug sie ja die Haare kurz und unpopuläre Latzhosen aus Jeansstoff. Den meisten war sie wohl auch nicht ›cool‹ genug. »Eigentlich eher nicht. Dachte ich jedenfalls immer.«
»Die Auswahl an möglichen Partnern mag auf Planeten wie dem hiesigen ein wenig eingeschränkt sein. Ich kenne mich mit den Gepflogenheiten unter Men-Shuk nicht ausreichend aus, deshalb kann ich das Verhalten dieser Gruppe nicht richtig einschätzen. Wir sollten jedenfalls in Zukunft auf der Hut bleiben. Ich werde mich um eine Lösung des Problems kümmern.«
Sie fragte sich, was er damit meinte, bevorzugte aber, das Thema erst einmal ruhen zu lassen. Es war ihr selbst peinlich, zumal es ihr in diesem Bereich an persönlicher Erfahrung mangelte, weshalb sie es auch mit Tanxia und Sammy vermieden hatte. Sicher war jedenfalls, dass sie nicht vorhatte, ihre Jungfräulichkeit zu verlieren, indem sie auf Pentax 3 von widerlichen bärtigen Männern vergewaltigt wurde.
»Sind Waffen hier legal?«, erkundigte sie sich. Auf der Erde wäre ihr die Idee ziemlich bescheuert vorgekommen, aber nach diesem Erlebnis war sie sich nicht mehr so sicher.
»Genau daran habe ich auch gedacht, meine liebe Vicky. Ob nun legal oder illegal, ich werde uns eine besorgen. Erst einmal sollten wir uns jedoch eine Unterkunft suchen.«
Sie vermied den Blickkontakt mit weiteren Artgenossen und musterte auch die vielen anderen Spezies, denen sie über den Weg liefen, von nun an nur noch aus den Augenwinkeln. Die meisten sahen allerdings harmlos aus, eher überraschte sie die Vielfalt der Kleidung, die von grellbunten Togen über militärischen Tarnanzügen zu Geschäftsanzügen so ziemlich das gesamte Spektrum abdeckten. Menschen liefen überwiegend in rauen, meist ungewaschen und schmutzig wirkenden groben Leinensachen herum, die überhaupt nicht der gängigen irdischen Mode entsprachen. Einige von ihnen trugen auch Overalls, die denen ähnelten, die ihr Vater für die Arbeit verwandte. Menschliche Frauen begegneten sie ebenfalls, und sie stellte ein wenig schockiert fest, dass sie ihrer Meinung nach alle wie Prostituierte aussahen. Sie schienen jedenfalls ein Faible für Miniröcke, hohe schwarze Stiefel mit Absätzen und schlechtes Make-up zu haben, und Vicky fühlte sich in ihrer Gegenwart reichlich deplaziert.
Was die außerirdischen Spezies anging, ihre Kleidung ähnelte der menschlichen viel mehr, als sie anhand der Holos und Darstellungen im Xenobiologieunterricht angenommen hätte. Offenbar hatte man ihnen immer bloß gut gekleidete Vertreter vorgestellt, die das extraterrestrische Äquivalent zum Dirndl und Trachtenjackerl getragen hatten. Auf Pentax jedoch liefen sie ähnlich wie Menschen herum, nur dass die Sachen eben an ihre Physiognomie angepasst waren. Manche bevorzugten weite, wallende Gewänder, die ein bisschen an Kartoffelsäcke erinnerten, andere elegante, seidenartige Geschäftsanzüge und wieder andere blaue Drillichsanzüge mit Werkzeuggürteln und vielen Taschen.
Glücklicherweise schenkte ihnen niemand mehr besondere Beachtung, sobald sie in die viel bevölkerte Region der Stadt kamen. Der ein oder andere Mensch warf ihr vielleicht einen neugierigen Blick hinterher, den sie ganz bewusst nicht kreuzte, aber keiner pfiff mehr und niemand sprach sie an, wenn man mal von den Passanten absah, die sie grob anrempelten, weil sie erwarteten, dass man ihnen aus dem Weg ging und einfach stur geradeaus liefen, wenn sie sich auf Kollisionskurs befanden. Das war im Shoppingcenter von Groß-Menlow zur Weihnachtszeit auch nicht anders.
M’xor erkannte das Viertel hocherfreut wieder, erklärte ihr voller Begeisterung, dass er schon einmal in dieser Gegend übergangsweise gewohnt hatte, ohne auf die Details des Aufenthalts einzugehen, und führte sie am frühen Nachmittag in eine schmale Seitenstraße, in der sich ein Hotel neben das andere reihte. Die Schilder blinkten und flackerten, und priesen eine scheinbar beliebige Zahl von Sternen an. Jedes von ihnen sah anders aus, manche einladend und sauber, andere vollkommen verfallen und abgewrackt. Nur eins hatten sie alle gemeinsam: ›Моктаба‹, das Intergal-Wort für ›Hotel‹, prangte auf ihren Schildern nebst diversen Übersetzungen in die Schriftsysteme der gängigeren oder anderweitig bevorzugten Spezies, zu denen die Menschen nicht zählten. Wenn auf Pentax tatsächlich viele Artgenossen lebten, dann hatte sich das bei den Hotelbesitzern offenbar noch nicht herumgesprochen, dachte sich Vicky. Sie saugte die Eindrücke wie ein Schwamm in sich auf, und nach einer Weile schwirrte ihr der Kopf vor lauter Bildern und unbekannten Gerüchen, Geräuschen und Sprachen, die sie nie zuvor vernommen hatte, und wahrscheinlich auch dank der Gluthitze. Sie schwitzte wie ein Schwein, ein Körperzustand, der ihrem Begleiter anscheinend fremd war, hatte zusammen mit ihm den zweiten Kanister ›Achtzehner‹ ebenfalls bereits geteilt und schon wieder Durst.
»Hier!«, rief M’xor hocherfreut vor einer Absteige, die Vickys Meinung nach lange keine guten Zeiten gesehen hatte. Sie war sich sicher, dass einige der vorhergehenden Hotels, die sie links liegen gelassen hatten, besser gewesen waren. Andererseits war sie zum ersten Mal auf einem fremden Planeten und kannte sich nicht aus; sie war verdammt froh, M’xor dabeizuhaben.
»Das Mobora«, erklärte dieser. »Eine Institution.«
Sie studierte das gelbliche Reklameschild, das schief in der Angel hing, und die Holowerbung vor dem Eingang, die schrecklich flackerte und das Innere von Zimmern zeigte, die selbst exzellente Bildverschönerungsalgorithmen nicht sauber und einladend aussehen ließen. Außerdem hatte der Besitzer die Regler voll nach oben gezogen, alles sah aus, wie mit tausend Filtern bearbeitet und nach oben geschmonzt. Dank Tanxias ausführlicher Holokritiken an den Netzeinträgen von Stars und Klassenkameraden hatte sie für solche Details einen Blick entwickelt. Das konnte kein gutes Zeichen sein. Ein bisschen verschönerte ja jeder die Bilder, aber welcher Besitzer trug denn so dick auf, wenn man schon mit ein paar Schritten ins Innere prüfen konnte, ob was dran war oder nicht?
»Du warst mal hier?«
»Nicht wirklich. Ich habe letztes Mal auf Pentax nur davon gehört. Jemand hat mir das Hotel empfohlen.«
»Jemand?«
Der X’ur zuckte mit den Schultern, wobei seine Fühler zur Seite knickten. »Zugegebenermaßen jemand, der möglicherweise für seine Empfehlungen Kommission kassiert. Was soll’s? Diese Hotels sind sowieso alle gleich!«