Читать книгу Vicky - Erich Rast - Страница 21
***
ОглавлениеVon innen erwies sich das Hotel als angenehmer, als es zunächst den Anschein erweckt hatte. Vicky bekam ihr eigenes Zimmer, das eine Tapetentür über ein geteiltes Bad mit M’xors verband. Die Tapeten waren vergilbt, der beigefarbene Veloursteppich abgewetzt und das Bett quietschte. Die dunklen, schlichten Möbel aus Holz oder laminierten Spanplatten hatten ebenfalls einmal bessere Zeiten gesehen, die Kanten waren abgescheuert und schon tausendmal poliert worden, doch war die Einrichtung gemütlich, nicht in irgendeiner Weise abstoßend, und dank seiner Multispeziesorientierung maß das Bett etwa zwei Meter zwanzig auf zwei Meter, war für einen Menschen also ausgesprochen geräumig. Sie hüpfte zum Test auf den quietschenden Federn auf und ab, roch an dem Bettzeug – es war frisch gewaschen – und studierte den Inhalt eines kleinen Kühlschranks. Er enthielt Snacks für alle möglichen Spezies, darunter auch eine Packung Erdnüsse, die sie augenblicklich aufriss und verschlang. Leider fand sich als Getränk für Menschen nur eine Limonade, die der ›Achtzehner‹ ähnelte, nur dass sie nach Gummibärchen statt Waldmeister schmeckte.
Das Zimmer war schmal, endete in bloß einem Fenster, das sich über einen altertümlichen Schiebemechanismus öffnen ließ. Sie riss es auf, um den Staubsaugergeruch wegzubekommen, der den Raum durchdrang, und beobachtete das Leben auf der Straße. An der gegenüberliegenden Ecke, eine weiter als diejenige, über die sie gekommen waren, standen aufgetakelte Menschenfrauen mit hohen Stiefeln und leuchtendroten Lippen, bei denen es sich wohl um Prostituierte handelte. Jedenfalls bremsten die Elektrogleiter ab, wenn sie an ihnen vorbeifuhren, und ab und dann ging ein verspiegeltes Fenster herunter und der Insasse wechselte ein paar Worte mit ihnen.
Direkt gegenüber befand sich ein Laden, ein kleiner Gemischtwarenladen mit vielen bunten Plakaten und selbstgedruckten Werbebannern im Schaufenster, der Früchte und Gemüse auf Ständen auf dem Gehweg anpries. Er bediente eine ganze Reihe von Spezies, auch Menschen fanden sich darunter, und schien gut zu laufen. Zwei blau gefärbte Humanoide mit flachen, dreieckig geformten Schädeln verhandelten mit dem menschlichen Verkäufer, ein zwergengroßes Wesen mit drei Beinen und sieben Tentakeln anstelle von Armen prüfte die Qualität von Pflanzen – Algen oder Schlingpflanzen – in einem Wasserbecken, eine Gruppe von insektenartigen Spezies mit dunklen Facettenaugen und Körpern, die an den von M’xor erinnerten, unterhielten sich aufgeregt über eine Schale von Obst oder Gemüse, stacheligen, kokosnussartigen Ovalen, die Vicky in ihrem Leben noch nicht gesehen hatte, und ein paar Menschen studierten die Auslagen. Voller Freude erkannte sie einen Korb mit Tomaten, die einer der menschlichen Käufer auswählte; wenigstens etwas an der Szene war ihr vertraut. Ansonsten schien ihr Xenobiologieunterricht jedoch weit weniger hilfreich gewesen zu sein, als sie sich gedacht hätte, denn sie identifizierte keine einzige der übrigen Spezies vor dem Laden oder auf dem belebten Gehweg. Sie warf einen Blick nach oben und stellte fest, dass sie aus dem gegenüberliegenden Gebäude ein bräunlicher, bepelzter, zu einem flachen Oval geformter Ball von beinahe ein Meter fünfzig Durchmesser aus einem einzigen, großen, erschreckend menschlich aussehenden Auge anstarrte. Sie winkte ihm zu. Die Kreatur hüpfte auf und ab und offenbarte dabei einen breit grinsenden Mund mit übergroßen, doch glücklicherweise abgerundeten Zähnen. Zwei filigrane Arme auf der Oberseite des Kopfs oder Körpers winkten zurück. Anstelle menschlicher Hände schien das Geschöpf zwei weiße Baseballhandschuhe zu tragen. Ob das seine Hände waren? Oder hatte es Handschuhe an? Es blinzelte und wandte sich um, nur um auf der Rückseite ein ebenso übergroßes menschliches Auge zu offenbaren, dass sie anstarrte.
Es klopfte.
»Herein!«, rief sie.
M’xor trat ein. »Schönes Plätzchen hier, nicht wahr? Hör zu, bitte hole nichts aus der Minibar, die ist verdammt teuer.«
»Ich habe mich schon an Erdnüssen bedient.«
»Oh. Nun, das ist kein Problem. Bediene dich. In Maßen. Nun, liebe Vicky, ich wollte dich bitten, es dir bequem zu machen und ein Weilchen auszuruhen. Sicher bist du sehr müde und willst schlafen.«
»Ich bin todmüde«, gab sie zu, wobei sie der ungewohnte Ausblick bisher mehr als wach gehalten hatte. Eine innere Unruhe hatte sie erfasst und die Müdigkeit verscheucht. In ihrem Leben hatte sie keine so vielen fremden Lebensformen gesehen!
»Gut. Ich habe einige wichtige Angelegenheiten zu erledigen und werde ein bis zwei Stunden weg sein. Danach gehen wir essen, und bis dahin würde ich vorschlagen, ruhst du dich aus.«
»Alles klar!«
Er verneigte sich ein wenig förmlich und verabschiedete sich. Nachdem er sich auf den Weg gemacht hatte, fragte sie sich, was für Angelegenheiten er so bald nach ihrer Ankunft erledigen wollte, und fühlte sich nach ein paar Minuten schon schrecklich alleingelassen. Der Typ aus dem Gebäude gegenüber, ebenfalls ein Hotel, starrte sie weiterhin mit seinem einen Auge an und blinzelte ab und dann, was den Eindruck, ein riesiges menschliches Auge vor sich zu haben, noch verstärkte. Und auch bei einem zweiten Blick aus dem Fenster gelang es ihr gerade einmal, zwei von sieben Spezies zu identifizieren, und das waren Menschen und eine Gruppe von Soldaten der Xu’Un’Gil, die dunkelblaue Uniformen trugen und die Straßen patrouillierten. Sie fluchte auf ihren Xenobiologielehrer, den sie eigentlich immer für ganz gut gehalten hatte, oder auf den Lehrplan, und letztlich vor allem über ihre eigene Faulheit. Zugegebenermaßen hatte sie sich stets eher durch die Prüfungen gemogelt, immer auf den letzten Drücker nur das Nötigste gelernt, nur um es gleich danach wieder zu vergessen. Dabei hatte sie doch oft geträumt, die Erde einmal zu verlassen und den Rest der Galaxis zu sehen. Stillschweigend war sie in ihrer Fantasie immer davon ausgegangen, jemanden dabeizuhaben, der sich auskannte, oder einen Visor mit gutem Erkennungsprogramm zu besitzen. Sie spielte mit dem Gedanken, ihr Handy anzuwerfen und ein ebensolches Programm herunterzuladen, von denen es eine halbe Trillion geben musste, verwarf ihn jedoch wieder. Pentax wurde ebenfalls von den Xu’Un’Gil verwaltet. Es war am besten, wenn sie das Telefon fürs Erste komplett ausgeschaltet ließ, zumal sie höchstwahrscheinlich sowieso keinen Netzwerkzugang hatte – und wenn sie die hiesige Telefongesellschaft ins Netz ließ, dann stünden die Xu’Un’Gil wohl ein paar Minuten später vor ihrem Hotelzimmer.
Normalerweise schlief sie wie ein Murmeltier, aber die Aufregung hielt sie wach, als sie sich an einem Nickerchen versuchte. Außerdem reichten die Erdnüsse nicht, um ihren Hunger zu stillen, und der Gedanke an Tomaten und anderes frisches irdisches Gemüse begann, sich in ihrem Kopf festzusetzen. Stattdessen nahm sie eine Dusche, das Wasser war frisch und, wie ein kleines Messingschildchen hinwies, für alle Spezies trinkbar. Das Duschshampoo roch eigenartig, nach einem Gewürz, dass es auf Terra nicht gab, doch eigentlich sehr angenehm, eher herb als übermäßig blumig, und der Strahl der Dusche ließ sich auf jede beliebige Temperatur regulieren. Sie wusch den Staub ab, der sich überall an ihr festgesetzt hatte – vor allem in den Haaren! –, und als sie aus der Duschkabine stieg, fiel es ihr schwer, wieder in ihre einzigen Klamotten zu steigen, in denen sie gereist war. Sie waren noch relativ frisch, aber die Zugfahrt hatte sie in kürzester Zeit schal und ungewaschen gemacht. Nicht nur etwas essen musste sie, auch sollte sie möglichst bald wenigstens ein paar zusätzliche Sachen kaufen, falls das irgendwie in M’xors Budget lag. Sie hatte ja keine Ahnung, wie viel der X’ur an Kredits dabeihatte, ja wie er überhaupt zu zahlen gedachte! Zumindest frische Unterwäsche brauchte sie.
Nach der Dusche versuchte sie gar nicht erst, sich wieder schlafen zu legen, trotz ihrer Müdigkeit war sie dafür einfach zu aufgekratzt. Stattdessen ging sie zur Bestandsaufnahme ihre Sachen durch und fluchte laut darüber, wie wenig sie eingepackt hatte. Aber immerhin hatte sie beinahe fünfzig europische Kredits dabei, stellte sie fest, sowie einen Schal und ihre Jacke. Besser als gar nichts. Egal, wie weit die Maglev-Strecke sie nun von Sol weggebracht hatte, irgendwo in der Stadt musste es Geldwechsler geben, und ihre fünfzig Kredit sollten problemlos für eine Mahlzeit reichen. Ihr Magen knurrte und sie sah auf die Uhr: M’xor war gerade eben eine halbe Stunde weg! Also beschloss sie, sich allein auf die Straße zu wagen und nach einer Möglichkeit zu suchen, ihre Kredits in örtliches Bargeld umzuwandeln und dieses in etwas Leckeres umzuwandeln. Denn sie hatte Hunger, verdammt großen Hunger. Der Gedanke an die Tomaten im Laden gegenüber brachte sie auf Pizza, und von da an hätte sie keine Macht der Galaxis mehr in ihrem Hotelzimmer halten können.